Ali Mahlodji: „Der Hausverstand ist der größte Feind des Startup-Hypes“
Ali Mahlodji ist Gründer des Wiener Start-ups Whatchado, spricht in In- und Ausland auf Konferenzen und an Schulen zu den Themen Ausbildung, Beruf und Berufung und schreibt ab sofort regelmäßig auf Trending Topics über seine Sicht auf die Startup-Szene.
Was macht man, wenn man 400 Dollar übrig hat? Eine Saftpresse kaufen zum Beispiel, die – genau – Saft presst. Ist ein Schnäppchen, weil das Teil bis vor kurzem noch 700 Dollar gekostet hat. Ihr habt sicher von Juicero gelesen. Das Startup aus dem Silicon Valley ging wie kein anderes in den vergangenen Wochen durch die Medien. Zur Hardware muss der geneigte Konsument auch extra Packungen bestellen, die auch nur innerhalb des Haltbarkeitsdatum ausgepresst werden. Angeblich – so Gerüchte – funktioniert das Ding auch nur, wenn es mit dem WLAN verbunden ist. Juicy!
Warum denn bitte nicht wie immer schon?
Unterm Strich hat der gestresste, gesundheitsbewusste Gründer also eine Saftpresse, die wie eine Mischung aus Tesla und iPhone 7 für die Büroküche daherkommt, 400-700 Dollar kostet. Die dazu Saft aus Verpackungen presst, damit das Kunststück schafft noch mehr Müll zu produzieren als eine Kapselkaffee-Maschine, nach strikten Vorgaben arbeitet das nur dann, wenn sie mit einem WLAN verbunden ist. Am Ende presst sie Saft. Das schafft ein Mensch eigentlich auch mit seinen beiden Händen – ohne das Silicon Valley.
Und so kam, was kommen musste: Bloomberg veröffentlichte letzte Woche ein Video, in welchem genau diese Absurdität anhand eines Videos gezeigt wurde: Die Zuseher wurden Zeuge, wie ein Mensch (also ein echter, ohne HighTech-Implantate) im Wettstreit mit der Juicero-Maschine Saft presst. Ergebnis 1:1 dasselbe Ergebnis.
Bis zu diesem Video war allem Anschein zufolge niemanden bewusst, wie lächerlich die Maschine und ihre „Problemlösung“ eigentlich ist.
Das Influencer-Chaos
Das Unternehmen hinter der Presse ist ein Darling von Startup-Investoren (z.B. Thrive Capital, Campfire Capital, Acre Venture Partners). Auch der NLP-Superguru Anthony Robbins bewarb das Gerät in den höchsten Tönen. Ein herrlicher Hype mit allem, was ein Hype heute braucht: Influencer, Startup-Gründer und Online-Heroes, die glückstrahlend auf YouTube Saft pressen. Deshalb investierten Menschen um die 120 Millionen Dollar in ein Gerät, dessen Reparatur komplexer ist als der Aufbau einer kompletten Ikea-Einbauküche für jemanden mit zwei linken Händen. Der Hausverstand, der sich auf die Hände schaut, dann Obst und Gemüse aufschneidet und durch eine manuelle Saftpresse quetscht, scheint der natürliche Feind des Startup-Hypes zu sein.
Nun, ich bin Wiener, und Wiener sind alle ein bisschen „anders“. Wenn ich als Wiener von einer Saftpresse höre, die fast 390 Euro kostet, denke ich automatisch an all die schlecht gelaunten Pendler in der U-Bahn, die das Business-Modell zwischen Schottentor und Schottenring montags um halb acht in der Luft zerreißen.
Wir Wiener sind gut darin, tolle Entwicklungen der Menschheit abzustrafen und unser „simples“ Denken über die Hightech-Welt und deren Wünsche für eine gutes Leben in Frage zu stellen. Ist das immer gut? Nein, eher bremsend und zeitgleich auch ein Garant, dass wir „ned jeden Scheiß mitmachen“. Der Komponist Gustav Mahler soll einmal gesagt haben: „Wenn die Welt einmal untergehen sollte, ziehe ich nach Wien, denn dort passiert alles fünfzig Jahre später.“
Bodenständigkeit ist ein Bonus
Wir sind manchmal etwas hinterher. Das ist aber halb so wild, denn gleichzeitig ist diese Mischung aus Gemütlichkeit und bodenständigem Realismus, der dem Hype einiges voraus hat. Bevor wir am Sonntag Geld für eine Zeitung ausgeben, investieren wir lieber in unser Schnitzel, denn da ist was „echt Sinnvolles“ drinnen, und lassen die Zeitung einfach mal so mitgehen. Wir sind praktisch veranlagt und wenn wir einen Saft wollen, dann pressen wir uns diesen selbst.
Wir leben in einer Welt voller Möglichkeiten. Doch die, die an den Hebeln sitzen, haben aus lauter Angst, das nächste große Ding zu verpassen, jegliche Bodenhaftung verloren. Die Lust „bei einem Deal“ mitzugehen, ist eng gepaart mit einem Ego, das befriedigt werden will und der Angst, nicht dabei gewesen zu sein, wenn sich wieder etwas Weltbewegendes getan hat.
Die Zukunft der gesunden Ernährung?
Was vor kurzem noch das Balzverhalten zwischen Startups und Investoren auf internationaler Ebene war, schwappte nach Österreich. Ich wurde Zeuge, wie von Angst getriebene Investments unterschrieben wurden, die nur das Ego bedienten und sicherstellten, dass die Investoren das potenziell „nächste große Ding“ nicht verpassen, auch wenn es sechs Monate später den Bach runtergeht.
Ich habe versucht zu verstehen, warum Investoren so viel Geld in Juicero investieren. Ein logischer Grund fiel mir nicht ein. Bis ich erlebte, warum Kunden das Produkt kauften.
Ich lernte einen jungen Briten kennen, der für sein Startup so eine Presse gekauft hatte und mir stolz die „Zukunft der gesunden Ernährung“ präsentierte. Er konnte mir keinen „echten“ und nachvollziehbaren Vorteil gegenüber einer handelsüblichen 4-Euro-Metallsaftpresse vermitteln, war aber überzeugt, dass Juicero ein nices Ding war. Irgendwann rutschte ihm raus „Ali, da sind so viele coole Leute dabei, die drauf setzen – das kann kein Quatsch sein“.
Die Meinung der Peer-Group
Wir sollten manchmal innehalten und reflektieren, was da eigentlich vor sich geht. Wir übersehen, dass sich unsere Meinung zu einem Großteil aus den Meinungen unserer Peer-Group zusammensetzt. Diese Blindheit ermöglicht es, dass Unternehmer 120 Millionen Dollar für eine Erfindung bekommen, über die Herr Müller aus dem 14. Wiener Gemeindebezirk nach einem Pitch den Daumen nach unten gesenkt hätte.
Es ist an der Zeit, Demut und bodenständigen Realismus nicht den Bremsern zuzuschreiben, sondern als einen guten Freund zu akzeptieren, der uns davor bewahrt, über eine Klippe zu springen, an deren Grund ein Felsboden auf uns wartet. Und nicht das erwartete, sanft wogende Meer.