1 Woche Krisenmanagement – ein persönlicher Bericht
Gefühlslage: aufgewühlt. Aber noch immer das Gefühl voller Batterien. Das Stresshormonsystem wirkt. Es war eine dieser Wochen, von denen man noch seinen Enkelkindern erzählen wird. Und es überwiegt das Gefühl von positiver Anspannung. Denn jetzt ist eine Zeit, in der unsere Verantwortung für die digitale Infrastruktur besonders sichtbar wird. Unser Sinn des täglichen Tuns ganz anders gespürt wird. Aber auch eine Zeit, in der es keinen Kompromiss gibt, als diese Verantwortung zu 100% zu erfüllen.
Startpunkt: Donnerstag, der 12. März 2020. Einladung aller CEOs kritischer Infrastrukturen durch den Bundeskanzler Kurz, gemeinsam mit Vizekanzler Kogler und Gesundheitsminister Anschober. Es gab nur eine Frage: Hält die kritische Infrastruktur das aus? Was braucht sie, um in Zeiten sehr begrenzter Bewegungsmöglichkeiten zu funktionieren. Beeindruckend in zweifacher Hinsicht. Ja, sie ist wirklich voll funktionsfähig. Bei allen. Und ja, die Corona-Krise hat Österreich nun wirklich erreicht. Übrigens auch eine eindeutige Erwartungshaltung der Öffentlichkeit an uns: Ihr müsst funktionieren und erreichbar sein. Im Call Center, in den Shops und auch im technischen Außendienst. Shut-down fürs Land. Belastungstest für uns.
Infrastruktur wird an Kapazitätsgrenzen kommen
Rückfahrt ins Büro. Mit dem Wissen, was jetzt kommt. Der Blick auf eine Stadt, die noch in voller Dynamik zu sehen ist, mutet etwas surreal an. Es ist klar. Die Übungen der letzten Tage zahlen sich jetzt aus. Erinnerung an das Gefühl im Flugsimulator. Meistens in der letzten Stunde des Routinetrainings. Dann, wenn wirklich alles gleichzeitig defekt ist. Triebwerke, Generatoren, Instrumente und zudem meistens noch das Wetter. Die Herausforderungen an uns, an das Land, werden groß. Sehr groß. Sehr vieles wird gleichzeitig defekt sein. Regel zur sicheren Landung: Klare, eindeutige Kommunikation. Abstimmung, über das, was jeder tut. Klare Pläne. Und gutes Teamwork. Ab Montag wird das Unternehmen praktisch zu 100% remote arbeitsfähig sein müssen. Fast 2.500 Mitarbeiter. Und unsere Kunden noch dazu. Unsere Infrastruktur wird an Kapazitätsgrenzen kommen. Das hat es noch nie gegeben. Und viele Kolleginnen und Kollegen werden einfach Sorgen haben. Welchen Beitrag können wir leisten, diese zu nehmen?
Nachmittags die vorbereitete schriftliche Information an alle Mitarbeiter. Ab Montag bitte zu Hause bleiben! Außer jene, auf deren Dienst im technischen Außendienst und in den Shops nicht verzichtet werden kann. Dabei im Hinterkopf: Wie erklären wir das, ohne das Gefühl einer Zweiteilung zu vermitteln. Kurz vor Versand der Kommunikation noch ein Call mit dem Leadership-Team des Unternehmens. Es macht große Freude zu sehen, wie vorbereitet und professionell unsere Personalchefin einer eleganten Dirigentin ähnlich durch die zahlreichen Themenbereiche navigiert. Perfekt. Mir war wichtig, dass die Kommunikation untereinander aufrecht erhalten bleibt. Folgenden Rahmen habe ich festgelegt: 2x täglich eine virtuelle Geschäftsführungssitzung. Am Tagesrand. 1x täglich einen Call mit dem gesamten Leadershipteam, 2x wöchentlich einen Livestream mit allen Mitarbeitern. Mit der Möglichkeit zu Q&As. Und 1x täglich einen kurzen Call 1:1 mit allen Direct Reports. Und natürlich noch 2x täglich Krisenstab, der vor allem in der Hand der Experten liegt.
