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1,5 Grad – Gesetzespaket: Neun Herausforderungen für ein klimaneutrales Deutschland

© mat_hias on Pixabay
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Im Juni hat der deutsche Bundestag das Klimaschutzgesetz verabschiedet. Es sieht vor, dass genug CO2 und andere Treibhausgase eingespart werden, um die Bundesrepublik bis 2045 klimaneutral zu machen (wir berichteten). Jedoch gab es von der Opposition viel Kritik an dem neuen Gesetz. Die kommende Bundestagswahl könnte außerdem die politische Landschaft in Deutschland stark verändern. Dabei gibt es aber auch Maßnahmen, die es der nächsten Regierung ermöglichen könnten, um die Klimaziele des Pariser Abkommens sicher einzuhalten. Nun hat die Hamburger Klimaschutzorganisation GermanZero ein Gesetzespaket vorgelegt, das schon bis 2035 für die Erreichung des 1,5 Grad-Klimaziels sorgen soll.

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„Wir haben ein Gesetzespaket erarbeitet, das auf den Berechnungen des Weltklimarats IPCC basiert und die notwendigen Stellschrauben enthält, um spätestens bis 2035 klimaneutral zu werden. Dieses Paket ist weltweit einmalig. Theoretisch könnte der Gesetzgeber unser Konzept eins zu eins umsetzen“, zitiert das Handelsblatt Stephan Breidenbach, den Leiter Policy & Legal von GermanZero.

Das Papier, an dem laut der Organisation zahlreiche Expert:innen aus Wissenschaft und Wirtschaft mit der Unterstützung von hunderten Ehrenamtlichen, sowie Akteurinnen der Zivilgesellschaft anderthalb Jahre gearbeitet haben, soll schnell umsetzbare Vorschläge für die fünf großen emissionstreibenden Sektoren aufzeigen: Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude/Wärme und Landwirtschaft. GermanZero will so der Politik demonstrieren, wie die Ziele des Pariser Klimaabkommens doch noch erreicht werden können. 200 Maßnahmen für insgesamt neun Sektoren legt das Gesetzespaket nahe.

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1. Neues System für CO2-Bepreisung

Ein wichtiges Instrument für die Reduzierung von Treibhausgasen wie CO2 ist die Bepreisung derselben. Unternehmen haben so einen Anreiz, auf klimaneutrale Technologie umzusteigen. Mit Investitionen in umweltfreundliche Projekte und Firmen können Unternehmen in der EU Zertifikate erhalten, die als Kompensation für Emissionen gelten. Diesen Ansatz lehnt GermanZero aber ab. Unternehmen würden dadurch nur „Verschmutzungsrechte“ kaufen. Außerdem seien die Fixpreise zu niedrig. Die Organisation schlägt vor, die Fixpreise abzuschaffen und die Anzahl der Zertifikate zu deckeln. Ab 2035 sollte es gar keine mehr geben.

Es sei auch nötig, endlich die Schifffahrt und die Abfallwirtschaft in den Emissionshandel einzubeziehen. Außerdem sollte es vier getrennte Zertifikatssysteme für die Bereiche Energieerzeugung
und Industrie, Verkehr und Wärme sowie Luft- und Schifffahrt geben, im besten Fall auf europäischer Ebene. Die Energie- und Stromsteuer müsse auch Kohle, Gas oder Öl ausnahmslos anhand ihres CO2-Gehalts bepreisen.

Ebenso wichtig soll die soziale Absicherung bei der Reduzierung der Emissionen sein. Dafür schlägt GermanZero eine pauschale Klimaprämie vor, die über die Krankenkassen ausgeschüttet wird.
Zusätzlich müsse ein Härtefallfonds eingerichtet und staatliche Transferleistungen wie Wohngeld erhöht werden. Unternehmen sollen aber von der CO2-Bepreisung ausgenommen sein, wenn sie die damit einhergehenden Kostenersparnisse in gleicher Höhe in die Umstellung auf eine klimaneutrale Produktion bis zum Jahr 2035 investieren. Weiterhin sollen auch Unternehmen eine
Klimaprämie erhalten.

