Interview

Wirtschaftsphilosoph Indset: „Auf Scheitern oder auf Kopieren basieren die Fortschrittsmodelle“

Anders Indset auf der Bühne © Matthias Rhomberg
Anders Indset auf der Bühne © Matthias Rhomberg
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Anders Indset sieht aus als würde er nach seiner Keynote am Innovation Day der Österreichischen Lotterien noch als Knausgård-Double eine Lesung halten oder zu den Foo Fighters auf die Bühne jumpen. Er trägt Vollbart und Man-Bun, erscheint im Zwiebellook mit Samt-Jackett und langen Ketten über der rasierten Brust. Totenkopfringe stecken an den Fingern, seine Beine in engen, gestreiften Pants wie sie die 80ies-Punks trugen. Mit seiner einnehmenden Art scharrt er gerne Leute um sich. Deswegen wird er auch etwas größenwahnsinnig als Digital-Jesus vermarktet.

Indset wird immer wieder als Wirtschaftsphilosoph tituliert, studiert hat er gar nicht, weder Philosophie noch etwas anders. In seinem neuen Buch „Quantenwirtschaft“ schreibt er, dass Technologie allein nicht die Antwort auf alle unsere Herausforderungen sein kann und wird. Noch seien wir Menschen die Treiber und Bindeglieder, die unsere Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft und Realität steuern können.

Trending Topics: Sie predigen Anpackertum und fordern radikales Umdenken. Ist das mit frontalen Vorträgen zu erreichen? Halten Sie das für eine zeitgemäße Auseinandersetzung?

Anders Indset: Auseinandersetzung ist das Stichwort. Ich möchte, dass die Menschen sich mit sich selbst und der bevorstehenden existentielle Herausforderungen beschäftigen. Dabei geht es nicht um das Format per se, sondern was die Menschen fühlen. Ich trete nicht als Lehrer auf, sondern Suche den Zugang zu den Menschen. Mein Ziel ist es, dass jeder Einzelne aus dem Publikum nach meinem Vortrag rausgeht und die Welt verändert, und wenn es nur seine eigene ist.

Wie passt da die Philosophie dazu?

Die Philosophie ist etwas Praktisches, das wir leben müssen. Wie auch vor 2.500 Jahren am antiken Versammlungsplatz Agora in Athen. Ich möchte die Essenz aus den komplexen Werken herausziehen und auf das 21. Jahrhundert projizieren. Gleichzeitig validiere ich das, indem ich versuche, die Ideen umzusetzen. Ich baue die Brücke zwischen Wirtschaft und Philosophie. Das Beste von der technologischen Entwicklung, gepaart mit den Schätzen der Vergangenheit, ist für mich der Weg als Wirtschaftsphilosoph.

Gerade erschien Ihr Buch „Quantenwirtschaft – Was kommt nach der Digitalisierung?“ Wieso sind Sie überzeugt, dass nach der Digitalisierung noch etwas anderes kommt?

Es gibt keine De-Digitalisierung. Wenn ich lese, wir stecken mitten in der digitalen Transformation, dann frage ich mich: Wo ist der Endpunkt? Es geht mehr darum zu entscheiden, welche Welt wir kreieren wollen. Die Technologie macht ja selbst nichts. Sie hat keine eigene Agenda und kein Ziel. Algorithmen machen sich keine abstrakten Gedanken darüber, welche Karriere sie wählen sollen. Technologie kann gleichermaßen gut wie auch böse sein. Es kommt jetzt darauf an, was wir damit machen wollen.

Was verstehen Sie unter Quantenwirtschaft?

Wir leben in einer Quantenrealität, auch wenn wir das nicht täglich spüren und so wahrnehmen. Die Wissenschaft redet von Relationen, Energie und Leerräumen. Das finden wir in der Quantenphysik, aber auch in der Religion, bei Jacques Lacan und Freud ebenso.

Diese Zwischenräume ersetzen wir mehr und mehr mit Digitalem?

