42 Vienna: Millionen-Invest für Coding-Schule, die mit Konventionen bricht
24.000 sind es 2020, in den nächsten fünf Jahren könnten es bis zu 30.000 werden: In Österreich fehlen an allen Ecken und Enden IT-Fachkräfte. Und das schadet der Wirtschaft ordentlich, laut Wirtschaftskammer kostet der IT-Fachkräftemangel Österreich 3,8 Milliarden Euro pro Jahr (Trending Topics berichtete). Auch deswegen gab und gibt es in den letzten Jahren immer wieder Anläufe, Programmierschulen im Land zu etablieren, doch das Problem ist deswegen nicht kleiner geworden.
Jetzt nehmen eine Reihe von Wirtschaftsgrößen viel Geld in die Hand, um in Wien eine Coding School der besonderen Art zu finanzieren. Gemeinsam stemmt ein öffentlich-privates Konsortium stattliche 1,2 Millionen Euro pro Jahr, um 42 Vienna umzusetzen. Mit dabei sind Raiffeisen Bank International (RBI), Raiffeisen Landesbank NÖ/Wien und R-IT, Umdasch Group AG, WAFF, Stadt Amstetten, Lisec Austria GmbH, Fronius International GmbH, EVVA GmbH, Engineering Center Steyr GmbH & Co KG, Industriellenvereinigung NÖ, Greiner Packaging International GmbH, Worthington Cylinders GmbH und Welser Profile.
IT-Fachkräftemangel kostet Österreich 3,8 Milliarden Euro pro Jahr
150 Student:innen ab Oktober
42 Vienna tickt dabei nach ganz eigenen Regeln bzw. bricht mit den ungeschriebenen Gesetzen, die bisher für Programmierschulen aller Art galten. So gibt es keine Vortragenden, weil alles über Teamarbeit im Projektmodus und Peer-to-Peer-Bewertungen gelernt werden soll; es ist keine Vorqualifikation nötig, man braucht also keine Matura oder einen Hochschulabschluss; es gibt Anwesenheitspflicht und keine Distance Learning. Und das wohl Beste aus Teilnehmer:innen-Sicht: Die Kurse sind gratis.
Der Campus öffnet am 3. Oktober für 150 Student:innen seine Türen in der Wiener Muthgasse im 19. Bezirk. die Ausbildung dauert durchschnittlich drei Jahre. Die Bewerbungsphase läuft aktuell, angesprochen werden sollen Menschen ab 18 Jahren, „die ein Interesse an IT haben, sich beruflich in der IT Branche orientieren oder neu orientieren wollen“, heißt es seitens 42 Vienna. „Diese Bewerber:innen müssen vor Beginn des Studiums zwei anspruchsvolle Auswahlverfahren durchlaufen und logische Fähigkeiten sowie „Soft Skills“ (z.B. Teamarbeit, Offenheit für disruptives Denken, Problemlösungen und Unternehmergeist) unter Beweis stellen.“
Von der Ausbildung direkt in den Job
Vorbild für die Programmierschule ist École 42, die der Unternehmer Xavier Niel 2013 in Paris gründete – 42 Vienna ist Lizenznehmer des französischen Vorbilds. Bis 2025 ist geplant, dass 42-Netzwerk auf weltweit 25.000 Studierende in insgesamt 60 Campussen anwachsen zu lassen. Auch in Österreich will man wachsen, nach Wien sollen weitere Standorte in Amstetten, Wels und anderen Städten dazukommen. Xavier Niel ist einer der wichtigsten Tech-Unternehmer Frankreichs – er eröffnete mit der Station F 2017 in Paris den größten Startup-Hub der Welt (Trending Topics berichtete).
Wichtig bei 42 ist die Industrienähe, das schreibt man sich besonders auf die Fahnen. 100 Prozent der Absolvent:innen sollen sofort einen Job bekommen – in erster Linie natürlich bei jenen Unternehmen, die die Programmierschule mitfinanzieren.
„Vielen Student:innen werden direkt nach der Pflichtausbildung, vor dem ersten Praktikum, bereits Jobs angeboten. Die Studierenden können sich nach dem ersten Praktikum in einem oder mehreren Fachgebieten wie Künstlicher Intelligenz, Cybersecurity, Blockchain, etc. spezialisieren. Danach wird ein zweites Praktikum angeboten, das oft in eine Arbeitsanstellung übergeht“, heißt es seitens 42 Vienna. Der Abschluss bei 42 ist ein in Europa anerkanntes französisches Diplom. 42 Vienna will außerdem „in Österreich Schritte unternehmen, um die Anerkennung eines österreichischen Diploms zu beantragen“, heißt es.
Soft Skills, Montessori und nicht nur bloß Code
Bei 42 geht es den Betreiber:innen zufolge nicht bloß um das Erlernen von Programmiersprachen wie C und C++, sondern vielmehr um die Fähigkeit, sich Lösungen selber beizubringen. Programmiersprachen würden oft in kurzer Zeit von einer neuen überholt, deswegen würden Studierende trainiert, sich immer am neuesten Wissensstand zu halten. Man wolle den Studierenden das „Lernen lernen“.
„Das Modell 42 funktioniert aus Sicht der Unternehmen, weil die Student:innen nicht nur über die technischen Kompetenzen verfügen, sondern auch über die Soft Skills, d.h. andere Kompetenzen, die es ihnen ermöglichen, besser zu kommunizieren, zu arbeiten und zusammenzuarbeiten, ihren kritischen Sinn zu entwickeln, was man nicht in Computern findet, und die menschliche Kompetenzen, die in Unternehmen sehr gefragt sind“, sagt Sophie Viger, CEO von 42.
„Die Pädagogik von 42 steht Montessori nahe, aber auch einer Pädagogik, die sehr alt ist und aus dem frühen 19. Jahrhundert stammt. Sie wurde von Joseph Jacotot eingeführt und von Jacques Roncière in einem Buch mit dem Titel „Le maitre ignorant“ aufgegriffen“, so Viger weiter. „Er geht davon aus, dass die Intelligenz gleichmäßig verteilt ist und dass jeder dieses Potenzial hat, jeder intelligent ist und das einzige Problem das ist, dass man jemanden neben oder vor sich hat, der einem sagt: Du bist schlecht oder du bist gut.“ Man wolle die Teilnehmer:innen dazu ermutigen, das eigene Lernen selbst in die Hand zu nehmen und sie auf gegenseitige Hilfe, Zusammenarbeit und Respekt vor Unterschieden fokussieren lassen.
Fokus auf Frauen
In Wien wie auch an anderen Standorten ist man bestrebt möglichst viele Frauen unter den Studierenden zu haben. „Betrachtet die IT als eine außergewöhnliche Chance!“, so Vigers Appell an weibliche Interessenten. „Ich denke dabei an Frauen, die in der IT-Welt nicht sehr stark vertreten sind und die sich vielleicht denken, dass sie nicht legitimiert sind, so dass ein staatlich anerkannter Abschluss sie beruhigt.“ Bei 42 Vienna könne man aber eben ein „anerkanntes französisches Diplom“ erwerben.