Interview

Adamah-Gründer: „Ein billiges Lebensmittel kann es nicht geben, weil irgendwer draufzahlt“

Sigrid und Gerhard Zoubek haben den Biohof Adamah gegründet © Tina Herzl
Sigrid und Gerhard Zoubek haben den Biohof Adamah gegründet © Tina Herzl
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Gerhard Zoubek hat 1997 gemeinsam mit seiner Frau Sigrid den Bauernhof der Schwiegereltern in Glinzendorf bei Wien übernommen und in einen reinen Bio-Betrieb umgewandelt. Adamah ist in Wien beinahe Synonym mit Obst und Gemüse, das direkt vom Bauernhof im „Kistl“ geliefert wird und der Hof ist auch Schaubetrieb, denn den Zoubeks ist wichtig, dass „die Leute verstehen, woher ihr Essen kommt“. Trotzdem bleibt Landwirtschaft ein hartes Geschäft: Im Interview mit Tech & Nature spricht der Bauer über Bio-Trittbrettfahrer, Preisdruck, gebrochene Karotten und Erntehelfer aus Rumänien.

Tech & Nature: Im Frühjahr, mitten im Lockdown war bei Adamah so viel zu tun, dass Neukunden abgewiesen wurde. Wie hat sich das Geschäft mit den Bio-Kistln seither entwickelt?

Gerhard Zoubek: Corona hat uns über Nacht erwischt. Es waren Freitag, der 13. März und das darauffolgende Wochenende, das uns beinahe überfordert hat – ich glaube, es waren an die 2.000 Neukunden. Wir haben die folgende Woche zwar geschafft: 16.500 Kisterln für ungefähr 8.000 Kundinnen und Kunden. Danach haben wir erst einmal alles eingefroren und geschaut, was wir machen können, um diesem Ansturm gerecht zu werden. Seit damals machen wir zwei Schichten und arbeiten mit Leihpersonal, das wir von einer Firma haben, die sonst Leiharbeiter für den Eventbereich organisiert. Die Eventbranche war ja vollkommen am Boden. So können wir das hohe Niveau des Frühjahrs halten und ich glaube, dass das auch so bleibt, weil es ein gewisses Umdenken gegeben hat.

Wie gut verkauft sich eigentlich das Kisterl mit regionalem Obst und Gemüse? Ist das beliebt oder wollen die meisten Kunden dann doch Bananen dabei haben?

Die Banane ist das zweithäufigst gekaufte Obst in Österreich nach den Äpfeln. Es gab eine Zeit, in der wir gemeint haben, wir verkaufen keine Bananen, weil die bei uns noch nicht wachsen. Die Kundinnen und Kunden sind dann in den Supermarkt gegangen, um Bananen zu kaufen. Oft machen sie dann gleich den ganzen Wocheneinkauf dort. Also haben wir uns entschieden, alles kontrolliert biologisch und wenn möglich fair gehandelt anzubieten. Das Regionalkistl ist jetzt gerade noch schön vielfältig in Österreich. Im Winter ist das regionale Angebot aber schon recht einfältig – das sind dann die Hardcore-Konsumenten.

Die Regierung hat die Regionalisierung ganz oben auf die Agenda geschrieben. Ist das aus Ihrer Sicht im Lebensmittelbereich sinnvoll?

Wir wundern uns in Österreich immer, warum es eigentlich Vorbehalte gegen bio als die normale Landwirtschaftsform gibt. Es gibt in Österreich schon 25 Prozent Biobauern und ich ärgere mich oft darüber, dass wir in der Landwirtschaftskammer, wo wir Zwangsmitglieder sind, überhaupt nicht wahrgenommen werden. Eigentlich müsste man sagen: Ich fühle mich bei euch nicht vertreten, lasst mich bitte aus dieser Standesvertretung raus. Ich verstehe nicht, warum man so stark in diese chemische-industrielle Richtung kippt. Es funktioniert nicht, weil es wider die Natur ist. Auch die ganze Pandemie hat ja damit zu tun, dass wir immer wieder versuchen, nicht mit der Natur zu leben, sondern alles daran setzen, brutal gegen die Natur zu arbeiten. Das finde ich nicht nur nicht natürlich, sondern auch blöd.

