Analyse

Ausblick: Was passiert, wenn Russland den Gashahn abdreht

Wie sicher ist die Gasversorgung in Österreich und Deutschland? ©pexels
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Es erscheint absolut unwirklich. „Nie wieder Krieg in Europa“ war die Hoffnung nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Diese hat sich nun wieder erneut zerschlagen. Nachdem bereits am 22.02.2022 der russische Ministerpräsident Wladimir Putin die ostukrainischen Separatistengebiete als zwei unabhängige Staaten Donezk und Luhansk anerkannte und russische „Friedenstruppen“ in die beiden Gebiete entsandte, verkündete er  am 24. Februar eine „Sonder-Militäroperation“. Es folgen Angriffe auf ukrainische Großstädte und militärische Einrichtungen.

Österreich und Deutschland sind abhängig

Mit dieser Eskalation der Situation ist eine Lawine an Folgewirkungen befürchten. Eine davon trifft die Gasversorgung Europas. „80 Prozent des importierten Erdgases in Österreich kommen aus Russland“, so Karina Knaus, Leiterin des Centers Volkswirtschaft, Konsument:innen & Preise der Österreichischen Energieagentur auf Anfrage von Tech & Nature. Im europäischen Schnitt liegt der Anteil des russischen Gases immer noch bei 40 Prozent.

In Deutschland machte Erdgas 2020 26 Prozent des deutschen Primärenergiebedarfs aus, wobei es primär für zur Wärmeerzeugung und in der mittleren Frist auch verstärkt bei der Stromversorgung benötigt wird, so das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einem aktuellen Gutachten von Andreas Fischer und Malte Köper im Auftrag der Atlantik Brücke e.V. Russland liefere dabei über die Hälfte des in Deutschland verbrauchten Erdgases, das wiederum ein Viertel der russischen Gasexporte ausmache.

Eine Abhängig von Russland als Gasimporteur ist somit da. Somit auch zwangsläufig die Frage: Wie wirkt sich die aktuelle Situation auf die Gasversorgung aus? Auch wenn es bereits Ende Februar ist, noch ist die Heizsaison hierzulande nicht beendet.

Gasspeicher auf historischem Tiefstand

„Österreich verfügt über relativ große Speicherkapazitäten – diese sind aber auf einem historisch niedrigen Stand. Nur noch rund ein Fünftel sind voll“, so Karina Knaus. Dieser historische Tiefstand an Erdgas ist aber keine plötzliche Entwicklung, sondern ist bereits seit Monaten absehbar. Bereits seit 2021 steckt Europa in einer Energiekrise. Diese ist laut verschiedenen Expert:innen aber nicht unbedingt eine Versorgungskrise, sondern eine Preiskrise und hat zu eklatanten Allzeithochs bei den Preisen am Großhandelsmarkt geführt. Im Vergleich zum Vorjahr ist der Gaspreis am Großhandelsmarkt derzeit um fast 500 Prozent höher, so die Österreichische Energieagentur.

Auch Lorena Škiljan, die Gründerin des Beratungsunternehmen für Erneuerbare Energielösungen, Nobilegroup erwartet weitere Auswirkungen auf den Preis: „Ein weiterer Anstieg der Gaspreise ist zu erwarten. Dabei spielt auch die Witterung und der sich daraus ergebende Bedarf ein große Rolle. Fraglich ist, inwieweit Russland sich eine Unterbrechung bzw. Einschränkung der Gaslieferung leisten kann oder will und ob es im Zuge der kriegerischen Handlungen zur Zerstörung bzw. Einschränkung der kritischen Infrastruktur (insbesondere Pipeline und Terminals) kommt.“

Solche Preissteigerungen betreffen dann natürlich nicht nur Österreich, sondern auch Deutschland: So prognostiziert eine Expertin aus Deutschland ebenfalls weiterhin hohe Preise. Dabei bezieht sie sich zudem auf das von dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gestoppte Zertifizierungsverfahren der Gaspipeline „Nord Stream 2“ in der Ostsee, welche Erdgas von Russland nach Deutschland bringen soll. „Die Gaspreise sind aufgrund der schwierigen Lage ohnehin schon gestiegen. Es ist mit weiteren Preissteigerungen zu rechnen, aber nicht, weil Nord Stream 2 gestoppt wird, sondern weil es sich generell um eine sehr ernste geopolitische Krise handelt“, so Claudia Kemfert, Abteilungsleiterin in der Abteilung „Energie, Verkehr und Umwelt“, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin.

