Analyse: Viel heiße Luft hinter den Netto-Null-Zielen der 25 größten Unternehmen
“Netto-Null” oder auch “Klimaneutral”: Das sind die Stichworte, die die Diskussionen um den Kampf gegen die Klimakrise immer begleiten. Sowohl Unternehmen, als auch Städte und ganze Länder publizieren Pläne, wie sie bis zu einem bestimmten Zeitpunkt klimaneutral werden wollen. Dazu stellt beispielsweise die Automobilindustrie auf E-Autos um, Städte bauen den Öffentlichen Nahverkehr aus und Staaten investieren in Erneuerbare Energien. Doch all diese Vorhaben sind meistens eingebettet in eine Vielzahl von Verklausulierungen und Seiten an Text. So können gerade Laien oft nicht einsehen, wie sehr Institutionen wirklichen an ihrem ökologischen Fußabdruck arbeiten.
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Zwölf Unternehmen mit „sehr geringer“ Integrität bewertet.
Genau diese unübersichtlichen Versprechen hat jedoch nun das NewClimate Institute in Zusammenarbeit mit Carbon Market Watch untersucht. In ihrem Corporate Climate Responsibility Monitor, der heute veröffentlicht wurde, bewertete das Institut 25 große Unternehmen aus verschiedenen Sektoren und Regionen, um die Transparenz und Integrität ihrer Klimazusagen zu ermitteln. Untersucht wurden: Amazon, Deutsche Telekom, Enel, GlaxoSmithKline, Google, Hitachi, IKEA, Vale, Volkswagen, Walmart, Accenture, BMW Group, Carrefour, CVS Health, Deutsche Post DHL, E.ON SE, JBS, Nestlé, Novartis, Saint-Gobain und Unilever. Dabei kam die Analyse laut eigenen Angaben zu dem Ergebnis: Im Durchschnitt verpflichten sich die 25 größten Unternehmen der Welt nur zu einer Reduzierung ihrer Emissionen um 40 Prozent.
Laut dem Institut würde die Behauptungen wie „Netto-Null“ und „Kohlenstoffneutral“ oft zu der falschen Schlussfolgerung führen, dass Unternehmen 100 Prozent ihrer Emissionen einsparen wollten. Nach detaillierter Bewertung der Forschenden, konnten jedoch nur die Klimaversprechen der dänische Unternehmensgruppe Maersk aus den Bereichen Logistik und Transport mit „angemessener Integrität“ bewertet werden. Apple, Sony und Vodafone wurden immerhin noch mit einer “mäßigen Integrität” eingestuft. Die Netto-Null-Zusagen zehn weiterer Unternehmen wurden mit “gering” und die restlichen zwölf mit „sehr geringer“ Integrität bewertet.
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Zwölf Unternehmen haben keine Emissionsreduktionsverpflichtungen
Dreizehn Unternehmen untermauerten ihre Netto-Null-Zusagen mit ausdrücklichen Emissionsreduktionsverpflichtungen. Im Zuge derer verpflichteten sie sich jedoch im Durchschnitt nur, ihre Emissionen in der gesamten Wertschöpfungskette ab 2019 um 40 Prozent zu reduzieren. 100 Prozent, wie oft in Aussendungen beworben, seien nicht vorgesehen. Die verbleibenden zwölf Unternehmen legten gar nicht erst spezifische Emissionsreduktionsverpflichtungen für ihr Netto-Null-Zieljahr dar, so die Analyse. Des weiteren würden sich nur drei der 25 Unternehmen – Maersk, Vodafone und die Deutsche Telekom – in ihren Kernaussagen eindeutig zu einer tiefgreifenden Dekarbonisierung von mehr als 90 Prozent ihrer Emissionen in der gesamten Wertschöpfungskette verpflichten, so die Ergebnisse der Analyse.
