Warum das gesellschaftliche Stigmata der Arbeitslosigkeit ausgedient hat
Andreas Tschas ist einer der Gründerväter der österreichischen Startup-Szene. Er initiierte das Pioneers Festival und beschäftigt sich seit einiger Zeit mit den Herausforderungen und Chancen, die die Digitalisierung für unsere Gesellschaft von morgen mit sich bringt. Ab jetzt teilt er mit uns ein paar seiner Gedanken.
Vor zwei Jahren hieß es, dass die ersten autonomen Fahrzeuge in 20 Jahren auf den Straßen der Welt fahren werden. Knapp vorbei. Schon heute gibt es in Pittsburgh und Singapur Taxis, die ohne Fahrer Menschen von A nach B bringen und damit die ersten Boten einer Entwicklung sind, die eine ganze Branche arbeitslos machen werden. Die Taxi-, Bus-, und Straßenbahnfahrer.
Viele Studien versuchen die Entwicklungen am Arbeitsmarkt vorauszusehen. Einige (zum Beispiel jene von A.T. Kearney) gehen davon aus, dass sich die westliche Gesellschaft auf einen massiven Wandel einstellen muss, andere gehen von moderaten neun Prozent automatisierter Jobs aus, die bald weg brechen werden. Eine Bestimmung der genauen Zahlen bleibt ein Blick in die Glaskugel. Eines ist aber sicher: In vielen Branchen wird kein Stein auf dem anderen bleiben. Und das betrifft nicht nur Jobs mit voraussehbaren Handlungsabfolgen wie den des Taxifahrers, sondern auch Jobs mit komplexen Aufgabenstellungen wie die der Chirurgen, Rechtsanwälte und Piloten. Selbst diese stehen davor von Robotern ersetzt zu werden. In Wahrheit ist kein Job wirklich sicher. Doch ist das so schlimm?
Arbeitslosigkeit als gesellschaftliches Stigmata
„Arbeit“ ist ein traditionell aufgeladener Begriff. Vollbeschäftigung ein gesamtgesellschaftliches Ziel. Arbeitslosigkeit hingegen für eine ökonomische Region wie für jeden einzelnen stigmatisierender Zustand der Verunsicherung auslöst und als Indikator für mangelnde Kompetenz herhalten muss. Deshalb sollten wir in dieser Zeit, in der Roboter und Programme die arbeitende Klasse mehr und mehr von der Werkbank ablösen, nicht aufhören über das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) zu diskutieren.
Eine regelmäßige Zahlung, die jeder erhält, unabhängig von Beruf, Einkommens- oder Beschäftigungsstatus. Eine soziale Absicherung, die uns vor der Automatisierung der Jobs retten soll und unsere elementare Bedürfnisse abdeckt um materielle Armut zu begrenzen.
Einer der ersten Versuche zum Grundeinkommen fand 1974 in der kanadischen Stadt Dauphin unter dem Begriff „Mincome“ statt. 1.300 Menschen in der Region erhielten wegen einer anhaltenden Rezession monatliche Zahlungen, die frei zu ihrer Verfügung standen. Drei Jahre später war das Budget von 17 Millionen kanadischen Dollar aufgebraucht. Das Projekt endete mit dem Ergebnis, dass die Leute sich Jobs gesucht hatten, die zu ihnen passten. Jugendliche blieben länger in der Ausbildung, anstatt die erste Chance wahrzunehmen um Geld zu verdienen. Die Qualität ihrer Ausbildung verbesserte sich signifikant. Arbeitslose nahmen sich Zeit auf das richtige Angebot zu warten, anstatt aus purer Not das erstbeste anzunehmen.
Modellregionen in halb Europa
Jetzt erinnert man sich wieder an die Ergebnisse dieses Projektes. Deshalb startet die Provinz Ontario in diesem Jahr mit einem Budget von 25 Millionen kanadischen Dollar einen weiteren Pilotversuch, um noch präzisere Resultate zu erzielen.
Auch in den Niederlanden, in Belgien, in Finnland und in Indien starten erste Initiativen. Die Schweiz entschied sich vor kurzem per Volksentscheid knapp gegen das Grundeinkommen. Und bei uns in Österreich? Hier werden Ideologien gewälzt, anstatt die Idee praktisch auszuprobieren. Eine faktenbasierte Diskussion scheitert an den Grundhaltungen der regierenden Parteien.