Breiter Umstieg auf Ökostrom würde Energiekrise nicht sofort stoppen

„Gas-Versorgung der Haushalte gesichert“

In einer Analyse der Österreichischen Energieagentur im Auftrag von Oesterreichs Energie von 2021 wurden als ein Auslöser für diese Entwicklungen die Nachwehen der Corona-Pandemie und der zahlreichen globalen Lockdowns genannt. So ist die Nachfrage nach Rohstoffen und Energie, insbesondere in Asien, nach dem Krisenjahr 2020 überdurchschnittlich gestiegen. Das hätte zu einem sehr starken Anstieg der Preise über alle Energieträger hinweg geführt, insbesondere aber bei Erdgas und Kohle, so die Studie.

Hinzu kommen weitere Preistreiber, so Carola Millgramm, Chefin der Abteilung Gas bei der Regulierungsbehörde E-Control bei einer Online-Veranstaltung. Dazu zählt ein Rückgang der Gasförderung in Europa, Instandhaltungsarbeiten auf Gasfeldern in Norwegen und Russland und eingeschränkte Gaslieferungen aus Russland.

Aber – bisher ist der russische Gasimporteur Gazprom seinen vertraglich festgehaltenen Liefermengen nachgekommen. Und will das nach eigenen Angaben auch weiter tun. Zumindest teilte der Gaskonzern am Donnerstagmorgen mit, dass sie die Gasexporte durch die Ukraine nach Europa aufrecht erhalten wollen und Liefervereinbarungen erfüllt würden. Tatsächlich wurde die Versorgung auch in früheren Krisenzeiten aufrecht erhalten. „Das ist aber natürlich keine Prognose für die Zukunft“,so Knaus. Gehe man vom schlimmsten  Fall aus, nämlich dass Russland die Gaslieferungen einstelle, sei die Versorgung der österreichischen Haushalte aber gesichert, so die Einschätzung der Expertin.

Anders sieht es hingegen bei der Österreichischen Industrie aus. Diese sind nämlich die Hauptbezieher des importierten Erdgases und von Engpässen zunächst betroffen. „Grundsätzlich gibt es in Österreich das Energielenkungsgesetz, das auch bei Engpässen zu Anwendung kommen würde. Hier ist man also vorbereitet.“ Das 2012 in Kraft getretene Energielenkunsgesetz enthält  Lenkungsmaßnahmen zur Sicherung der Energieversorgung.

 

 

 

 

 

Industrie würde Engpässe zuerst spüren

Und wie siehts in Deutschland aus? Könnte das Land auf russisches Gasimporte verzichten? „Ja, kann es,“ so Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am 23. Februar 2022 im Deutschlandfunk. Die Möglichkeit, dass Deutschland genug Gas und genug Rohstoffe ohne Lieferungen aus Russland bekomme, sei gegeben.

Claudia Kemfert prognostiziert die möglichen Folgen ein wenig vorsichtiger für Deutschland: „Es kommt darauf an, wie es jetzt weitergeht. Sollten weniger Gaslieferung kommen, kann dies Deutschland durchaus ausgleichen. Sollten die gesamten fossilen Energie-Bezüge gestoppt werden, wird es erhebliche Anstrengungen bedürfen, diese entsprechend auszugleichen.“ So sei das Land ohne Frage in einer ernsten Situation, inmitten eines „fossilen Krieges“. „Deutschland kann einen Teil der möglichen Gaslieferungen aus anderen Quellen beziehen, zudem sind wir am Ende des Winters. Es ist unwahrscheinlich, dass es kalt wird, im allerschlimmsten Fall kann es dazu kommen, dass die Industrie den Verbrauch drosseln muss“, so Kemfert.

Ähnlich auch die Einschätzung, welche sich im Gutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag der Atlantik Brücke e.V. ergeben hat. So geben die Experten an, dass im Falle unvermeidbarer Versorgungslücken kurzfristig Reserve-Kraftwerke zur Verfügung ständen. Durch diese könne mindestens ein Viertel des Gasbedarfs in der Stromerzeugung ersetzt werden. Zudem würde auch in Deutschland die Versorgung von privaten Haushalten und sozialen Diensten priorisiert.

 

Klimalösung? Energiekrise lässt Disput zur Atomkraft neu entflammen

Was sind die Alternativen?

Was aber nun rückt nach, wenn das russische Erdgas fehlt? Kurzfristig: LNG. Diese drei Buchstaben stehen für „Liquefied Natural Gas“. Dieses ist verflüssigtes Erdgas, welches tiefkalt ist. Dadurch können größere Mengen transportiert werden, welche im Anschluss am Bestimmungsort wieder in den ursprünglichen Aggregatzustand versetzt wird. Bereits Anfang Februar sprach sich der frühere E-Control-Vorstand Walter Boltz gegenüber der apa für eine Reduktion der Abhängigkeit von Russland aus und nannte LNG als mögliche Alternative, da es dafür mehr Anbieter gebe. Sinken werden die Preise am Markt dabei aber nicht unbedingt. So brauche es spezielle Schiffe und Häfen, um das Flüssiggas zu transportieren. Außerdem sei es etwas teurer.

