Mobile OCR

Anyline: Österreichisches Start-up will „jedem Smartphone das Lesen beibringen“

Anyline scannt Blutzuckermessgerät. © Jakob Steinschaden
Anyline scannt Blutzuckermessgerät. © Jakob Steinschaden
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Wer fachsimpeln will, sagt OCR („Optical Character Recognition“), wer es allgemein verständlich ausdrücken will, sagt einfach Scannen: Mit Anyline hat Österreich eines von wenigen Start-ups weltweit hervorgebracht, das sich auf die Text- und Zeichenerkennung mittels Smartphone spezialisiert hat. „Wir bringen dem Smartphone das Lesen bei“, sagt Anyline-Mitgründer und CEO Lukas Kinigadner. Erst vor etwa eineinhalb Jahren ins Leben gekommen, hat es sein Start-up schon weit gebracht: Im Dezember investierte der umtriebige Business Angel Hansi Hansmann (hier im Interview) laut Crunchbase in einer 500.000-Euro-Runde, außerdem wurden bereits Partnerschaften mit Red Bull und einem Energieunternehmen geschlossen. Aktuell arbeiten etwa 20 Leute für Anyline, FFG und Wirtschaftsagentur haben bereits unterstützend eingegriffen.

Die Einsatzgebiete von Anyline sind vielfältig, aber es geht im Prinzip immer ums Gleiche: Die Smartphone-Kamera und eine passende App erkennen Texte und Zahlen, die ins Visier genommen wurden, und erfassen diese Daten automatisch. Das kann hilfreich sein, um einen Gewinn-Code auf einer Red-Bull-Dose einzuscannen, um die Daten des Stromzählers nicht per Hand aufschreiben zu müssen, oder um die Infos aus dem Reisepass einfach in ein digitales Dokument übertragen zu können.

Geburtshelfer war mySugr

Anyline kann man eigentlich als Start-up der zweiten Generation bezeichnen. Kinigardner und sein Kollege Daniel Albertini gründeten bereits 2010 9yards – eine kleine App-Schmiede, die Agenturaufgaben für andere Firmen übernahm. Ein Kunde damals war das Wiener Diatetes-Start-up mySugr, für die man unter anderem den „mySugr Importer“ programmierte – also die Möglichkeit, Daten vom Blutzuckermessgerät per OCR in die mySugr-App zur Dokumentation zu übertragen. Aus diesem ersten Anwendungsfall hat sich später Anyline entwickelt, während sich 9yards in guter Freundschaft heute als eigenständige Agentur verdingt. Übrigens: Anyline teilt sich mit 9yard und den Start-ups kiweno und FoodNotify das Büro („Die Manege“) im 2. Wiener Bezirk.

Anyline kann Daten aus Reisepässen auslesen. © Jakob Steinschaden
Anyline kann Daten aus Reisepässen auslesen. © Jakob Steinschaden

“Wikitude hat genau das Geschäftsmodell, das wir anstreben”, so Kinigadner über das Salzburger Start-up, das eine Augmented-Reality-Technologie erarbeitet hat und sein kostenpflichtiges SDK nun an andere App-Entwickler verkauft. Ähnlich soll auch Anyline einmal Geld abwerfen. “Wenn jemand Texterkennung in seine App einbauen will, dann soll Anyline das Richtige für ihn sein.” Deswegen soll ab 2016 ein weiteres kostenpflichtiges OCR SDK angeboten werden, mit dem fremde App-Entwickler in wenigen Schritten und ohne Hilfe die Anyline-Technologie an ihren individuellen Use Case anpassen können.

Datenbrillen als Zukunftshoffnung

Kinigadner sieht Anyline als international konkurrenzfähig, man habe viel Arbeit in das Produkt gesteckt. “Acht Monate Arbeit, das ist der Unterschied zwischen ‚Etwas mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent scannen‘ und ‚Etwas mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,8 Prozent scannen zu können'“, so der Anyline-Chef. “Das funktioniert jetzt auch mit einem veralteten iPhone 4 oder einer miesen Kamera, und dann macht es für den User einfach Spaß.”

Beim Smartphone soll es aber nicht bleiben, große Chancen für die Technologie sieht Kinigadner bei Datenbrillen im Industrie-Kontext. “Man schaut einfach irgendwas an und bekommt dazu Metadaten gezeigt”, beschreibt er das Potenzial. Ein Techniker auf Ölplattform könnte dann im Vollvisierhelm angezeigt bekommen, ob er eh gerade das richtige Ersatzteil einbaut oder nicht, ein Park-Sheriff mit Smartglasses könnte so einfach Nummernschilder scannen und feststellen, für welche Autos die Parkgebühr bezahlt wurde.

Internet of Things als Problem?

Ein Trend, der gegen eine große Zukunft von Anyline spricht, ist das Internet of Things (IoT). Denn in einer vernetzten Umgebung, in der Gegenstände wie Stromzähler, Autos und Einrichtungsgegenstände ohnehin selbst Daten senden und empfangne, wozu muss man sie dann noch per Scan erfassen?  “Es gibt in Wien zwei Millionen Zähler, die Hälfte davon Stromzähler. Die Stromzähler werden auf Smart Meter umgestellt, aber die andere Million Zähler für Gas und Wasser, die werden nicht umgestellt. Das heißt für uns: Wenn der eine Bereich erneuert wird, dann erzeugt das sehr viel Druck auf verwandte Bereiche”, sagt Kinigadner.

Wenn Stomdaten automatisch erfasst werden, dann würde der Bedarf nach einer digitalen Erfassung anderer Daten steigen – und dafür brauche es dann doch Anyline. “Wir sind deswegen keine Übergangstechnologie, sondern eine Brückentechnologie. Ohne uns kann die Umstellung gar nicht funktionieren. Mit Anyline kann man den Prozess der Transformierung beschleunigen.”

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