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Aufschwung der Circular Economy: Kreislaufwirtschaft gegen Rohstoffkrise

© David Visnjic
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Hand aufs Herz: Wie viele alte Smartphones, Tablets oder sonstige Elektrogeräte liegen bei Ihnen unbenutzt Zuhause herum? Die Chance, dass es mehr als eins ist, ist hoch. Im Schnitt kommen auf 100 Österreicher:innen 138 Geräte. Abhilfe schaffen könnte ­passenderweise ein bekanntes Modell im neuen Gewand.

Bis zu fünf Stück an Kleingeräten liegen ungenutzt in Schubladen – pro Haushalt”, sagt Elisabeth Giehser von der Elektroaltgeräte-Koordinierungsstelle. Pro Jahr fallen in Österreich über 130.000 Tonnen Elektroschrott an, das sind gut 15 Kilo pro Kopf – vom Baby bis zum Greis. Kleingeräte wie Handys, Laptops, Smartwatches und Co. machten 2020 allein fast 42.000 Tonnen aus – nach Großgeräten der größte Posten.

Überraschung ist das keine, denn Elektronik ist beliebt. „Technik wird immer wichtiger, es gibt immer mehr Geräte“, sagt etwa Grover-CFO Thomas Antonioli. „Früher gab es zum Beispiel noch keine Smartwatches. Mittlerweile ist allein die Apple Watch größer als die gesamte Schweizer Uhrenindustrie.“ Das 2015 gegründete Unternehmen Grover sieht sich als Pionier, wenn es um die Vermietung technischer Geräte geht. Und auch als Teil einer modernen Kreislaufwirtschaft.

Kreislauf- statt Linearwirtschaft

Die moderne Kreislaufwirtschaft ist, so überraschend es auch klingt, ein relativ junges Modell – gerade einmal etwas über 30 Jahre alt. Sie steht dafür, dass Materialien und Produkte so lange wie möglich genutzt, repariert, aufbereitet und recycelt werden. Dadurch wird die Lebensdauer der einzelnen Produkte verlängert, Ressourcen geschont und auch die Umwelt geschützt. Und sie bildet den Gegenpart zur Linearwirtschaft, bei der Produkte hergestellt, genutzt und dann entsorgt werden. Entweder auf einer Müllhalde oder in einem Verbrennungsofen.

Grover setzt früh im Prozess an, genauer bei der Neuware: „Wir verlängern die Produktlebenszyklen deutlich und reduzieren dementsprechend auch das E-Waste-Aufkommen“, erklärt Antonioli. Ein Beispiel: Beim Bestseller – dem iPhone – ist ein Gerät im Durchschnitt vier Jahre im Umlauf. Die durchschnittliche Mietdauer pro Kund:in liegt aber nur bei zwölf Monaten. „Das heißt: Vier Kund:innen mieten das Gerät über uns und dann verkaufen wir es an E-Commerce-Plattformen weiter. So hat es dann einen weiteren Lebenszyklus danach.“ Doch Moment – wer kauft sich bitte ein drei Jahre altes, benutztes iPhone? „Mehr Leute als man denkt“, sagt Antonioli. Das Geschäft boomt. 140 Millionen Euro Umsatz machte Grover im letzten Jahr mit seinem Modell. Das Unternehmen wächst seit Jahren mit mehr als hundert Prozent, vor drei Jahren startete Grover auch in Österreich. Das Unternehmen punktet dabei hauptsächlich mit zwei Versprechen: Flexibilität und Preis. Ein gebrauchtes, älteres iPhone ist natürlich günstiger als ein neues. Und wer sich nach einem Jahr ein neues Smartphone anschaffen will, kann das mit wenigen Tipps in der App erledigen.

Doch auch Nachhaltigkeit wird immer wichtiger – auch wenn es in Europa deutliche Unterschiede gibt. „In den Niederlanden ist der Nachhaltigkeitsaspekt viel weiter oben in der Priorität als zum Beispiel in Spanien. Da stehen die Länder noch an unterschiedlichen Punkten in ihrer Entwicklung“, so Antonioli.

Wiederaufbereiten statt vernichten

Hat ein Gerät seine Zeit bei Grover abgeleistet, wird es im Idealfall von einem sogenannten Refurbisher erneut aufbereitet. Bei refurbed, dem Platzhirsch in Österreich, macht das etwa auch die AfB-Gruppe (Arbeit für Menschen mit Behinderung). Die Geräte stammen dabei aber nicht von Grover, sondern meist von anderen Firmen. „Wenn die Bank Austria oder Austrian Airlines alle anderthalb, zwei Jahre ihre Firmengeräte austauschen, werden die an Refurbisher verkauft“, beschreibt refurbed-Co-Gründer Kilian Kaminski den Prozess. Mit dem „refurbed byback“ biete man einen Service an, bei dem Kund:innen ihre Altgeräte direkt einschicken können.

