Warum der AI Act zu scheitern droht – und was Österreich damit zu tun hat
Clemens Wasner ist CEO des AI-Startups enliteAI sowie Vorsitzender des Vereins AI Austria. in diesem Gastbeitrag beschäftigt er sich mit der Rolle Österreichs in den zähen Verhandlungen des AI Act der EU.
Wie über das Wochenende aus gut informierten Quellen zu erfahren war, steht der European AI Act erneut an der Kippe. Angesichts der bevorstehenden EU-Wahl im Juni hätte eine Verschiebung zum jetzigen Zeitpunkt das Potential, die gesamten Bemühungen der letzten Jahre zunichte zu machen.
Worum geht es?
Am 8. Dezember 2023 erzielten das Europäische Parlament und der EU Rat eine vorläufige Einigung über den AI Act, der eine risikobasierte Regulierung von AI Systemen in allen EU-Mitgliedstaaten vorsieht. Diese Einigung folgte auf 36-stündige Marathon-Verhandlungen zwischen dem spanischen Vorsitz des Ministerrats, Vertretern des Europäischen Parlaments und Beamten der Europäischen Kommission. Zum damaligen Zeitpunkt wurde dies bereits als entscheidender Durchbruch gefeiert, da eine Zustimmung im Ministerrat nur eine Formsache sei.
Bereits vor der Einigung war ein besonders umstrittener Punkt die Regelungen rund um General Purpose AI Modelle. Dabei handelt es sich um Modelle, die in der Lage sind, eine breite Palette unterschiedlicher Aufgaben zu bewältigen bzw im Originalwortlaut: “an AI model, including when trained with a large amount of data using self-supervision at scale, that displays significant generality and is capable to competently perform a wide range of distinct tasks regardless of the way the model is placed on the market and that can be integrated into a variety of downstream systems or applications”
Diese Skepsis wurde vor allem von Frankreich und Deutschland getragen, wo mit Aleph Alpha und Mistral AI die größten genAI-Player Europas ihren Stammsitz haben.
Im beschlossenen Entwurf des AI Act würden Anbieter solcher Modelle dazu verpflichtet werden, eine ausführliche Zusammenfassung der für das Training verwendeten Inhalte öffentlich zugänglich zu machen.
Opening Pandora’s Box… again
Diese Maßnahmen, welche darauf abzielen, ein Gleichgewicht zwischen dem Schutz von Intellectual Property und der Durchsetzung von Rechten nach Unionsrecht herzustellen, sind zum Stein des jüngsten Anstoßes geworden.
Während Frankreich zwischenzeitlich sogar eine Wiedereröffnung der Trilog-Verhandlungen anstrebte, signalisierte Deutschland zunächst ebenfalls den Wunsch nach Business-freundlicheren Regelungen.
Diese Ansicht wird jedoch nicht von allen EU-Mitgliedstaaten geteilt. Die endgültige Annahme des Gesetzes durch den EU-Ministerrat ist aufgrund dieser Änderungswünsche nun nicht mehr fix.
Laut dem Portal Politico gab es ähnliche Bedenken auch seitens Italien und Österreichs. Diesen Freitag, den 2. Februar, werden Regierungsvertreter der EU-Mitgliedsstaaten bei einem Treffen des Ministerrats über diese Last-Minute-Anforderungen diskutieren. Ursprünglich war vorgesehen, dass es in dieser Sitzung lediglich zu einer Absegnung des Textes kommen wird, nachdem die politische Einigung bereits im Dezember erzielt wurde. Da einige Länder jedoch Änderungen anstreben, herrschte kurz Ungewissheit hinsichtlich des Zeitplans für die Verabschiedung des Gesetzes durch den Rat.
Wie verhält sich Österreich?
Mittlerweile konnte man sich in Deutschland zu einer gemeinsamen Linie durchringen und wird am Freitag zustimmen. Aus Frankreich sickern mittlerweile bereits ähnliche Informationen durch. Trotz unterschiedlicher Meinungen und der späten Hürden bei der Einigung wird der AI Act sehr wahrscheinlich im Frühjahr verabschiedet werden. Dies liegt sowohl am politischen Willen als auch an der Wirtschaft, die klare Vorgaben der jetzigen Situation bevorzugt. Der AI Act hat sich für die Kommission zu einem Kernthema entwickelt und man wird es nicht zulassen wollen, dass dieser im sprichwörtlich letzten Moment gestoppt wird.
Wie passt nun Österreich in dieses Bild? Auch hierzulande gibt es rund um das Thema biometrische Identifikation Last-Minute-Bedenken, die eine Zustimmung am Freitag schwer bis unmöglich machen. Es gehört zum Wesen einer Demokratie, dass weitreichende Regulierung wie der AI Act von allen Parteien diskutiert und kritisiert wird.
Niemand wird mir vorwerfen, ein unkritischer Regulierungsbefürwörter zu sein, nichtsdestotrotz empfinde ich die aktuellen Vorgehensweise sehr unglücklich, da sie für alle Beteiligten die Unsicherheit erhöht:
- Eine Ablehnung des AI Acts zum jetzigen Zeitpunkt würde nicht sein Ende bedeuten, sondern lediglich zu Verzögerungen führen. „Too big too fail“ wurde hier schon vor langer Zeit erreicht.
- Unternehmen benötigen Klarheit über die rechtlichen Rahmenbedingungen, um sicher und effizient in AI zu investieren und eigene Lösungen zu entwickeln. Eindeutige Richtlinien sind entscheidend für die Planungssicherheit und das Wachstum in diesem Sektor.
Vielmehr sollte der AI Act als dynamisches Dokument angesehen werden, das sich an neue Entwicklungen und Erkenntnisse anpasst. Es muss flexibel genug sein, um auf technologische Fortschritte und gesellschaftliche Veränderungen reagieren zu können.
Österreich hat in den letzten Monaten große Anstrengungen unternommen, um die Einführung des AI Act für alle Betroffenen so reibungslos wie möglich über die Bühne zu bringen. Mit der im Dezember vorgestellten KI Servicestelle gibt es eine zentrale Anlaufstelle zu allen rechtlichen Fragen, als flankierende Maßnahme gab und gibt es Förderungen wie z.B. aws AI Adoption, die sich spezifisch auf die Schnittstelle AI und Regulation konzentrieren.
Es wäre schade, wenn unsere Bundesregierung das letzte Hindernis auf einem europäischen Weg sein sollte, der bereits vor Jahren begonnen hat. Zum jetzigen Zeitpunkt wäre nichts fataler als eine Verschiebung, die zu einem Vakuum führen würde, das von 27 nationalen Regulierungen aufgefüllt wird. In diesem Sinne: Get your AI Act Together.