Achtung FUD! Die Krypto-Industrie muss sich ihren großen Problemen stellen
„Fear, Uncertainty and Doubt“, kurz FUD, wird gerne jenen Experten, Kritikern, Beobachtern, Unternehmern und Journalisten vorgeworfen, die in ihren Meldungen, Analysen und Tweets die negativen Seiten der Krypto-Industrie beleuchten. Denn wie man auch wieder in den vergangenen Tagen sehen konnte – einige Tweets von Prominenten, allen voran Elon Musk, können harte Preisstürze bei Bitcoin, Ethereum und Co. verursachen. Und das wiederum kann kleinen wie großen Investoren wiederum viel Geld kosten.
Die Probleme der Krypto-Industrie liegen aber tiefer als bloß bei der „Neuerkenntnis“ von Elon Musk, dass Bitcoin-Mining unschönes CO2 verursacht. Die vergangenen Monate haben die Aufmerksamkeit stark auf die Kurse von BTC, ETH, BNB und Co gelenkt. Viel öfter wurde die Frage gestellt „When moon?“, weniger oft wurde gefragt: Funktioniert das alles auch? Wenn die starken Kursbewegungen von Krypto-Assets eines zeigen, dann Folgendes: Der Markt und die darin gebotenen Produkte und Dienste sind noch lange nicht ausgereift – und der Markt und seine Player müssen sich 2021 einigen großen Problemen stellen.
1. Das CO2-Problem
Man kann darüber streiten, wie groß es nun tatsächlich ist, man kann es durch Vergleiche zur Finanzbranche relativieren, aber Fakt ist: Angesichts der Klimakrise ist jedes Kilo CO2, das (aus welchen Gründen auch immer) in die Atmosphäre gepustet wird, eines zu viel. Und Bitcoin und viele andere Proof-of-Work-Netzwerke wie Ethereum, Chainlink oder Dogecoin tragen durch Mining dazu bei, dass die CO2-Belastung steigt.
Indirekt haben es große Bitcoin-Unterstützer wie ARK Invest und Jack Dorsey von Twitter/Square bereits zugegeben, und Elon Musk beschleunigt die Diskussion nun: Die Krypto-Industrie muss klimafreundlicher werden, auf erneuerbare Energien beim Mining setzen und Alternativen zu Proof of Work ins Auge fassen. Ansonsten droht etwa, dass sich sowohl Kleinanleger als auch Großinvestoren von Krypto-Assets abwenden, weil sie nicht zu unseren Klimazielen passen.
2. Staaten und ihre Steuern und Verbote
Indien, Türkei, Indonesien, Südkorea: In den letzten Wochen mehren sich wieder die Meldungen über Pläne von (ziemlich großen) Staaten, dass sie neue Steuern planen oder es ihren Bürgern erschweren wollen, Kryptowährungen zu kaufen. Das wird zwar nicht dafür sorgen, dass Krypto-Assets verschwinden, aber für Milliarden Durchschnittsbürger, der alles brav nach den Regeln machen will, wird es künftig mühsamer und unattraktiver, in Bitcoin und Co zu investieren. Auch in der EU wird es durch DAC-8 (Directive on Administrative Cooperation, bzw. 8. Änderung der EU-Amtshilferichtlinie) bereits 2021 neue Meldepflichten für Krypto-Werte und E‐Geld geben.
Auch wird sich künftig die Frage stellen, wozu private Unternehmen wie Facebook oder Coinbase selbst Stablecoins herausgeben sollten, wenn weltweit mehr als 50 Staaten (von Schweden bis China) in den nächsten Jahren ihre eigenen Digitalwährungen herausgeben könnten. Werden Nutzer dann immer noch USDT kaufen – oder sich lieber E-Euro zulegen? Auch in der EU wird durch kommende MiCA-Regeln (Markets in Crypto Assets) schwerer werden, private Stablecoins auf den Markt zu bringen.