Ein surreales Gefühl
Wochenende. Zumindest im Kalender. Natürlich auch hier immer wieder lange Telefonate im Team der Geschäftsführung, mit dem Leiter der Call Center, dem Leiter der Shops. Passt alles. Sind wir vorbereitet? Gibt es offene Themen? Die Bundesregierung kommuniziert sukzessive die einzelnen Maßnahmen. Das System Österreich wird schrittweise heruntergefahren. In den „Notbetrieb“, so lautet das Wording. Sondersendung über Sondersendung. Auch im privaten Kontext kein anderes Thema mehr. Ein letztes Mal mit der Familie zum Flugplatz. Wohl der letzte Flug für ein paar Wochen. Ein phantastischer Frühlingstag. Umso mehr noch immer ein surreales Gefühl.
Montagmorgen: Durchaus noch Straßenverkehr. Zwar weniger, aber gar nicht so wenig. Die Polizei ist vor Supermärkten zu sehen. Im Büro hingegen Leere. Gähnende Leere. Weniger als 10 Menschen in einem Bürogebäude für über 2.000 Mitarbeiter. Und die Calls und Videokonferenzen begannen. Durch die Tatsache, dass ich noch in einigen anderen Unternehmen eingebunden bin, hatte ich nun alle Apps der digitalen Kommunikation auf dem iPad. WhatsApp, Telegram, @work, zoom, WebEx, etc… Jeder scheint etwas anderes zu nutzen! Erste Beobachtung: Hey, es geht. Wir können virtuell arbeiten.
Zweite Beobachtung: Die Systeme sind ja komplett überlastet. Das Videobild verschwimmt, man fliegt immer wieder heraus. Die Kapazitäten reichen nicht. Mittags Livestream mit den Mitarbeitern. Gemeinsam mit unserem Betriebsratsvorsitzenden. #wirhaltenzusammen. Das ist unser Motto. Und es soll auch sichtbar sein. Fragen über Fragen. Einzelschicksale. Die technischen Herausforderungen. Welche Projekte laufen noch? Das System muss sich neu sortieren. Danach gibt es noch Essen aus der Kantine. Spannend, sie hat noch geöffnet. Und wir alle, die noch im Büro sind, sitzen gemeinsam am Konferenztisch. Gemeinsames Mahl. 1m Abstand natürlich. Das hat was. Familiär irgendwie. Alle Hierarchieebenen dabei. Ein Team.
Virtuelles Arbeiten braucht neuen Rahmen
Abends meine wichtigste Erkenntnis: Jeder konferiert nun virtuell. Gleichzeitig ist jeder nur noch schwer erreichbar. Virtuelles Arbeiten braucht einen neuen, harten, zeitlichen Rahmen für die Zusammenarbeit! Wann ist Kommunikationszeit für die Geschäftsführung, wann für die Ressorts, wann für cross-funktionale Themen. Wie ein Stundenplan in der Schule. Aufbauend auf den gewohnten Terminen. Diesen schnell noch definiert und in der Geschäftsführung entschieden. Und die wichtigsten Nachrichten: Das Call-Center funktioniert remote, auch wenn sehr viele Kunden anrufen. Die Kunden besuchen die Shops. Magenta ist für unsere Kunden da!
Viele Netzwerkprobleme übrigens bei unseren Kunden. Zu geringe VPN-Kapazitäten von Firmen, die Cloud-Services der Konferenzanbieter zu gering dimensioniert. Unser Team berät und hilft. Die Umstellung stellt offenbar alle vor Herausforderungen. Und die allerwichtigste Nachricht: Unser Netz funktioniert tadellos. Mit All-Time-Highs in der Telefonie. Reden ist wohl vielen gerade wichtiger, als im Internet zu surfen. Abends im TV wieder eine Sondersendung nach der anderen. Ein erstes Hilfsprogramm der Regierung mit 4 Mrd. € wird kommuniziert.