Wir nehmen die Zwischenräume eher weg und optimieren das Bekannte. Was wir Menschen geschaffen haben, beruht auf Geschichten. Systeme, Glaubensrichtungen, Modelle basieren auf alten Informationen aus einer non-digitalen Welt. Wenn sie auf Algorithmen abgebildet werden, ist die Zukunft eine lineare Spiegelung der Vergangenheit. Dabei ist unsere Welt nicht linear, sondern chaotisch und merkwürdig. Wir machen Fehler und unser Verständnis entsteht aus dem Zusammenspiel von Information, Intuition und Bauchgefühl.

Allerdings ist unsere Aufmerksamkeitsspanne mittlerweile extrem verkürzt.

Ja, und das erste Mal in der Menschheitsgeschichte wandern Autoritäten nicht von Mensch zu Mensch, sondern von Mensch zu Algorithmus. Jede Führungskraft kann durch die Technologie, insbesondere den Einsatz von Künstlicher Intelligenz viel mehr Macht bekommen. Digitaldiktatoren, die Algorithmen einsetzen, haben viel mehr Macht als jede politische Struktur. Sobald die Algorithmen besser sind als wir, nehmen wir sie an.

Aus Bequemlichkeit?

Wenn wir uns zum Beispiel auf der Navigationsgerät verlassen, verzichten wir auf unseren eigenen Verstand, geben die Verantwortung ab und reagieren nur noch. Das was uns als Mensch ausmacht, unser Sinneserlebnisse, unsere Intuition und Urteilsvermögen, unsere Kreativität, geht uns verloren. So werden wir in mehr und mehr Bereichen unseres Lebens Reaktionswesen. Wir werden zu Zombies – zu einer überflüssigen Spezies, dem “Homo Obsoletus“ und durch eine digitale Superintelligenz ersetzt.

Wie kann man dem entgegenwirken?

Wir brauchen eine Bewusstseins-Revolution. Unsere unbewusste und blinde Hingabe zur Technologie halte ich für einen fatalen Weg. Wir träumen von einer Wissensgesellschaft mit perfekter Information, was wir aber brauchen ist eine Gesellschaft des Verstandes. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit und das Fokussieren trainieren. Ich wünsche mir, dass ,Bewusstsein‘ eine eigene Wissenschaft wird.

Was ist denn Bewusstsein für Sie?

Etwas Fundamentales. Entweder ist es das, was sozusagen „das Feuer” entfacht für unsere physisch wahrgenommene Welt – sozusagen die Zündung für unsere physischen Gesetze oder sie ist ein Teil der Physik, den wir noch nicht verstanden haben. Jedenfalls brauchen wir nicht mehr Daten und Informationen, sondern neue Fragen und Überlegungen. Die Philosophie bietet viele Methoden, die uns helfen können.

Bedeutet das auch Verzicht?
Ja, wir verzichten mehr und mehr auf das eigenständige Denken. Wir streben eine Informationsgesellschaft an, die fatal ist, weil wir uns mit zu viel Information überhäufen. Blockchain, Künstliche Intelligenz und Deep Learning werden uns beim Verarbeiten helfen und wir erhoffen uns dabei eine “Wissensgesellschaft“. Allerdings handelt es sich um Informationen der Vergangenheit und lineare Projektionen auf eine mögliche Zukunft. Wenn wir uns darauf verlassen, werden wir nur noch funktionieren und reagieren.

Was wäre stattdessen zukunftsgerichtet?

Ein Navi hilft uns, eine logistische, einfache Aufgabe zu lösen. Wir können schon darauf hören, aber wir sollten die Infos, die wir bekommen nicht als universelle Wahrheiten aufnehmen, sondern das Mindset entwickeln, um Dinge zu hinterfragen. Je zuverlässiger die Algorithmen sind, desto mehr verlernen wir, Fragen zu stellen.

Daten sind das neue Öl. Was geben Sie persönlich preis?