Coinbase: Bitcoin-Boom brachte 2020 Milliardenumsatz und satte Gewinne
3. Binance: Schiefe Geschäfte auf der größten Exchange
Stell‘ dir vor, die New York Stock Exchange unterliegt keinen Regeln, es wird wild mit Werten gehandelt, die Finanzmarktaufsichten überrumpeln, und eigentlich weiß keiner so recht, wo die Betreiberfirma nun wirklich zu Hause ist: Willkommen bei Binance! Die größte Krypto-Exchange der Welt, die den Rest des Marktes beim täglichen Handelsvolumen um Längen schlägt und die einfach mal so Aktien-Token von Tesla und Coinbase auf den Markt bringt, ist nun ins Visier der US-Behörden geraten.
Das Justizministerium als auch die Steuerbehörde IRS haben nun Untersuchungen gegen Binance eingeleitet. Es geht dabei laut Bloomberg vor allem um illegale Transaktionen, die möglicherweise über die Kryptobörse stattfinden. Und dann ist da auch noch die Frage, was eigentlich der Binance Coin (BNB) ist. Mehr als 60 Milliarden Euro bringt die Nummer 3 am Krypto-Markt an Kapitalisierung auf die Waage, aber eindeutig ist nicht, was BNB nun ist. Ein Gutschein-Token, um Handelsgebühren bei Binance zu bezahlen? Ein Mittel, um Transaktionen auf der Binance Smart Chain (BSC) zu bezahlen? Oder doch irgendwie auch ein digitales Wertpapier von Binance selbst?
Binance wegen möglicher illegaler Geschäfte im Visier von US-Behörden
4. Dogecoin: Der teuerste Witz der Welt
Ok, eigentlich sollte das gar kein Thema sein, ist es dank Elon Musk aber trotzdem. 2013 als Abspaltung von Litecoin von zwei Entwicklern, die sich in einem Forum kennen lernten, in wenigen Stunden als offizielle Persiflage auf Bitcoin entworfen, steht Dogecoin immer noch bei einer Marktkapitalisierung von mehr als 50 Milliarden Euro. 50 Milliarden Euro, das ist mehr als Unternehmen/Brands wie Ferrari, Ford, Southwest Airlines, Porsche oder Deutsche Bank auf die Waage bringen.
Und selbst jene, die Dogecoin (DOGE) ernst nehmen und darin eine mögliche Zukunft als Kryptowährung des kleinen Internetnutzers sehen, müssen sich eingestehen: Dogecoin ist beim Mining hinsichtlich Energieverbrauch ineffizienter als viele andere Coins und Tokens, technisch veraltet und einem einzigen Mann ausgeliefert, der den Kurs nach oben oder unten schicken kann, wie es ihm beliebt.
5. Cardano & Polkadot: Wie gut ist Proof of Stake?
Proof of Work (PoW) ist wegen des energieintensiven Mining-Prozesses etwas in Verruf geraten. Immer mehr Beobachtern gilt Proof of Stake als Lösung dieser Probleme. Die PoS-Netzwerke Cardano und Polkadot haben in den letzten Tagen stark von der Kritik an Bitcoin und Ethereum profitiert, weil sie als weitaus energieeffizientere Blockchains gelten. Auch Ethereum soll, möglicherweise schon dieses Jahr, von PoW auf PoS wechseln.
Doch einen echten Beweis, dass Proof of Stake wirklich funktioniert, gibt es nicht. Die Beispiele von dezentralisierten Anwendungen, die auf Cardano, Polkadot und anderen PoS-Netzwerken laufen, sind überschaubar. Auch muss sich PoS den Vorwurf gefallen lassen, dass es die „Reichen reicher“ macht. Denn beim Staking sichern die Einlagen der Nutzer das Netzwerk ab – wer etwa ETH bei Ethereum 2.0 einbringt, wird künftig anteilig durch neue Token belohnt. Wer also viele Token hat, wird immer mehr Token bekommen, und der Einfluss im Netzwerk von großen Stakeholdern lässt sich nicht reduzieren. Bei Proof of Work ist das anders – da gibt es einen Wettbewerb unter den Minern, die sich regelmäßige Wettrüsten liefern.