„Das LNG kommt vorrangig aus den USA oder den Arabischen Emiraten und wird jetzt schon massiv verwendet. Der Import in Europa hat sich im Jänner im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt“, so Knaus. Waren es im Jahr 2021 im Schnitt 18 Prozent, stieg der Wert im Jänner 2022 auf teilweise über 35 Prozent. LNG hat damit bereits ein Drittel des in Europa verwendeten Gases ausgemacht. LNG war bisher im Verhältnis teuer, durch die aktuelle Preisentwicklung ist es nun aber eine Option und kann Gas aus Russland ersetzen. Bisher hat Asien stark auf LNG gesetzt. Damit befindet sich Europa im Preiswettbewerb mit Asien. Wer bereit ist mehr zu zahlen, erhält das Flüssiggas.

Auch die Expertin aus Deutschland spricht sich von einem Loslösen von nur wenigen Erdgas-Bezugsquellen aus:“Wir sollten besser auf eine Diversifikation der Gasbezüge setzen und können auch auf Flüssiggas ausweichen, da in Europa mehr Kapazitäten vorhanden sind. Es gibt ausreichende Flüssiggas-Terminals in Europa, auf die auch Deutschland zugreifen kann“, so Kemfert.

Allerdings sieht ihr Kollege aus Deutschland, Manfred Fischedick, Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie gGmbH, auch einen verstärkten Einsatz von anderen fossilen Quellen: „Sollte es in der Stromversorgung Lücken aufgrund von fehlendem Erdgas geben, dann wird es zwangsläufig zu einem verstärkten Einsatz von Kohlekraftwerken kommen.“

Trotz Corona-Krise: 2020 ist Rekordjahr für Ausbau von Erneuerbaren Energien

Ausbau der Erneuerbaren elementar

Fakt bleibt aber: Neben einem höheren Preis und der hohen globalen Nachfrage, ist auch LNG am Ende nur wieder Erdgas. Dessen Verwendung hat mit Blick auf die Klimaneutralitäsziele von Österreich und Europa ein zeitnahes Ablaufdatum. Als tatsächliche finale Lösung bleiben daher laut der Expertin der Österreichischen Energieagentur nur die Erneuerbaren Energien. „Bis zum Ende des Jahres sehen wir keine Entspannung, die Preise werden auf hohem Niveau bleiben. Denn auch wenn die Heizsaison zu Ende ist, müssen etwa beim Gas die Speicher gefüllt werden – die Nachfrage bleibt also hoch und damit auch der Preis“, so Karina Knaus, „Erneuerbare – Energie aus Wasser, Wind und Sonne – sind die Chance die Abhängigkeit von teurem und umweltschädlichen Erdöl und Erdgas zu verringern und gleichzeitig die Preise für Energie zu senken. Die Preistreiber derzeit sind alle Fossil: Also Erdöl und damit Treibstoffe und Heizöl und Erdgas. Sie treiben auch die Inflation. Wir erleben gerade eine so genannte Fossilflation.“

Lorena Škiljan von der Nobilegroup bestätigt den Bedarf nach mehr erneuerbaren Energiequellen: „Die Richtungsweisung des Green Deals und damit des österreichischen EAGs hat sich angesichts der derzeitigen Situation bestätigt. Ein rascher Ausbau von erneuerbaren Erzeugung und  damit einhergehende Unabhängigkeit von fossilen Energiequellen ist der Weg welcher noch schneller umgesetzt werden soll.“ Allerdings fürchtet sie ein weiteres Erstarken der Atomkraft in der EU.

Energiekrise als Comeback der Kohleenergie in Europa?

In Deutschland hat die neue Bundesregierung bereits einen ehrgeizigen Fahrplan zum Ausbau der Erneuerbaren Energien gesetzt. Diesen braucht es auch, um diese Negativspirale zu durchbrechen, ist sich Claudia Kemfert vom DIW Berlin sicher: „Die beste Antwort auf fossile Energiekriege ist nicht eine Laufzeitverlängerung von Atom und Kohle, sondern die beschleunigte Energiewende mit einem schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien und dem deutlichen Energiesparen. Der Ausbau erneuerbarer Energien muss Priorität haben und Versorgungssicherheit erste Priorität. Planungs- und Ausbauverfahren sollten beschleunigt werden mit der Begründung der Sicherstellung der Versorgungssicherheit. Wir brauchen einen Booster für erneuerbare Energien und Energiesparen insbesondere im Gebäudebereich.“

 

 

Anmerkung Redaktion: Korrektur Institut der deutschen Wirtschaft (IW) statt Institut der deutschen Wissenschaft am 25.02.2022/ 08:30 Uhr. 

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