Es kommt darauf an, was mit den Daten geschieht. Alexa hört in jeden Wohn- oder Schlafzimmer bereits alles mit. Ich bin kein Share-it-all, aber ich verzichte auch nicht auf Austausch, weil wir eben in einer verbundenen Welt leben. Bei uns ist es zwar nicht wie in China, aber es werden erstaunlich viele Daten gesammelt, ohne, dass wir es wissen. Um persönliche Daten zu schützen, brauchen wir neue Steuerungsinstitutionen und Geschlossenheit. Die Deutsche Bundesregierung stellt sich gegen den Einfluss von Huawei, aber im Ruhrpott-Gebiet bauen sie Smart Cities in Kooperation mit Huawei aus. China und Italien machen mit der neuen Seidenstraße ein Mega-Infrastrukturprojekt gemeinsam. Uns fehlt da eine Struktur hier in Europa und auch zum Teil ein Verständnis was derzeit passiert. Es geht für allen einfach alles viel zu schnell.

Der Investor Peter Thiel meint, in Silicon Valley hätten sich die Köpfe  gleichgeschaltet. Der eine sagt was der andere sagt, um ja nicht anzuecken. Sehen Sie das auch so? Wie kommen wir aus dieser Echokammer raus?

Wir Bürger bilden uns heute keine eigene Sichtweise, sondern handeln nach politischen oder ökonomischen Konsequenzen. Es ist zu komplex und zu schnelllebig. Aus Bequemlichkeit lassen wir uns leiten, wir antworten um zu antworten und hören nicht wirklich zu. In Silicon Valley ist dies noch stärker ausgeprägt, schließlich möchte man keine Schwäche zeigen. Keiner will Fehler machen und zugeben, dass man Sachverhalte nicht versteht. Ich halte dies für ein riesen Irrtum. Verletzbarkeit ist etwas Wunderbares mit immensem Potenzial. Es ist der Geburtsort von Kreation und Innovation.

Dabei reden alle immerzu vom erfolgsversprechenden Scheitern.

Menschen sind fehltastisch – fantastische Wesen, die Fehler machen. Auf Scheitern oder auf Kopieren basieren die Fortschrittsmodelle. Post-Its wurden zum Beispiel erfunden auf der Suche nach dem stärksten Klebstoff der Welt. Die Großnichte von Thomas Edison, Sarah Miller Caldicott, hat mir vom Erfolgsmodell “Midnight Lunch” erzählt. Edison traf sich jeden Abend mit 20, 30 vertrauten Kollegen zum Experimentieren. Sie machten Fehler, ließen die Fehler anschließend patentieren. Air B’n’B oder Uber – was für wahnsinnig kreative Höchstleistungen? Das sind alte Modelle in Kombination mit Technologie. Generiert wird ein unfassbar hoher Wert, der aktuell nicht besteuert wird.

Österreich will nun eine Digitalsteuer einführen. Es ist noch mehr als unklar, wie das umsetzbar sein soll.

Wir brauchen globale Richtlinien. Eine Roboter-, KI- oder Digitalsteuer halte ich für einen wichtigen Schritt. Es ist heute mehr denn je ein “Winner-Takes-All” durch einen  Wettkampf der Algorithmen. Vielleicht sehen wir in naher Zukunft die ersten Trilliardäre und eine noch größere Kluft zwischen Arm und Reich. Die Vorstellung, dass Automatisierung zu mehr Freizeit führt, ist eine Utopie. Wir leben in einer interdependenten Welt. Es herrschen purer Darwinismus und marktwirtschaftliche Mechanismen. Die Optimierung durch die Technologie führt zu einem erhöhten Druck auf jegliche Form von Margen und Profit. Jegliche Optimierungsmöglichkeit und Effizienz werden durch die Technologie gefunden. Den Schritt zu gehen, hier die generierten Werte in irgendeiner Form zu versteuern, halte ich für richtig.

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