2. Saubere Energieversorgung

Deutschland soll ein Energiesystem auf Basis von 100 Prozent erneuerbaren Energien erhalten. Die erforderlichen Technologien für den Umstieg seien vorhanden – und heute
schon günstiger als fossile Energieträger, sofern bürokratische und fiskalische Hemmnisse abgebaut werden. Deshalb kritisiert GermanZero die von den politischen Parteien vorgeschlagenen Maßnahmen wie die Forderung eines Festhaltens am Kohleausstieg 2038 (SPD) oder den „blauen“ Wasserstoff aus Erdgas (FDP).

Laut dem Gesetzesentwurf muss die neue Regierung in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit die wichtigsten Systemfehler und -widersprüche
des gegenwärtigen Energiesystems beseitigen. Dazu zählen insbesondere die Subventionierung fossiler Energieträger sowie die übermäßige Bürokratie für den Ausbau erneuerbarer Energien. Lokale Energiegemeinschaften sollen mehr Förderung erhalten, außerdem soll es marktwirtschaftliche Ausschreibungsverfahren für den Ausbau von Wind- und Photovoltaikanlagen geben. Für die Koordinierung soll es eine eigene Agentur für den Erneuerbaren Ausbau geben.

3. Industrie fossilfrei machen und Kreislaufwirtschaft fördern

Um die Industrie klimaneutral zu machen, können laut dem Entwurf die CO2-Bepreisung und die Klimaprämie viel bewirken. Ebenfalls wichtig sei es, den Bau von Anlagen, die nicht klimaneutral sind, nicht mehr zuzulassen. Ebenso müsse es den Aufbau einer Kreislaufwirtschaft geben. Das soll unter anderem durch Quoten für die Verwendung recycelter Rohstoffe, einer Stärkung der Reparaturrechte und ein Pfandsystem für elektronische Haushaltsgeräte geschehen. Dadurch werden Emissionen eingespart, die für die energieaufwendige Produktion von Primärmaterialien anfallen würden. Bei der öffentlichen Beschaffung müsse die Regierung auch nachhaltige und umweltbezogene Kriterien zu berücksichtigen.

4. Verkehrssektor

Im Bereich Verkehr sieht GermanZero viel Raum für Verbesserungen. So sollen Erstzulassung für Pkw mit Verbrennungsmotoren ab 2025 nicht mehr erlaubt sein, für Lkw ab 2030. Ebenfalls müsse die Anbindung von kleinen Städten an das Bahnnetz besser werden. So soll es künftig mehr Nachtzüge geben. Auch sollen Städte Instrumente wie eine CityMaut, Arbeitgeberabgabe oder Erschließungsabgabe einführen dürfen.

5. Gebäude dämmen und fossilfrei machen

Um den Gebäudesektor bis 2035 klimaneutral zu gestalten, soll vor allem die Wärmeversorgung mittelfristig durch Nutzung erneuerbarer Energien emissionsfrei und kurzfristig durch
Gebäudesanierung energieeffizienter werden. Häuser sollen verpflichtend besser gedämmt werden. Ölheizkessel müssen verboten und Gasheizungen nur noch unterstützend
eingesetzt werden, um Spitzenlasten abzufangen. Kommunale Aktionsstellen sollen zu Umzug, Untervermietung und Wohnungstausch beraten.

Hürden für Nutzungsänderungen und Umbauten im Bauordnungsrecht will GermaZero abbauen. Für den Abriss von Gebäuden soll eine Genehmigungspflicht erforderlich sein. Davon abgesehen soll eine Förderung von Grünflächen in der Stadtplanung für eine bessere Luftqualität und bietet Erholungsgebiete für die Bewohner:innen erzeugen. Es soll auch neue Standards für Neubauten geben, laut denen im Betrieb keine Energie mehr verbraucht werden darf. Auch nachwachsende Rohstoffe, Wiederverwendung und Recycling sollen Förderung erhalten.

