Analyse

Schafft Tim Cook einen zweiten iPhone-Moment?

Tim Cook auf der Bühne des Apple Events am 10. September 2019. © Apple
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Die letzten wirklich großen Produkt-Launches von Apple sind viele Jahre her – 2014 wurde die Apple Watch eingeführt, 2016 die AirPods. Und wenn man den smarten Lautsprecher HomePod, der ein Nischendasein fristet, auch noch gelten lässt, dann hat sich der wertvollste Konzern der Welt 2017 mit einer neuen Produktkategorie auf den Markt getraut. Nun soll es am Montag, im Jahr 2023, wieder einmal so sein: Auf der hauseigenen Entwickler:innen-Konferenz WWDC soll Apple mit „Reality Pro“ eine eigene VR/MR-Brille zeigen.

Eine Brille mit 4K-OLED-Displays, Kopftrage-Bändern in mehreren Farben (Schwarz, Grau, Blau, Grün und Rosa), ein ARM-Prozessor auf ARM-Basis, der auch iPad-Apps ausführen kann, 128 bzw. 256 GB Speicher und ein Preis ab 3.000 Dollar – so sagt die Gerüchteküche das MR-Headset voraus. Klar ist auch, dass diese Mixed-Reality-Brille wohl fest ins Apple-Ökosystem eingebettet sein wird und stark auf die Millionen Developer setzt, die AR- und VR-Software für „Reality Pro“ schreiben sollen. Seit längerem gibt es für sie ARKit und RealityKit und Tools wie Reality Composer und Reality Converter, um AR-Apps bauen zu können – und sie langsam an die neue Hardware-Plattform zu gewöhnen.

Die anderen haben sich die Zähne ausgebissen

Was aber unklar bleibt: Wird eine MR-Brille ein Erfolg? Kann Apple den iPhone-Moment von 2007, immerhin bereits 15 Jahre her, wiederholen, und eine neue Produktkategorie und Hardware-Plattform schaffen, auf der Millionen Firmen ihr Business aufbauen und Apple selbst Milliarden bringt? Seit 2011 sitzt CEO Tim Cook, damals eingesetzt vom krebskranken Steve Jobs, am Ruder von Apple. Und auch wenn dem US-Unternehmen wiederholt fehlende Innovation vorgeworfen wurde. 2018 war Apple eine Billion, 2020 dann zwei Billionen und 2021 dann satte drei Billionen Dollar wert. Und kurz vor dem Launch am Montag steht der iKonzern davor, bald den eigenen Rekordwert zu schlagen.

Die große Frage ist aber noch: Wer braucht eine MR-Brille? Wir erinnern uns: Google hat die AR-Brille „Glass“ vergeigt, Microsoft positionierte seine HoloLens für den Enterprise-Bereich, das einst gehypte AR-Brillen-Startup Magic Leap hat sich ebenfalls nur mehr auf Enterprise-Kund:innen spezialisiert – ach ja, und Mark Zuckerberg? Der hat im Web3-Hype seine Vision des Metaverses getrommelt, aber damit bisher lediglich Kosten verursacht. Es sind in den Jahren 2022 und 2023 zusammen bisher unglaubliche 17,6 Milliarden Dollar, die Meta Platforms für die Entwicklung von Metaverse-Anwendungen (die ja stark von SR und VR leben sollen) ausgegeben hat.

Währenddessen kommt Meta Platforms mit seiner „Meta Quest“-Reihe von MR/VR-Brillen nicht so richtig vom Fleck. Zwar kann man festhalten, dass die Abteilung Reality Labs ein Milliarden-Business ist; 2022 wurden dort mit Hardware, Software und Services zusammen genommen 2,16 Milliarden Dollar Umsatz gemacht. Aber es ist kein Boom-Business, denn 2021 waren es noch 2,27 Milliarden Dollar Umsatz. Gleichzeitig weiteten sie die Verluste massiv aus, und auch 2023 geht man bei Meta Platforms davon aus, dass Reality Labs weiterhin fettes Minus schreiben wird.

Meta bringt neue MR-Brille im Vorfeld der großen Apple-Präsentation

Apple hat mehr Kraft als die anderen

Sollte man von den Problemen bei Meta auf Apple schließen? Besser nicht. Apple ist zu einen die wertvollste Marke der Welt, der Milliarden von Konsument:innen vertrauen; Apple kann Hardware als auch Software; und Apple hat ein App-Ökosystem mit dutzenden Millionen App-Entwickler:innen, das mehr als 4,8 Millionen Arbeitsplätze in den USA und Europa unterstützt. Es genügen Bruchteile davon, sie für die Entwicklung von MR-Apps zu begeistern, um Meta mit seinen aktuell etwa 500 Anwendungen für die Quest-Headsets zu überholen. Auch auf Hardware-Seite kann Apple mit einem Schlag Weltmarktführer werden. Laut Marktforschungsfirma IDC verkauften sich im ganzen Jahr 2022 acht Millionen Geräte aus der Produktkategorie. Apple braucht zwei Wochen, um genauso viele iPhones zu verkaufen.

Doch das ist im ersten Jahr vielleicht gar nicht das Ziel. Zuerst ist es einmal wichtig, die App-Entwickler:innen zu begeistern, offenbar rechnet man in Cupertino im ersten Jahr mit einigen hunderttausend Geräten. Die dienen in erster Linie den Developern dazu, AR/VR-Apps zu entwicklen, die dann die zweite, dritte und vierte Generation der Hardware für die Massen richtig attraktiv werden lassen. Währenddessen kann Tom Cook, ein Meister der Lieferketten, dafür sorgen, die Gerätepreise in dreistellige Bereiche zu bringen – und somit reif für die Massen zu machen. „Reality Pro“ muss also kein schneller Hit werden, sondern ist ein Wegbereiter.

Die Upside ist größer als die Downside

Das Marktpotenzial scheint groß: Laut der International Data Corporation (IDC) haben die weltweiten Ausgaben für Augmented Reality und Virtual Reality 2022 13,8 Milliarden Dollar erreicht und sollen bis 2026 auf 50,9 Milliarden Dollar anwachsen. Gleichzeitig gibt es keinen dominanten Player bei AR/VR, ganz im Gegenteil: Viele warten darauf, dass Apple den Markt aufbereitet und sie dann folgen können. Seit Jahren warten Startups auch in Österreich darauf, einer neuen Apple-Plattform Hard- und Software zuliefern zu können.

Angst vor einem Flop gibt es aber. So warnte der ehemalige Apple-Marketing-Manager Michael Gartenberg, dass das Headset „einer der bedeutendsten Technologieflops aller Zeiten“ werden könne. Auch intern soll es Unruhe und Ängste geben, ob der eingeschlagene Weg der richtige ist. Diese Fragen werden sich die Mange der Chef-Etage sicher gestellt haben – und sich auch an gescheiterte Dinge wie die Ladestation AirPower oder AntennaGate und BendGate erinnern.

Und dann trotzdem beschlossen haben: Die Upside ist größer als die Downside. Apple ist mit einem hoch profitablen Hardware-Business und einem wachsenden Services-Business aktuell nicht darauf angewiesen, einen schnellen Hit abliefern zu müssen. Und hat gleichzeitig das Geld und den langen Atem, das Brillen-Business aufzubauen, in dem es aktuell niemanden gibt, der es geknackt hat.

Meta bringt neue MR-Brille im Vorfeld der großen Apple-Präsentation

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