Taxonomie-Verordnung: Einstufung von Atomkraft und Erdgas als „grün“ sorgt für viel Kritik
Für viele Beobachter:innen ist es kaum mehr eine Überraschung, eine Enttäuschung, zumindest im deutschsprachigen Raum, für viele Umweltaktivist:innen aber doch. Noch kurz vor Schluss, am letzten Tag des Jahres hat die EU-Kommission ihren Entwurf der Taxonomie-Verordnung in puncto Atomkraft und Erdgas verschickt. Dieser wurde bereits mehrmals erwartet, zuletzt am 22.12.2021. In der Nacht des 31.12. 2021 war es nun soweit. Dem Entwurf zufolge setzt sich die EU-Kommission für eine Einstufung von Investitionen in Atomkraft und Erdgas – zumindest befristet – als nachhaltig ein.
Bereits Ende Oktober äußerte sich die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen positiv für eine solche Einstufung, wir berichteten. Wörtlich sagte sie: „Daneben (Anmerk. d. Red.: Erneuerbaren Energiequellen) brauchen wir eine stabile Energiequelle, die Kernenergie, und in der Übergangsphase natürlich auch Erdgas. Aus diesem Grund werden wir – wie wir bereits im April als Kommission erklärt haben – unseren Vorschlag für eine Taxonomie vorlegen.“
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Grün mit Auflagen
Nun sind diesen Worten Taten gefolgt. An das „grüne Label“ sind aber einige Auflagen geknüpft. So sieht der Entwurf vor, dass Investitionen in neue Kernkraftwerk bis 2045 oder Laufzeitverlängerungen unter bestimmten Vorraussetzungen und in Erdgas mindestens bis 2030 als grüne Investitionen einzuordnen seien. Gas-Anlagen, welche nach dem 31. Dezember 2030 genehmigt werden, dürften dem Vorschlag zufolge nur noch bis zu 100 Gramm CO2-Äquivalente pro Kilowattstunde Energie ausstoßen – gerechnet auf den Lebenszyklus.
Für die Förderung von Atomkraftwerken sind aber unter anderem Vorgaben für den langfristigen Umgang mit radioaktiven Abfällen vorgesehen. So müssen die Staaten, in welchen Atomkraftwerke stehen, die toxischen Abfälle „sicher entsorgen können“ und einen Plan zur Entsorgung von hoch radioaktiven Abfällen bis 2050 vorlegen. Die Abfälle dürfen weiterhin der Umwelt „keinen erheblichen Schaden“ zufügen und neue Atomkraftwerk müssen nach den „neuesten technischen Standards“ gebaut werden.
Neue Erdgaskraftwerke werden dann gefördert, wenn sie alte fossil betriebene Anlagen ersetzen. Auch müsse nachgewiesen werden, dass die geplante Energieproduktion nicht durch Erneuerbare Energien erreicht werden könne und gemäß dem Entwurf soll es Obergrenzen an ausgestoßenem CO2 pro Kilowattstunde geben.
Mit Jänner plant die EU-Komission den finalen Vorschlag zu präsentieren. Bis dahin läuft der nun gestartete Konsultationsprozess mit den Mitgliedsstaaten. Nach der offiziellen Vorstellung des Entwurfes, kann ein Veto von der Mehrheit der EU-Länder einlegt werden sowie seitens des EU-Parlamentes. Auch da bräuchte es die Mehrheit. Ob sich diese finden wird, bleibt abzuwarten. Die Zeichen dafür stehen aber bislang schlecht. Während sich bereits in den vergangenen Monaten einige europäische Länder, wie beispielsweise Frankreich und Finnland, für die „grüne“ Einstufung von den beiden Energiequellen einsetzten, positionierten sich Österreich, Deutschland und auch Luxemburg immer klar gegen die Atomkraft. Entsprechend kritisch sich auch die Reaktionen aus Österreich und Deutschland.