6. Landwirtschaft emissionsfrei machen

Auch im Bereich der Landwirtschaft gibt es laut dem Gesetzpaket Emissionen, vor allem Methan und Lachgas, was meistens an der Tierhaltung liege. GermanZero schlägt deshalb einen Emissionshandel für tierische Produkte vor. Auch eine Begrenzung der Anzahl der Tiere pro Fläche soll es geben. Ebenfalls wichtig seien Einschränkungen beim Einsatz von Mineraldünger und Pestiziden sowie der Fruchtfolgenanbau, der zum Aufbau des kohlenstoffbindenden Humusgehalts im Boden beiträgt.

GermanZero fordert auch ein Wiedervernässungsgebot für Moore. Bei der Entwässerung entstehen nämlich auch Treibhausgase. Das soll diese Gebiete von Kohlenstoffquellen wieder in Kohlenstoffspeicher verwandeln. Das soll eine Förderung der landwirtschaftlichen Nutzung wiedervernässter Flächen möglich machen. Außerdem sollen Agrarsubventionen nicht mehr an der Fläche, sondern an den Klimaschutzmaßnahmen der Landwirt:innen festliegen.

7. Klimaschutz im Grundgesetz

„Klimaschutz ins Grundgesetz schreiben“ war in den vergangenen Jahren immer wieder zu hören. Auf den ersten Blick scheint sich dieses Anliegen durch den Beschluss
des Bundesverfassungsgerichts vom 29. April 2021 zum Klimaschutzgesetz erledigt zu haben, räumt GermanZero ein. Was das Bundesverfassungsgericht nicht festgelegt habe, sei die Frage, bis zu welchem Jahr Deutschland klimaneutral werden muss. Die Organisation schlägt eine Festschreibung der Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze mit 67-prozentiger Wahrscheinlichkeit vor.

8. Überarbeitung des Klimaschutzgesetzes

Grundsätzlich brauche das Klimaschutzgesetz laut dem Paket eine Überarbeitung. Deutschland solle sich dem Ziel einer (Netto-)Treibhausgasneutralität bis 2035 unterwerfen. Im Gesetz soll außerdem das Restbudget verankert werden, dass Deutschland noch verbleibt, um das 1,5-Grad-Ziel erreichen zu können. Zusätzliche mittelfristige Ziele in Form von nicht zu überschreitenden
Treibhausgasmengen soll ebenfalls verankert sein.

9. Internationaler Ausgleich

Um das verfügbare CO2-Budget nicht schon im Jahr 2025 zu überschreiten, müsste Deutschland Emissionen im Rahmen von Emissionsmärkten oder bilateralen Klimapartnerschaften im Ausland ausgleichen. GermanZero will eine (Selbst-)Verpflichtung Deutschlands zur Kompensation der Treibhausgasemissionen, die über das nationale Restbudget hinausgehen. Um Deutschlands internationaler Verantwortung gerecht zu werden, sollte eine entspreche Passage im Grundgesetz verankert werden.

Es soll die Möglichkeit geben, bilaterale Partnerschaftsabkommen zum Transfer von Emissionsreduktionen einzugehen. Internationale Emissionsmärkte sollen Staaten unabhängig
von Partnerschaften die Möglichkeit geben, Zertifikate für Maßnahmen zur Emissionsminderung zu kaufen bzw. zu verkaufen. Auch sollen Zahlungen für Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen von Deutschland getätigt werden, um Verantwortung für die historischen Emissionen zu tragen.

GermanZero sieht Klimaneutralität als möglich

Ob die neue Regierung das Gesetzpaket von GermanZero als Vorlage für ihre eigene Gesetzgebung verwendet, lässt sich noch nicht sagen, immerhin stehen die Wahlen erst bevor. Am 26. September sie stattfinden, woraufhin die Karten in der politischen Landschaft neu gemischt werden könnten. Sollten die ambitionierten Maßnahmen tatsächlich Implementierung finden, könnte das zumindest in Deutschland die Klimaneutralität möglich machen, verspricht die Umweltschutzorganisation.

 

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