Kommentar

50 Jahre Fiat-Geld: Bestandsaufnahme eines verschnupften Systems

© Pexels; Roger Brown
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„Wir müssen den Dollar vor Attacken von internationalen Währungsspekulanten schützen“, verkündete US-Präsident Richard Nixon vor 50 Jahren in einer TV-Ansprache und kündigte damit das Versprechen der USA auf, dass andere Zentralbanken bei der US-Notenbank Fed ihre Dollarreserven jederzeit in Gold umtauschen können. Der Dollar ist seither nicht mehr an physische Goldreserven geknüpft, sondern so viel wert, wie die Menschen ihm zusprechen. Damit läutete Nixon eine Ära des zügellosen Gelddruckens ein, die bis heute andauert.

Die Auswüchse dieser Entwicklungen machen sich in Form von Inflation, einer wachsenden Schere zwischen Arm und Reich und steigendem Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der Politik bemerkbar. Die Entstehung von Bitcoin als alternatives, dezentrales Finanzsystem ist eine von mehreren Antworten auf ein verschnupftes Finanzsystem. Im Vergleich zu Populismus und Bürgerkrieg, wie er derzeit in Venezuela tobt und im Libanon auszubrechen droht, ist sie mit Sicherheit eines der angenehmeren Symptome.

Wie alles begann

Nixons Vorstoß war ursprünglich nur als Übergangslösung geplant: Die Goldreserven der USA flossen durch das starke Wirtschaftswachstum nach dem Zweiten Weltkrieg immer weiter ins exportorientierte Europa und nach Japan. Dadurch fiel der Dollarkurs. Um Machteinbußen des Dollars und damit der USA zu verhindern, wechselte Nixon zum ungedeckten Fiat-Geldsystem. Die Idee: Staaten können so lange neues Geld ausgeben, bis keine Gläubiger:innen ihre Staatsanleihen mehr kaufen.

Während der Coronakrise erlebten die internationalen Gelddruckerpressen neue Höhenflüge: 2021 wird nach einer Prognose des Haushaltsbüros des US-Kongresses (CBO) die Staatsverschuldung erstmals seit 1945 die Wirtschaftsleistung der USA übersteigen. Bis Ende 2021 dürften die Schulden auf 102 Prozent des US-BIPs klettern. Durch die Corona-Konjunkturpakete legte die Verschuldung 2020 bereits um 14,9 Prozent der Wirtschaftsleistung zu.

Auch die Europäische Zentralbank (EZB) kauft im Rahmen ihres Corona-Notprogramms PEPP Staatsanleihen in Höhe von 1,85 Billionen Euro von nationalen Zentralbanken im Euroraum. Gab es 2019 noch rund 12,38 Billionen Euro an Bargeld, Termin- und Spareinlagen sowie Sichteinlagen in der Euro-Zone, stieg der Wert bis Dezember 2020 auf 13,74 Billionen Euro an.

Wo wir stehen

Fließt immer mehr Geld auf den Finanzmarkt, ohne dass die Wirtschaft in gleichem Ausmaß wächst, führt das langfristig zu einer Geldentwertung: Diesen Juli nahm die Inflationsrate im Vergleich zum Vorjahreszeitraum in der Eurozone um 2,2 Prozent zu. Das ist der höchste Wert seit 2018. Generell strebt die EZB eine Inflation nahe 2 Prozent an. In den USA kletterte die Teuerungsrate im Juni gar um 5,4 Prozent zum Vorjahresmonat. Das ist der höchste Anstieg seit der Finanzkrise im August 2008.

Besonders hart trifft die Inflation niedrige Einkommensschichten. Der österreichische Ökonom Friedrich von Hayek verglich die Verteilung von frisch gedrucktem Geld mit Honig, den man in eine Tasse gießt: Der Honig klumpt erst in der Mitte und breitet sich dann allmählich zum Rand hin aus. Preise steigen auch nicht gleichmäßig: Je ärmer man ist, desto stärker spürt man Preisanstiege. Die Kaufkraft des Einkommens nimmt ab, die Löhne steigen aber nicht im gleichen Ausmaß wie die Preise. Die Konsequenz: Es bleibt real weniger im Börserl.