Bevor wir noch einmal über die Bio-Landwirtschaft sprechen, hätte ich eine Nachfrage zur „Regionalisierung“: Was ist für Sie eigentlich „die Region“?

Wenn ich das verschiedenen Menschen frage, höre ich immer wieder „alles, was aus Österreich kommt“. Der Vorarlberger Bergkäse ist von Wien aber 750 Kilometer entfernt. Wenn ich da einen Radius ziehe bin ich am Schwarzen Meer oder fast in Sizilien. Wir haben Obst aus der Grenzregion in Tschechien – früher war das der Obstgarten von Wien. Da höre ich jetzt manchmal, „um Gottes Willen, das ist ja aus dem Ausland“. Wir für uns sagen, alles was in einem Radius von 300 Kilometern um Glinzendorf liegt, ist regional – da ist die Transportlogistik noch sinnvoll.

Sie haben gesagt, Bananen wachsen „noch“ nicht bei uns. Rechnen Sie damit, dass die Klimakrise das ändern könnte?

„Noch nicht“ stimmt nur begrenzt. Es gibt immer wieder Freaks, die in Mitteleuropa in Glashäusern Bananen ziehen. Ich würde es mir nicht wünschen. Das würde ja eine Temperatursteigerung und keinen Frost mehr bedeuten. Es hat doch etwas Schönes, wenn wir uns in der Region unsere vier Jahreszeiten erhalten. Ich hoffe nicht, dass es so weit kommt, dass auch die Banane bei uns wächst.

Wenn es um Bio-Landwirtschaft geht, höre ich oft, dass das schwierig ist, weil die Auflagen streng und der Preisdruck groß ist. Wie löst Adamah dieses Problem?

Es heißt immer wieder, dass die Kontrollen halt Geld kosten. Da muss man die Kirche im Dorf lassen. Wenn man dafür nicht 300 bis 500 Euro Jahreskosten aufwenden will und dann sagt, man produziere eh biologisch, kann das schon sein. Aber jeder Erfolg animiert eben auch Trittbrettfahrer und Betrüger. Deshalb liefern wir ausschließlich kontrolliert biologische Ware. Es ist gesetzlich geregelt, was ein Bioprodukt ist. Alles andere ist Betrug.

Die Frage nach dem Preisdruck hat mit dem Wert der Lebensmittel zu tun. In den letzten 50 Jahren hat sich, am Anteil des Haushaltseinkommens gemessen, der Stellenwert von Lebensmitteln massiv verringert. Nach dem Krieg hat man noch 45 bis 50 Prozent des Haushaltseinkommens für Lebensmittel aufgewendet. Heute sind es unter 10 Prozent des Haushaltseinkommens – das finde ich beschämend. Dafür wird ein großer Anteil des Haushaltseinkommens für Freizeit, Auto, Handy, Spielen und Wohnen ausgegeben. Das rückt Lebensmittel in einen Stellenwert, den sie nicht verdient haben. Ein billiges Lebensmittel kann es nicht geben, weil irgendwer draufzahlt: Menschen in Entwicklungsländern, Tiere, die unheimlich würdelos und unter großem Leid herangezogen werden, oder es zahlt die Umwelt drauf.

Gibt es etwas dazwischen? Eine nachhaltige Landwirtschaft ohne Bio?

Ich erkläre das gerne mit einem Vergleich. Es ist so wie schwanger sein. Ein bisschen schwanger gibt es nicht. Es gibt entweder den biologischen Ansatz oder den konventionell-industriellen Ansatz. Das sind ganz verschiedene Zugänge. Der konventionelle Landbau düngt die Pflanze – Kunstdünger muss unter Wasseranwendung von der Pflanze aufgenommen werden. Das ist ein Turboschub für die Pflanze, ein bisschen wie in der modernen Medizin, wo Menschen auf der Intensivstation schon vorbeugend die ganzen Medikamente bekommen.

Biologische Landwirtschaft düngt den Boden. Der Biobauer hält den Boden lebendig – mit Kompost und Fruchtfolge, mit Zwischenbegrünungen, mit Mist und organischer Masse, die man in den Boden einbringt. Damit sich die Pflanze dann genau das aus dem Boden nehmen kann, was sie zum wachsen und gedeihen braucht.