„Wir haben uns vorgenommen, so viele nachahmenswerte gute Praktiken wie möglich aufzudecken, aber wir waren ehrlich gesagt überrascht und enttäuscht über die allgemeine Integrität der Aussagen der Unternehmen“, sagte Thomas Day vom NewClimate Institute, Hauptautor der Studie in einer Aussendung. „Während der Druck auf die Unternehmen steigt, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen, fehlt es ihren ehrgeizig klingenden Schlagzeilen allzu oft an echter Substanz, was sowohl die Verbraucher als auch die Regulierungsbehörden, die für die strategische Ausrichtung der Unternehmen entscheidend sind, in die Irre führen kann.”
Greenwashing in den Unternehmen
Diese fehlende Substanz zeige sich laut dem Institut vor allem auch in in den undurchsichtigen Strukturen der Unternehmen. Viele Zusagen zum Schutz des Klimas würden durch umstrittene Pläne zur Emissionsreduzierung an anderer Stelle, versteckte kritische Informationen und Buchhaltungstricks untergraben. Das zeige sich laut dem NewClimate Institut durch bestimmte Emissionen und Marktsegmente, die Unternehmen häufig aus ihrer Klimabilanz ausschlossen. Von den untersuchten Unternehmen, hätten acht Unternehmen vor- oder nachgelagerte Emissionen der Wertschöpfungskette ausgeschlossen, die jedoch in der Regel 90 Prozent der gesamten Emissionen ausmachten. Ein Beispiel dafür sei E.ON. Der europäische Energiekonzern schließe Marktsegmente aus seiner Bilanz aus, die mehr als 40 Prozent seines Energieabsatzes ausmachten, kritisieren die Forschenden. Auch das Einzelhandelsunternehmen Carrefour schließe Standorte aus, die über 80 Prozent der Carrefour-Markengeschäfte ausmachten.
Außerdem würden sich der der Studie zufolge 24 von 25 Unternehmen wahrscheinlich auf Kompensationsgutschriften unterschiedlicher Qualität verlassen. Mindestens zwei Drittel der Unternehmen setzten dabei auch Wälder und ähnliche biologische Kohlenstoffspeicher, anstatt ihre eigenen Emissionen zu reduzieren. Dieser scheinbare Ausgleich könne aber schon durch einfach natürliche Phänomene, wie ein Waldbrand, zunichte gemacht werden.
Des weiteren spielen die Unternehmen gerne mit den Zahlen. Laut dem NewClimate Institut könne beispielsweise das Einzelhandelsunternehmen CVS Health sein Emissionsreduktionsziel für 2030 ohne großen Aufwand erreichen, da das Ziel mit einem Basisjahr mit außerordentlich hohen Emissionen verglichen werden würde. „Irreführende Werbung von Unternehmen hat reale Auswirkungen auf Verbraucher und politische Entscheidungsträger. Man gaukelt uns vor, dass diese Unternehmen ausreichende Maßnahmen ergreifen, obwohl die Realität weit davon entfernt ist“, sagte Gilles Dufrasne von Carbon Market Watch. „Ohne mehr Regulierung wird dies so weitergehen. Wir brauchen Regierungen und Regulierungsbehörden, die diesem Greenwashing-Trend ein Ende setzen.“
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Vorreiter in Sachen Klimaschutz
Trotz dieser Negativbeispiele, hätten die Forschenden jedoch auch positive Vorreiter identifizieren können. Das Institut findet beispielsweise die innovativen Instrumente von Google vielversprechend, die zur Beschaffung hochwertiger Erneuerbarer Energien in Echtzeit entwickelt wurden. Außerdem hoben die Forschenden positiv hervor, dass Maersk und die Deutsche Post in großem Umfang in Dekarbonisierungstechnologien für Transport und Logistik investierten. Wenn diese Best Practices von anderen Unternehmen kopiert und erweitert werden würden, sieht der Bericht reichlich potenzial für alle Unternehmen – ganz ohne Greenwashing.