Basiswissen über die Blockchain

Gewinner:innen des sogenannten Cantillon-Effekts sind Investor:innen und Menschen, die sich mit dem Wechselspiel des Kapitalmarkts beschäftigen. Kurzum: Die finanzielle Elite. Das führt dazu, dass die einkommensstärksten 10 Prozent der österreichischen Bevölkerung mehr als das Dreifache des österreichischen Durchschnitts und siebenmal mehr als die einkommensschwächste Bevölkerungshälfte verdient, wie jüngst eine Studie der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) zeigte. Weltweit gesehen ergeben sich noch krassere Verteilungsunterschiede: Die untere Einkommenshälfte der Bevölkerung hält laut der Entwicklungsorganisation Oxfam nur vier Prozent des gesamten weltweiten Bruttovermögens, während die Top-5-Prozent rund 45 Prozent besitzt.

Wo wir derzeit hinsteuern

Kein Wunder also, dass Menschen stutzig werden, die ihr ganzes Leben lang hart arbeiten und trotzdem am Existenzminimum dahin schrammen. Viele fühlen sich von der Politik verraten, docken unter anderem bei populistischen Heilversprecher:innen an oder suchen Erlösung in simplifizierenden Verschwörungstheorien. Egal ob Trump, Johnson oder Bolsonaro: Sie alle vermitteln ihren Wähler:innen das Gefühl, gehört und verstanden zu werden. Sie alle stellen die Stärkung der heimischen Wirtschaft an oberste Stelle. Kurzum: die Stärkung des kleinen Mannes. Dass sie am Ursprung des Verteilungsproblems, nämlich der Geldmarktpolitik, nicht ansetzen und selbst von der ungerechten Verteilung profitieren, realisieren aber die wenigsten Wähler:innen.

Die anonymen Entwickler:innen hinter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto haben das sehr wohl verstanden. Sie versahen den ersten Bitcoin-Block nicht umsonst mit der Nachricht: „The Times 03 / Jan / 2009 Kanzler am Rande der zweiten Rettungsaktion für Banken.“ Bitcoin ist eine direkte Reaktion auf die Subprime-Krise 2008 und die langjährigen Versäumnisse der globalen Finanzpolitik. Ähnlich wie bei Gold kann nur eine begrenzte Menge an Bitcoins gemined werden. Die Kryptowährung wird in Finanzkreisen deshalb auch gerne als „digitales Gold“ bezeichnet. Anstelle von zentral gesteuerten Banken basiert Bitcoin auf einem dezentralen Netzwerk von tausenden Teilnehmer:innen.

Brüssel: Krypto-Verordnung spaltet die Gemüter 

Gerade in sogenannten „Failed States“ wie Venezuela oder Nigeria wird Bitcoin deshalb als Alternative zu stark an Wert verlierenden nationalen Währungen verwendet. Nicht ganz unbegründet fühlen sich Zentralbanken von dieser Entwicklung bedroht. Immerhin bedeutet komplette Dezentralität auch, dass auf Markt verzerrende Effekte politisch nicht reagiert werden kann. Man kann ein Boot ohne Steuerrad eben nicht lenken. Gleichzeitig bietet das auf Anonymität basierende Modell auch freie Fahrt für Geldwäsche. Die EU möchte mit der MiCA-Verordnung (Markets in Crypto-Assts) im Herbst deshalb das erste internationale Regelwerk für Kryptowährungen einführen. Auch staatlich ausgegebene, digitale Krypowährungen wie etwa der E-Euro stehen im Raum.

Wo wir hinsteuern könnten

Neue Technologien wie jene rund um dezentrale Kryptowährungen bieten die Chance, Probleme im bestehenden Finanzsystem zu lösen. Sie sind aber auch kein Allheilmittel. Der Einsatz von neuen Technologien sollte kritisch hinterfragt werden, auch andere Baustellen im Wirtschaftssystem wie etwa der Umweltschutz müssen beachtet werden. Dennoch muss diese Chance auf einen Neuanfang von den nationalen Regierungen ernst genommen und genutzt werden. Auch Ökonom:innen sollten die Entwicklungen genau beobachten und an neuen Modellen arbeiten. 

Eines ist jedenfalls sicher: Es kann nicht weitergehen wie bisher. So viel Leid, wie es die Welt derzeit erlebt und so viel Zerstörung, wie das jetzige System auslöst, sind mit keinem Profit zu rechtfertigen. Bitcoin und andere Kryptowährungen könnten die Medizin sein, die darüber entscheidet, ob die globale Volkswirtschaft an einem Lungenkollaps eingeht oder ob wir mit einem schlimmen Schnupfen davonkommen. Im Vergleich zu den drohenden Entwicklungen eines global kippenden Finanzsystems dürften die ökonomischen Umwälzungen der Pandemie jedenfalls nur ein milder Corona-Verlauf gewesen sein.

Inflation in Österreich im Juli auf 2,9 Prozent gestiegen

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