Bevor er gemeinsam mit Peter Windischhofer und Jürgen Riedl 2017 refurbed gegründet hat, war der gebürtige Hamburger beim Online-Riesen Amazon tätig. Seine Aufgabe war es, die Refurbishment-Sparte in Europa aufzubauen. „Ich habe da aber relativ schnell gemerkt, dass Amazon keinen Fokus darauf hat, weil sie mit Neuware mehr Geld verdienen“, erzählt Kaminski davon. Seine Liebe für Gebrauchtware war allerdings geweckt. Mittlerweile bietet refurbed Smartphones und Notebooks, aber auch generalüberholte Mixer, Staubsaugerroboter oder E-Bikes an. 15.000 Produkte sind auf der Plattform erhältlich.

Nachhaltigkeit spielt auch bei den Kund:innen von refurbed eine gewichtige Rolle: „In Österreich kaufen wirklich schon über 60 Prozent unserer Kund:innen wegen des Nachhaltigkeitsaspekts“, so Kaminski. „Eine sehr starke Kundengruppe von uns sind auch Familien, die erkannt haben: Für meine Kinder möchte ich die Welt nicht so hinterlassen.“ Dafür greifen Herr und Frau Österreicher auch gerne einmal etwa tiefer in die Tasche: „Wir wissen, dass die Hälfte der Österreicher:innen dafür bereit ist, zwischen zehn und fünfzehn Prozent mehr für nachhaltige Produkte zu bezahlen“, sagt Co-Gründer Windischhofer.

Bei Grover ist man sich da allerdings nicht so sicher: „Wie weit die Kund:innen bereit sind, dafür etwas extra zu bezahlen, ist noch die Frage“, meint Antonioli. „Wenn ein gekauftes Produkt gleichzeitig noch nachhaltig ist, ist es für die Kund:innen super. Aber wenn es dadurch fünf Euro mehr kostet im Monat, hört es bei vielen schon auf. Nicht bei allen, aber momentan bei der Mehrheit.“ Auch bei refurbed sieht man Unterschiede zwischen den Nationalitäten. Osteuropäer:innen seien etwa deutlich preisbewusster und auch Südeuropäer:innen würden weniger Wert auf Nachhaltigkeit als Deutsche oder Österreicher:innen legen. „Holland und Skandinavien sind da Vorreiter“, sagt Kaminski.

Auch die Politik ist gefragt

Auch in Österreich will man Vorreiter werden, so das Ziel der Politik. „Repariert statt ausrangiert“ lautet das Motto vom Ende April eingeführten österreichweiten Reparaturbonus. „Gemeinsam können wir ein Zeichen gegen die Wegwerfgesellschaft setzen und wertvolle Ressourcen sparen“, sagt Klimaschutzministerin Leonore Gewessler dazu. Das „Recht auf Reparatur“ ist ein heißes Thema in Brüssel, laut Europäischem Parlament würden 77 Prozent der EU-Bürger:innen ihre Geräte eher reparieren als ersetzen. Die ersten Gesetze dazu traten im März 2021 in Kraft. Grover, refurbed und Co. würden sich da allerdings mehr Tempo wünschen. Viele Produkte seien außerdem noch so gebaut, dass man einzelne Teile gar nicht austauschen kann. „Es gibt einige Geräte – zum Beispiel Smartwatches – wenn da das Display einen Kratzer hat, ist es praktisch ein Totalschaden. Weil es keine Ersatzteile gibt“, führt Antonioli aus.

Kaminski ortet immerhin eine Trendwende. „Wenn Konsument:innen das nachfragen, werden Unternehmen reagieren müssen. Aber dazu gehört auch gleichzeitig, dass es gewisse Regularien gibt, die angepasst werden müssen“, ist er überzeugt. Dass es auch anders funktionierten kann, zeigt etwa Frankreich. Das Land führte Anfang 2021 einen Reparatur-Index für Elektronik ein. Das Siegel zeigt mit einem Wert von 1 bis 10 an, wie leicht sich die Produkte reparieren lassen. Ab 2024 soll daraus ein Nachhaltigkeitsindex werden, der auch aussagt, wie langlebig ein Produkt ist und wie gut es sich nachrüsten lässt. Konsument:innen sollen so immerhin die Chance haben, nachhaltige Technik auf einen Blick zu erkennen.

