Biodiversitäts-Strategie löst Streit um Österreichs Wälder aus
Österreichs Bundesregierung arbeitet an einer nationalen Biodiversitätsstrategie, mit der die Artenvielfalt auf Wiesen und in Wäldern geschützt werden soll. Noch gibt es dazu keinen konkreten Entwurf, aber bereits der Entstehungsprozess der Strategie lässt die Wogen hoch gehen. Dabei ist das Klimaschutzministerium bei der Strategiefindung einen ungewohnt offenen Weg gegangen: Acht Wochen lang konnte auf einer eigens eingerichteten Homepage ein ganzer Katalog unterschiedlichster Expertenvorschläge kommentiert werden. Dieser „Biodiversitätsdialog“ ist nun abgeschlossen und in den kommenden Wochen müssen mehr als 1.700 Kommentare ausgewertet werden.
Mehr Flächen ungenutzt lassen
Die Pläne der Klimaschutzministerin stoßen trotz des offenen Begutachtungsverfahrens auf massive Kritik, die im Wesentlichen aus Forstwirtschaft und Holzindustrie kommt. „Was hier im ‚Biodiversitätsdialog 2030+‘ vorgeschlagen worden ist, kritisieren wir sowohl inhaltlich als auch punkto Erstellungsweise“, meldet sich etwa der Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich, Josef Moosbrugger, per Aussendung zu Wort.
Stein des Anstoßes ist der Vorschlag, bestimmte Flächen „außer Nutzung“ zu stellen. So sollen laut dem Konsultationspapier jeweils zehn Prozent der bisher land- oder forstwirtschaftlich genutzten Flächen in Zukunft der Wildnis überlassen werden. Das Argument: Wenn diese Flächen wirtschaftlich genutzt werden, fördert das den Anbau bestimmter, ertragreicher Sorten und nicht unbedingt einen vielfältigen Lebensraum aus heimischen Wildpflanzen für Insekten und Tiere.
Schlechte Datengrundlage für Artenvielfalt
In welchem Ausmaß die Artenvielfalt in Österreich bedroht ist, ist schwer zu sagen, da einheitliche Daten fehlen. Während zum Beispiel die Vogelschutzorganisation Birdlife jährlich den „Farmland Bird Index“ erstellt, gibt es für Insekten kaum eine zuverlässige Datengrundlage. Auch rote Listen für gefährdete Tierarten werden in Österreich nicht einheitlich geführt. Das Klimaschutzministerium hat daher das Umweltbundesamt mit einer Studie beauftragt, deren Ergebnisse nun vorliegen.
Untersucht wurde dabei der Insektenbestand: „In der Roten Liste der Tagfalter Österreichs sind 52 % aller Arten als gefährdet eingestuft, bei den Heuschrecken 57 % und bei den Libellen 67 %“, heißt es dazu vom Umweltbundesamt. Die Daten dazu stammen aus den Jahren 2005 und 2006. „Die Biodiversitätsarchive Österreichs (wissenschaftliche Belegsammlungen) sind unterdotiert“, befunden die Studienautoren. Und weiter: „Für Österreich liegen keine quantitativen Daten vor, die einen Insektenrückgang belegen oder widerlegen könnten. Indizien, insbesondere lokale Studien und Gefährdungsanalysen (Rote Listen) lassen aber keinen Zweifel, dass die Rückgänge in Österreich stattgefunden haben und stattfinden“.
Auswirkungen auf Holzindustrie und Biomasse
Land- und Forstwirtschaft fürchten durch die „Außer-Nutzung-Stellung“ massive wirtschaftliche Einbußen, die zudem andere Klimaschutzpläne gefährden könnten. „Dazu zählen unter anderem das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz mit mehr Energie aus Biomasse, eine Eiweißstrategie und Bioökonomiestrategie oder die im kürzlich beschlossenen Forstpaket enthaltene Holzbauoffensive samt Entwicklung von Holzdiesel, um raus aus den Fossilen und rein in die Erneuerbaren zu kommen“, so Moosbrugger. Jährlich stünden laut Landwirtschaftskammer durch die Strategie der Regierung zwischen 3 und 7,4 Mio. Vorratsfestmeter (Vfm) Holzertrag auf dem Spiel. Das wäre Holz für 25.000 bis 60.000 Holzhäuser, erklärt Moosbrugger.
Gleichzeitig würde eine Außer-Nutzung-Stellung mancher Flächen zu einer intensiveren Nutzung anderer Flächen führen, mahnt der Fachverband der Holzindustrie Österreichs. Sie hätte aber auch handfeste wirtschaftliche Auswirkungen, wie den Verlust von Arbeitsplätzen und ein geringerer Export. Der Wald- und Holzsektor liefere jährlich einen Produktionswert von 12 Milliarden Euro mit einem Exportüberschuss von durchschnittlich 4 Milliarden Euro.
Forscher warnen: Grüne Energie bedroht Lebensraum vieler Tiere
Die Coronakrise setzt den Forstbetrieben stark zu. Sie kämpfen nicht nur mit der Klimakrise, auch Schädlinge – vor allem der Borkenkäfer – setzen den Wäldern stark zu. Und Forstbetriebe bleiben derzeit aufgrund der Coronavirus-Krise verstärkt auf Schadholz sitzen. Hinzu kommt aufgrund des Überangebots ein Preisverfall bei Schadholz. Bei dem größten Forstbetrieb, den Bundesforsten, führte das in Summe dazu, dass sich der Betriebsgewinn auf 13,2 Millionen Euro halbierte. Die Verluste in der Sparte „Forst und Holz“ müssen durch Gewinne in anderen Sparten wie Immobilen oder Erneuerbare Energie ausgeglichen werden.
Landwirtschaftskammer fühlt sich übergangen
Kritik gibt es auch an dem Konsultationsprozess der Biodiversitätsstrategie an sich. Man habe sich mit verschiedenen Expertinnen und Experten an den Workshops des Klimaschutzministeriums beteiligt und sich eingebracht – diese Ergebnisse seien aber bei der Strategie unbeachtet geblieben, so die Landwirtschaftskammer per Aussendung. „Auch die Biodiversitätskommission, an der wir ebenso beteiligt sind, wurde nicht in die Erstellung eingebunden. Das muss geändert und nachgeholt werden“, kritisiert Moosbrugger.
Die Organisationen betonen, grundsätzlich für Erhaltung und Schutz der Artenvielfalt einzustehen. Eine nachhaltige Bewirtschaftung von Wiesen, Äckern und Wäldern seien die Existenzgrundlage für Land- und Forstwirte, wie Felix Montecuccoli von Land&Forst Betriebe Österreich erklärt. Angesichts von Klimakrise-bedingten Schäden durch Dürre oder Schädlingsbefall müssen Wälder aktiv gepflegt und Totholz entfernt werden, ist auch Rudolf Rosenstatter vom Waldverband Österreich überzeugt und ortet das Problem woanders: „Um Insekten zu schützen, braucht man nicht 10% der Wälder außer Nutzung zu stellen, wie dies im Entwurf der Biodiversitätsstrategie 2030 geschrieben steht. Vielmehr muss die Verwendung von Erdöl, Erdgas und Kohle rasch und deutlich reduziert werden“.