6. Tether und die zweifelhafte Deckung von Stablecoins
Es ist ein Katz-und-Maus-Spielchen, dass Tether/Bitfinex und die Aufsichtsbehörden seit Jahren spielen. Nach einer Millionenstrafe in New York und einem Handelsverbot für den Stablecoin USDT im selbigen US-Bundesstaat haben die Tether-Macher versprochen, transparenter zu werden. Stück für Stück müssen sie mit den Infos herausrücken, durch welche Werte USDT nun wirklich gedeckt ist. Stellte sich zuletzt heraus, dass die knapp 48 Milliarden Euro Marktkapitalisierung des Stablecoins durch 50 Prozent Schuldverschreibungen und lediglich 3 Prozent Cash gedeckt sind.
Nun sind Dollar und Euro auch schon lange nicht mehr durch eine äquivalente Menge an Gold oder eines anderen physischen Werts gedeckt – doch genau das ist es, was Bitcoiners und Krypto-Afficionados Fiatgeld immer vorhalten. Nun zeigt sich, dass der meist gehandelte Token der Krypto-Welt (ja, es ist USDT und nicht BTC) auf mindestens genauso wackeligen Beinen steht. Folgendes Gedankenspiel: Würden alle USDT-Halter ihre Token gleichzeitig eintauschen – würden sie die gleiche Menge an Fiatgeld zurück bekommen? Man darf zweifeln.
7. XRP und die immer noch offene Wertpapier-Frage
Wenn man sich den Kurs von XRP ansieht, dann scheint vergessen zu sein, was im Dezember 2020 passiert ist. Ja genau, da hat nämlich die US-Börsenaufsicht SEC die kalifornische Krypto-Firma Ripple, Herausgeber von XRP, auf 1,3 Milliarden Dollar verklagt. Ein negatives Urteil gegen Ripple kann nicht nur ziemlich teuer für Brad Garlinghouse und seine Truppe werden, sondern auch weitere Schockwellen durch die Branche schicken. Denn sollte XRP als Wertpapier von Ripple eingestuft werden, dann ist neu zu fragen, was eigentlich BNB, LINK, ICP, ADA, XLM oder SOL darstellen. Sind es nur irgendwelche Krypto-Assets, oder sind es nicht eigentlich Aktien-ähnliche Finanzprodukte, die unreguliert am Markt gehandelt werden?
EOS: 24 Millionen Dollar Strafe für Blockchain-Firma Block.one
8. Der „Internet Computer“ und andere Versprechungen
Ein dezentralisierter Cloud-Speicher, ein dezentralisiertes YouTube, eine dezentralisierte Cloud, ein dezentrales Social Network: Mit Filecoin (FIL), Dfinity (ICP), EOS (Voice.com) oder Theta sind dieses Jahr Krypto-Unternehmungen ins Rampenlicht getreten, die bereits 2017/2018 während dem großen ICO-Hype ziemlich viel Kapital aufgenommen haben. Nun treten sie grob vier Jahre später der Reihe nach auf den Plan und bemühen sich, die Versprechungen der letzten Jahre auch einzuhalten.
Doch Facebook, Google oder Dropbox können sie auch nach mehreren Jahren Arbeit wenig bis gar nichts entgegenstellen. Die Whitepaper lesen sich allesamt toll, doch faktisch betrachtet werden die dezentralisierten Blockchain-Plattformen wenig bis gar nicht genutzt. Den „Internet Computer“ hat immer noch Amazon Web Services und nicht Dfinity – nur nennt Jeff Bezos ihn nicht so.
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