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Österreich:
Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) auf Twitter: „Die EU-Kommission hat in einer Nacht- und Nebelaktion einen Schritt in Richtung Greenwashing von Atomkraft und fossilem Gas gemacht. Allein der Zeitpunkt der Veröffentlichung zeigt, dass offensichtlich auch die EU-Kommission selbst nicht überzeugt von ihrer Entscheidung ist“, so die Ministerin. „Weder die Atomkraft noch das Verbrennen von fossilem Erdgas haben in der Taxonomie etwas verloren. Denn sie sind klima- und umweltschädlich und zerstören die Zukunft unserer Kinder.“ Bereits im September hatte die Ministerin Gewessler mit Klage bei einem positiven Bescheid gedroht. Diese wiederholte sie nun. So werde man nach eingehender Prüfung nicht davor zurückschrecken, rechtlich gegen die geplante Verordnung vorzugehen, so die Klimaschutzministerin.
SPÖ-EU-Abgeordneter Günther Sidl:
„Das ist das völlig falsche Signal und steht unseren Bemühungen für eine echte nachhaltige Energiewende und den Zielen des Green Deal entgegen. Kernenergie ist eine Technologie der Vergangenheit. Sie ist nicht sicher, nicht wirtschaftlich und nicht nachhaltig. Als SPÖ setzen wir uns für einen europaweiten und globalen Atomausstieg ein. Die Zukunft der Energiegewinnung liegt ganz klar bei erneuerbaren Energieträgern. Auf diesen Bereich müssen wir unsere Investitionstätigkeit in den nächsten Jahren konzentrieren und massiv ausweiten.“
FPÖ-EU-Abgeordneter Georg Mayer:
„Durch den Grünen Deal und das daraus resultierende Verbot der Kohleverstromung klafft in den Energiebilanzen der EU-Mitgliedsstaaten ein riesiges Loch, das viele Länder nun mit neuen Kernkraftwerken zu schließen versuchen. „So setzt die EU zehn Jahre nach dem atomaren Super-Gau in Fukushima ein fragwürdiges Zeichen, indem sie ihre Entscheidung auf einen im Juli 2021 vorgestellten positiven Abschlussbericht der hauseigenen Forschungsstelle JRC bezieht. Dabei geht dieser umstrittene Bericht in seiner Abschätzung weder auf mögliche Reaktorunfälle noch auf die unlösbare Frage der Endlagerung des Spaltmaterials ein. Dem von der EU-Kommission heute vorgelegten delegierten Rechtsakt muss auf Ebene des Europäischen Parlaments mit allen Mitteln begegnet werden. Ich rufe daher auch die Abgeordneten der ÖVP, Grünen, SPÖ und NEOS auf, sich über ihre Fraktionszwänge hinwegzubewegen, um die Einstufung von Kernenergie als ökologisch nachhaltig zu verhindern“, so Georg Mayer.
Lukas Hammer (Grüne) auf Twitter: “Investitionen in fossiles Gas sind genauso wenig „nachhaltig“ wie jene in Atomkraft. Gas hat somit genauso wenig in der Taxonomie-Verordnung verloren wie Atom. Die EU-Kommission ist tatsächlich gewillt die Glaubwürdigkeit der EU in der Klimapolitik aufs Spiel zu setzen und den alten Lobbyisten nachzugeben. Atomenergie und fossiles Gas sollen in der Taxonomie als „nachhaltige Investition“ eingestuft werden. Absolutes No-Go!”
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Deutschland:
Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Die Grünen): „Die Vorschläge der EU-Kommission verwässern das gute Label für Nachhaltigkeit. Es hätte aus unserer Sicht diese Ergänzung der Taxonomie-Verordnung nicht gebraucht. Eine Zustimmung zu denen neuen Vorschlägen der EU-Kommission sehen wir nicht“, sagte Habeck.