Nicht nur staatliche Institutionen wagen Versuche, sondern die Idee findet auch unter Tech-Gurus ihre Anhänger. Ebay-Gründer Pierre Omidayar steckte vor kurzem knapp eine halbe Million US-Dollar in das kenianische Startup GiveDirectly, das rund 1.000 Euro direkt an extrem arme Haushalte in abgeschiedenen Regionen verteilt und so die Menschen von den ärgsten Nöten befreit. Auch Tesla-CEO Elon Musk sieht das bedingungslose Grundeinkommen eine alternativlose Alternative für die Zukunft. Er sagte dem Fernsehsender CNBC Ende vergangenen Jahres, dass „Leute durch das Grundeinkommen wieder Zeit haben werden, andere, komplexere Dinge zu tun.“
Wer soll das bezahlen?
Wer wird überhaupt noch Lohn- und Einkommensteuer in die Staatshaushalte einzahlen, wenn die Roboter ein Gros der Jobs der humanen Steuerzahler übernehmen? Die Tatsache, dass die neuen Arbeiter Roboter wären, „befreie sie nicht von der Steuerpflicht“, sagte kürzlich Benoit Hamon, der radikal-sozialistische Kandidat anlässlich der französischen Präsidentschaftswahl. Können Roboter neben der Arbeit auch das Steuer zahlen für die Menschen übernehmen? Ein paradiesischer Gedanke.
Eines erscheint sicher: Wenn der Staat das BGE ausnahmslos an alle Bürger ausgibt, könnte er sich auch eine Menge Kosten sparen, die bislang dem Wohlfahrtsstaat zugerechnet wurden: fehleranfällige Individualberechnungen, Einsprüche, Berufungsverfahren, Restriktionen und Ausnahmen potenzieren nicht nur die Verwaltungskosten, sie erzeugen auch sozialen Unfrieden durch Privilegien einzelner Berufsgruppen.
Verunsichert das Modell eine Gesellschaft?
Der Amerikaner Arthur C. Brooks, der sich auf Fragen rund um „Gross National Happiness“ spezialisiert hat, meint dazu, dass es gerade in der kausalen Abhängigkeit von Arbeit und Kapital begründet ist, dass viele Langzeitarbeitslose an der Sinnhaftigkeit ihres Lebens zweifeln und in Depressionen verfallen. Die Arbeit als Identifikationsinstrument für die eigene Existenz steht durch das BGE in Frage. Denn: Wodurch können Menschen Sinn entfalten, wenn die kausale Kette Arbeit – Geld – Wohlstand so keine Berechtigung mehr hat?
Ein weiterer berechtigter Kritikpunkt ist die Entsolidarisierung verschiedener gesellschaftlicher Schichten. Denn der Verlust von Arbeit durch künstliche Intelligenz und Roboter erfolgt asymmetrisch. Primär zulasten derer, die überwiegend physische Arbeit leisten. Eine kostspielige Politik, die diesen Verlust ausgleichen will, würde ein Auseinanderdriften zwischen jenen verstärken, die einen Job haben, und jener Gesellschaftsschicht, die keinen hat und – bei BGE – euch keinen mehr sucht.
BGE als eine Art „Luxus-Kommunismus“
Die Schattenseiten, vorgetragen von wertkonservativen Parteien, stigmatisieren die Idee als eine Art „Luxus-Kommunismus“. Intonation: Die ökonomische Sicherheit durch ein BGE würde fast jeden Anreiz für Arbeit und Ausbildung beseitigen. Die davon Betroffenen würden sich in einen Teufelskreis aus BGE, Inaktivität und Bildungsferne begeben, aus dem es generationenübergreifend kein Entrinnen gäbe. Die praxisnahen Beispiele in Kanada zeigen eigentlich das Gegenteil.
Der schmerzvolle Übergang in die 4. Industrielle Revolution
Meiner Meinung nach würde das BGE den schmerzvollen Übergang in die „4. Industrielle Revolution“ abfedern. Es sollte als Ergänzung zum Arbeits-Erwerb-Modell dienen, nicht als dessen Ersatz. Mit einem BGE als Absicherung der Grundbedürfnisse könnten die Menschen ihre wichtigsten Lebensentscheidungen in größerer politischer Sicherheit und ökonomischer Freiheit treffen. Vor allem aber hätten sie mehr Freiheit, das zu tun, was ihr innerer Antrieb sagt, was ihnen Spaß macht und sie begeistert. Und wenn ein signifikanter Teil der Gesellschaft individuelle Leidenschaft für eine Berufung entwickelt, hat das Potenzial für den Transfer in eine Wissensgesellschaft, die seit Jahren durch den politischen Diskurs wabert.
Die Debatte wird sich intensivieren. Der Nutzen und die Finanzierbarkeit müssen noch weiter analysiert werden und für Musterregionen muss das gesetzliche Umfeld geschaffen werden, praxisnah mit dem BGE zu experimentieren. Und bitte auch in Österreich – frei von ideologischen Scheuklappen. Auch um den Menschen, die die Automatisierung JETZT schon betrifft, Sicherheit und Aussicht zu vermitteln.