Dienstag. Die Straßen werden leerer. Das System schwingt sich ein. Die Qualitätsprobleme bei Videokonferenzen sind geblieben. Jedoch erste pragmatische Lösungen dafür gefunden. Zum Beispiel Videobild ausschalten, wenn Präsentationen gezeigt werden. Für 1:1s eher FaceTime nutzen als Videokonferenzanbieter. Dafür läuft die Kommunikation untereinander etwas flüssiger. Das erste Gefühl: Wir schaffen diese Umstellung. Und das zweite Gefühl: Das wird uns nachhaltig verändern. Positiv. Diese Firma wird eine andere werden. Programme zur Ausbreitung des digitalen Arbeitens in der Personalentwicklung können nun alle gestrichen werden. Das wird nun eine Schnellgeburt. Die Kantine hat übrigens geschlossen. Der Thai Delivery-Service funktioniert hingegen bestens. Wieder ein gemeinsames Mahl. Nachmittags Videocall mit unserer Fachministerin, allen CEOs der Branche und der Regulierungsbehörde. Es geht um die Versicherung, dass die Netze funktionieren. Die Regierung muss sicherstellen, dass Informationen und Nachrichten von der Bevölkerung gesehen werden. Und die Netzneutralität kann bei Engpässen aufgehoben werden. Videokonferenz vor Streaming. Die Wirtschaft hat Priorität. Wobei wir bis dato diese Maßnahme zur Verkehrssteuerung gar nicht benötigen. Die Kapazitäten sind ausreichend, die Netze halten die Belastung aus.
Jeder ist von dieser Krise betroffen
Untertags noch Telefonate mit vielen Kunden aus verschiedenen Sektoren. Jeder ist von dieser Krise betroffen, wir noch weniger als andere. Der Tourismussektor bricht völlig in sich zusammen. Austrian Airlines verkündet am selben Tag die Einstellung des Betriebes, was mich persönlich wirklich berührt. Gedanken bei den alten Kollegen und Freunden im Vorstand dort. Puh. Abends Calls von diversen Aufsichtsräten. Auch hier: Umsatzverfall von über 90%. Bei fast allen Unternehmen. Massenentlassungen. Stillstand. Jedes Unternehmen vollzieht existenzsichernde Maßnahmen. Die Krise ist groß. Größer als Lehman. Wirtschaftlich größer als alles andere. Auch wenn die Zahlen aus China uns auch etwas Hoffnung geben. Aber wann werden wir wieder in der Welt vor Corona sein? Im 4. Quartal oder erst 2025?
Mittwoch. Die Straßen sind nun wirklich leer. Die Polizei überprüft schon Kollegen bei der Fahrt ins Büro und in die Shops, ob sie denn wirklich legitimiert ist, dort hin zu fahren. Vormittags ganztägig Geschäftsführungssitzung. Die Kommunikation läuft im Unternehmen vergleichsweise gut. Auch die technische Qualität wird sukzessive besser. Offenbar wurden über Nacht die Kapazitäten in den Serverfarmen und Clouds verbessert. Erste Bewertungen, was diese Krise bei verschiedenen Szenarien für uns bedeutet. Kurzfristig der völlige Entfall von Roaming. Ein zweistelliger Millionenbetrag. Dann der Entfall fast des gesamten Neukundengeschäftes gerade im Smartphone-Geschäft. Den Schaden sehen wir vor allem 2021. Es wird jedenfalls klar. An uns vorbei geht diese Krise keineswegs.