Wie müsste die Ernährung der Zukunft aus Ihrer Sicht aussehen?

Wir dürfen nicht mehr so viel wegwerfen. Wir müssen uns bewusst werden, dass ein krummer Kartoffel oder eine gebrochene Karotte keine Qualitätsminderung ist. Dann könnten wir viel mehr Ware in den Kreislauf hineinbringen. Beim Fleischkonsum sollten wir uns vielleicht reduzieren. Wir müssen nicht jeden Tag zweimal Schnitzel essen. Wir sollten vielleicht darauf achten, dass wir hochwertiges Fleisch als Beilage nehmen und anderes Schmackhaftes wie Salat, Kartoffeln, Gemüse als Hauptspeise verwenden. Wir könnten auch weniger Zuckerhaltiges trinken und stattdessen ein gutes Glaserl Wein, Bier oder Fruchtsäfte. Es soll ja auch Spaß machen und begeistern.

Viele Lebensmittel landen am Müll. Passiert das am Biohof Adamah auch?

Durch das System der Direktvermarktung haben wir das Glück, dass wir den Kundinnen und Kunden etwas erklären können. Wenn wir auf einer Apfelplantage einen Hagel hatten und die Schale ist angeschlagen, kann man das schon erklären. Meiner Meinung nach kann man auch erklären, dass ein Apfel mit Schalenfehler vielleicht einen besseren Geschmack hat und mehr Inhaltsstoffe als der makellose Supermarkt-Apfel. Das ist Kommunikationssache. Wir können allerdings noch keine gebrochenen Karotten vermarkten, das ist noch ein weiter Weg. Und wir müssen auch sonst einiges aussortieren, dass keinen Schönheitswettbewerb gewinnen würde. Das schmeißen wir aber nicht weg, sondern arbeiten mit Einrichtungen wie dem Wiener Hilfswerk zusammen, die das abholen und entweder in einen SOMA-Markt geben oder herschenken. Wenn es wirklich nicht mehr geht, wird aus der Ware Kompost oder führen sie in eine Biogas-Anlage.

Die Krise hat auch auf die prekäre Lage der Erntehelfer aufmerksam gemacht. Wer hilft denn am Biohof Adamah bei der Ernte?

Wir haben in der Landwirtschaft 40 Leute und insgesamt sind wir 130. Während des ganzen Jahres haben wir außerdem zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das ist eine schwere, harte Arbeit und wir können aufgrund der Situation mit den niedrigen Preisen leider nicht mehr bezahlen – wir bezahlen natürlich nach Kollektivvertrag, aber der ist bescheiden. Wir haben Helferinnen und Helfer aus Bratislava, die kommen schon sehr lange und fahren jeden Tag hin und her. Als Saisonarbeitskräfte kommen auch Rumänen – das ist eine junge Truppe, die sich jedes Jahr selbst organisiert. Für die haben wir ein eigenes Wohnhaus in der Nachbarortschaft. Heuer war das so, als die Diskussion um Reisebeschränkungen losging, haben sie angerufen und gefragt, ob sie nicht schon drei Wochenfrüher kommen können.

Aber natürlich ist das ein Thema. Da gibt es ein Oligopol bei der Abnahme, das einen unglaublichen Preisdruck macht und das wirkt sich natürlich auch auf Arbeitskräfte aus. Das ist nicht gerecht, aber das System ist leider so. Der Obmann einer landwirtschaftlichen Organisation hat mal gesagt: Landwirtschaft ist eine brutale Sparte, aber er kennt keinen Bauern, der Millionär ist. Das macht mich zornig: Warum gibt es Millionäre eigentlich nur bei Börsenspekulanten oder in Konzernen?

Ist die Direktvermarktung ein Baustein, der helfen kann?

Natürlich! Das war unser Ursprung – weder meine Frau, noch ich sind gelernte Bauern. 1997 haben wir den Betrieb der Schwiegereltern übernommen. Wir hatten die ganz starke Vision, dass wir einen Biobetrieb wollen und wir hatten die günstige Lage mit Wien vor der Haustüre, durch die wir uns in die Direktvermarktung getraut haben.

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