Und es gibt auch gute Nachrichten. Die Universität Klagenfurt ermittelte etwa 2019, dass die Smartphones um ein Jahr länger genutzt werden als noch 2015. Die angegebene Nutzungsdauer habe sich von 2,7 Jahren auf 3,8 Jahre erhöht und auch die Reparaturen stiegen an. Eine Studie des Kreditversicherers Euler Hermes kam immerhin auf 40 Monate durchschnittlicher Nutzungsdauer in Europa, also 3,3 Jahre.

Müll als Ressource

Auch wenn Produkte nach einigen Jahren das Ende ihres Daseins erreicht haben, ist die Kreislaufwirtschaft – weil es ja ein Kreislauf ist – natürlich noch nicht abgeschlossen. „Es werden pro Jahr weltweit 57 Millionen Tonnen E-Waste produziert“, sagt Antonioli. „Das sind hauptsächlich relativ giftige Sachen, die irgendwann in Nigeria auf irgendeiner Müllkippe enden und dort irgendwann verbrannt werden.“

Dem widerspricht Chris Slijkhuis vom Recyclingunternehmen MGG (Müller-Guttenbrunn-Gruppe) zum Teil. Der gebürtige Holländer war bis 2021 Teil der Geschäftsführung von MGG-Polymers, die sich mit dem Recycling von Kunststoffen beschäftigt. „Der Großteil der Elektro-Altgeräte wird in der EU ordentlich gesammelt und nur ein sehr kleiner Anteil kann auch Schadstoffe enthalten“, sagt Slijkhuis. Für ihn ist das kein Müll, sondern ein Berg an Rohstoffen. Und dieser Berg wird von Jahr zu Jahr größer. „Elektroschrott ist einer der am schnellsten wachsenden Abfallströme überhaupt“, sagt Slijkhuis.

Angefangen habe in Österreich alles mit der Elektroaltgeräteverordnung im Jahr 2005. Mit ihr wurden zwei Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft umgesetzt, die besagen, dass Altgeräte aus dem Haushalt kostenlos an Sammelstellen zurückgegeben werden können (EAG-VO) und keine gefährlichen Substanzen in Bauteilen benutzt werden dürfen (RoHS-Richtlinie). Zusätzlich waren erstmals (Import-)Unternehmen für die umweltgerechte Verwertung und Behandlung der gesammelten Altgeräte verantwortlich. Die Grundlage für das moderne Recyclingsystem war geboren. „Was wir machen, ist eigentlich Urban Mining“, so Slijkhuis. Der städtische Bergbau zahlt sich aus: 100.000 Tonnen Metall im Jahr verarbeitet die MGG pro Jahr in Österreich, sowie 50.000 Tonnen Kunststoffe. Bei Plastik lasse sich so rund 90 Prozent an Energie gegenüber Neuware oder vier Tonnen CO2 pro Tonne Kunststoff einsparen.

Beim Recycling von Elektrogeräten braucht es jedoch Fingerspitzengefühl, Batterien, große Kondensatoren und Tonerkartuschen müssen nämlich in einem ersten Schritt entfernt werden. Der Rest wird zerkleinert und so gut es geht getrennt. Für Eisenmetalle und Nichteisenmetalle ist das relativ einfach, bei Plastik wird es schon schwieriger. „Besonders bei den Kunst-
stoffen haben sich die Recycling-Techniken in den letzten fünfzehn Jahren deutlich weiterentwickelt“, sagt Slijkhuis. Dennoch kann nicht alles recycelt werden. Kleingeräte bestehen zu rund 30 Prozent aus Kunststoff, die Hälfte davon kann auch wiederverwertet werden. Das liege auch daran, dass die Industrie gerne „exotische Kunststoffe“ einsetzt. „Die produzierende Industrie könnte mit vier oder fünf Kunststoffen fast alles abdecken“, ist Slijkhuis überzeugt. Das würde auch den Recycling-Prozess deutlich einfacher machen.

„Der Trend zur Nachhaltigkeit wird in den nächsten Jahren exponentiell wachsen. Es ist ja immer noch ein kleiner Bereich, der sich darauf spezialisiert“, ist Kaminski von refurbed überzeugt. Die Firmen werden darauf reagieren müssen, genauso wie die Politik. Beides dauert aber. „Das wird nicht von heute auf morgen passieren, sondern es geht step by step“, so Kaminski. Es sei aber zumindest schön zu sehen, dass es bereits langsam losgeht.

Text: Marcel Strobl
Foto: David Visnjic

 

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Diese Story stammt aus dem Retail Startup Report 2022. Der ist hier kostenlos als Download abrufbar.

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