Nachmittags wieder intensive Kommunikation mit unseren Kollegen in den Shops und im Außendienst. Wie geht es unseren Kunden? Im benachbarten Deutschland wurde bekannt gegeben, dass alle Telekom Shops geschlossen werden sollen. Als gesundheitliche Vorsichtsmaßnahme. Dafür dürfen Friseure offen bleiben. Interessanter Unterschied. Irgendwie ein anderes Verständnis zur staatskritischen Infrastruktur in der heutigen Zeit. Und auch zum Umgang mit körperlicher Nähe. Call mit den Shopleitern. Es ist durch die Entwicklung in Deutschland notwendig, unseren Mitarbeitern in den Shops erneut zu erklären, welche Aufgabe sie erbringen und dass auch wir keine Risiken eingehen. Die Schutzmaßnahmen werden erhöht. Securities vor den Shops positioniert.
Es gibt kein Lehrbuch
Abends dann Kommunikation der Regierung: Man will Menschen in Lohn und Brot halten. Alle Unternehmen überleben lassen. War es Montagabend noch ein 4 Mrd. € Paket, so ist es jetzt ein 38 Mrd. € Paket. Bold. Aber richtig. Üblicherweise wäre es eine große Gefahr für die Entstehung einer Turbo-Inflation. Aber jetzt, wenn alle das machen? Dazu gibt es zwar kein Lehrbuch. Aber tatsächlich müsste Gelddrucken und Verschuldung ohne Inflation funktionieren. Es wird wohl noch einige Promotions- und Masterarbeiten zu dieser Krise geben.
Donnerstag. Fast schon Routine. Zweiter Livestram mit allen Mitarbeitern. Wieder mit dem Betriebsratsvorsitzenden. Viele, viele Fragen. Aber nicht zur großen Situation. Sondern zu Themen wie Kurzarbeit. Was bedeutet das für uns? Wie sind die Berechnungsmethoden? Wer zahlt? Wie wird kommuniziert? Jeder ist betroffen. Und die besorgte Frage: Was kommt auf mich persönlich zu? Im Anschluss Fixierung aller kurzfristigen Marketingmaßnahmen mit dem Team. Brainstorming zu neuen Ideen, die mit der Corona-Krise adäquat umgehen. Der Tag endet mit dem üblichen Geschäftsführungs-Videocall. Die Themen gehen weiter. Magenta arbeitet, als ob es immer schon so gewesen sei.
Freitag. Unser Ziel für diese Woche war es sicher zu stellen, dass unser Netz diese Belastungsprobe meistert. Dass Magenta für unsere Kunden immer da ist! Und wir im Unternehmen miteinander kommunizieren können und uns nicht verlieren. Dass wir neue Wege der digitalen Zusammenarbeit finden. Ziel erreicht. Woche überlebt. Ziel für die nächste Woche: Feststellen, welche Projekte verschoben werden müssen. Entscheiden, welche Spar-Maßnahmen wir treffen müssen. Umso mehr Vorfreude auf die übernächste Woche! Dann wollen wir uns damit auseinandersetzen, wie wir das Unternehmen wieder hochfahren. Das wird noch komplexer als der Shut-down. Aber schon jetzt wird dieser Moment hoffnungsvoll erwartet.
Die Menschen haben eine Kur erhalten
Dann Heimfahrt über leere Straßen ins Wochenende. Nun ja. Wochenende? In weitere Telcos Samstag und Sonntag. Dennoch das Gefühl, dass eine der verrücktesten Wochen im Management hinter mir liegt. Und ein neue Form von Alltag vor mir. Der Osterurlaub hat sich erledigt. Hobbys sowieso. Auch eine Form totaler Entschleunigung. Nicht nur, dass die Welt wohl eine Kur beantragt hat, um sich von Umweltschäden zu erholen. Auch die Menschen haben eine Kur erhalten, wieder darüber nachzudenken, was wirklich wichtig ist.
Andreas Bierwirth ist CEO der Magenta Telekom.