„Ausgerechnet Atomenergie als nachhaltig zu etikettieren, ist bei dieser Hochrisikotechnologie falsch. Es verstellt den Blick auf die langfristigen Auswirkungen für Mensch und Umwelt; der hochradioaktive Atommüll wird uns über Jahrhunderte belasten. Und es mangelt auch an harten Sicherheitskriterien. Das ist mehr als bedenklich. Es ist ohnehin fraglich, ob dieses Greenwashing überhaupt auf dem Finanzmarkt Akzeptanz findet“, betonte der Wirtschafts- und Klimaschutzminister. „Wir werden den Entwurf für den zweiten delegierten Rechtsakt in der Bundesregierung nun gemeinsam auf seine Auswirkungen hin bewerten.“
„Fraglich ist auch, fossiles Gas mit in die Taxonomie aufzunehmen. Immerhin macht die EU-Kommission hier aber sehr klar, dass Gas aus fossilen Brennstoffen nur ein Übergang ist und es durch grünen Wasserstoff ersetzt werden muss. So müssen neue Gaskraftwerke schon jetzt auf Wasserstoffbetrieb ausgerichtet werden; ab 2035 sind sie noch mit grünem Wasserstoff oder kohlenstoffarmem Gas zu betreiben. Das ist ambitioniert und setzt große Mengen an Wasserstoff voraus.“
FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP)
Teilweise Lob vom Bundesfinanzminister Lindner gegenüber der Süddeutschen Zeitung:
„Deutschland benötigt realistischerweise moderne Gaskraftwerke als Übergangstechnologie, weil wir auf Kohle und Kernkraft verzichten. In der Perspektive der Klimaneutralität sollen die Anlagen später mit Wasserstoff genutzt werden können.“
Deshalb habe die Bundesregierung dafür geworben, dass die entsprechenden Investitionen effektiv möglich seien. „Ich bin dankbar dafür, dass von der Kommission offenbar Argumente aufgegriffen wurden“, so Lindner. „Weitere Verbesserungen wären aus unserer Sicht denkbar.“
Andrej Hunko, Europaexperte der Fraktion Die Linke:
„Deutschland sollte den Klageweg Österreichs gegen die Einstufung der Atomkraft als nachhaltig und klimafreundlich unterstützen. Eine einfache Nicht-Zustimmung im EU-Rat reicht nicht und würde den Kommissionsvorschlag de facto durchwinken, weil dort eine qualifizierte Mehrheit notwendig ist, die aktuell nicht erreichbar ist.“
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Umweltschutzorganisationen
„Nur wenige Wochen nach der Klimakonferenz COP26 opfert die EU-Kommission ihre Führungsrolle in der Klimapolitik für die Interessen der Atom- und Gas-Lobby. Damit könnten Milliarden Euro in schädliche Industrien fließen und einen fatalen Lock-in Effekt produzieren, der Europa noch weiter vom 1,5 Grad Ziel entfernt“, sagt Jakob Mayr, WWF-Experte für nachhaltige Finanzen.
„Dieses atomare Neujahrsbaby war zu befürchten – in der Hoffnung, dass der Entwurf in den Feiern zum Neuen Jahr untergehen möge, veröffentlichte die EU-Kommission gestern kurz vor Mitternacht den Entwurf zur Nachhaltigkeits-Taxonomie“, kritisierte Patricia Lorenz, Atom-Sprecherin von GLOBAL 2000. „Die Öffentlichkeit wurde vorsorglich vollständig von den ihr zustehenden Konsultationen ausgeschlossen, nur noch das Europäische Parlament und die Mitgliedsstaaten können jetzt noch mitreden. Daher fordern wir die Mitgliedsländer auf, das versuchte Greenwashing von Atomenergie zu verhindern.“
„Die EU-Kommission versucht den aktuellen Zustand der Atomenergienutzung als Kriterienkatalog umformuliert zu verkaufen, um die politisch gewünschte Aufnahme in die EU-Taxonomie für nachhaltige Investitionen zu ermöglichen. Damit wird der untragbare Zustand der Atomenergienutzung einzementiert und die Betriebsdauerverlängerung alter AKWs finanziell noch attraktiver gemacht. Die ungelöste Endlagerproblematik wird wortreich verschleiert“, so Patricia Lorenz, GLOBAL 2000.
“Was die EU-Kommission mit der Taxonomie vorhat, ist Greenwashing von Atom und fossilem Gas. Robert Habeck und Steffi Lemke haben sich klar gegen den Vorschlag gestellt – da müssen sich Olaf Scholz und der Rest der Bundesregierung nun anschließen!“, Konstatin Zerger von der Deutschen Umwelthilfe via Twitter. “Was ein Fehltritt. Mitgliedsstaaten und das Parlament müssen nun dringend nachbessern!”