Mikroben

Biologisches Recycling: Auf der Suche nach den perfekten Plastikfressern

Beim biologischen Recycling spalten Mikroben durch Enzyme das Plastik auf. © Pexels
Beim biologischen Recycling spalten Mikroben durch Enzyme das Plastik auf. © Pexels
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Milliarden Tonnen Plastik stapeln sich auf Müllhalden und verschmutzen Landschaften und Meere. Die Wissenschaft sucht daher nach Methoden, das Plastik wieder abzubauen und womöglich wiederzuverwerten. Als vielversprechend könnten sich Mikroben herausstellen: Mit speziellen Enzymen spalten sie den Plastikmüll in seine chemischen Grundbestandteile auf. Daraus lässt sich dann wieder neues Plastik herstellen. Biologisches Recycling nennt sich die Methode.

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Bei herkömmlichen Recyclingmethoden wird aktuell vor allem auf thermische Verfahren gesetzt, bei denen der Plastikmüll bei hohen Temperaturen eingeschmolzen wird. Beim biologischem Recycling benötigen die Enzyme hingegen eine wässrige Umgebung und eine Temperatur von 65 bis 70 Grad Celsius, so Forschende der Universität Leipzig. Dazu braucht es spezielle Anlagen in denen sich die Enzyme wohlfühlen und optimal arbeiten können. Bisherige Verfahren brauchten aber vor allem eines: viel Zeit.

Die aktuell veröffentlichte Untersuchung des Forschungsteam der Universität Leipzig könnte dafür nun eine Lösung gefunden haben und das auf dem Leipziger Südfriedhof,  wie sie in einer Studie im Fachmagazin Chemestry Europe beschreiben. Die Forscher:innen hatten dort gezielt Proben von Laubkompost genommen und fanden in einer Probe den Bauplan eines Enzyms, das im Labor in Rekordgeschwindigkeit PET zersetzte.

Enzym zersetzt Kunststoffe innerhalb weniger Stunden

Das Ergebnis: Innerhalb von 16 Stunden zersetzte das Enzym PHL7 das PET zu 90 Prozent, in der gleichen Zeit schaffte einer der bisherigen Spitzenreiter unter den Enzymen in dem Bereich, LCC, einen Abbau von gerade einmal 45 Prozent. Eine Kunststoffschale, in der im Supermarkt zum Beispiel Weintrauben verkauft werden, ließ sich mit PHL7 so in weniger als 24 Stunden zersetzen. Das PET wird dabei in seine Bestandteile Terephthalsäure und Ethylenglycol zersetzt, aus denen sich im Anschluss wieder neues PET herstellen lässt.

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„Das in Leipzig entdeckte Enzym kann einen wichtigen Beitrag bei der Etablierung von alternativen energiesparenden Plastikrecyclingverfahren leisten“, sagt Wolfgang Zimmermann, der den Forschungsbereich an der Universität Leipzig maßgeblich aufgebaut hat. Die Forscher:innen aus Leipzig hoffen nun, dass das neu entdeckte Enzym PHL7 das biologische Recycling auch in der Praxis weiter voranbringen wird. In den kommenden zwei bis drei Jahren soll ein Prototyp entstehen, in dem die Methode auch mit Betrachtung der ökonomischen Vorteile weiterentwickelt werden kann.

Der Wettlauf um biologisches Recycling

Auch global betrachtet, haben Forschende das Thema für sich erkannt. Erst im April 2022 berichteten US-Forscher:innen, dass ihre plastikfressenden Mikroben Verpackungsmaterial innerhalb von 24 Stunden zersetzen können. Möglich sei das bereits bei Temperaturen unter 50 Grad (wir berichteten). Gelänge es die Temperaturen weiter zu senken, könnten die Mikroben sogar direkt auf Müllhalden oder in stark verschmutzten Gebieten ausgebracht werden. Dazu müsse es allerdings bei Umgebungstemperatur wirken.

Wind trägt Tonnen an Mikro- und Nanoplastik durch die Welt

Aber, wie heißt es so schön: Gut Ding braucht Weile. Das zeigt sich am Beispiel des französischen Startup Carbios. Das laut eigenen Angaben erste und einzige Unternehmen, das biologisches Recycling im großen Stil betreibt, arbeitet seit der Gründung im Jahr 2011 an seiner Version. Im Moment entwickle man eine industrielle Anlage, die 50.000 Tonnen PET im Jahr verwerten soll, so das Unternehmen. Wann diese fertiggestellt werden soll, ist aber noch nicht bekannt. Carbios nahm jedoch im September 2021 eine Demonstrationsanlage in Betrieb, die laut eigenen Angaben vielversprechend ist. Das finden scheinbar auch verschiedene Investor:innen. So haben sich die Unternehmen PepsiCo, L’Oréal, Nestlé Waters und Suntory Beverage & Food Europe zu einem Konsortium zusammengeschlossen, um mit dem Startup zusammenzuarbeiten (wir berichteten).

PET macht nur einen Bruchteil der Kunststoffe ein

Es gibt jedoch noch einen Haken beim biologischen Recycling. Für alles Plastik dieser Welt ist es bisher noch keine universelle Lösung. So arbeiten die Forschenden in Leipzig aktuell an einer neuen Vorbehandlungsmethode, durch welche die PET-Zersetzung durch das von ihnen entdeckte Enzym nicht nur bei sogenanntem amorphem PET funktioniere, das zum Beispiel für Obstverpackungen verwendet wird, sondern auch bei sogenanntem gestrecktem PET, so die Forschenden.

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„Aktuell kennen wir nur wenige Mikroorganismen und Enzyme, die die Plastikarten Polyethylenterephthalat (PET), Polyurethanester (PUR) und Polyamid(oligomere) (PA) abbauen. Allerdings ist der Mechanismus des Plastikabbaus noch immer nicht vollständig geklärt“, sagt etwa auch Wolfgang Streit, Leiter der Arbeitsgruppe Mikrobiologie und Biotechnologie an der Universität Hamburg. Streit erstellte gemeinsam mit Kolleg:innen eine Datenbank für plastikabbauende Enzyme, welche nun stetig erweitert werden soll. „Enzyme, die weitere Kunststoffe auf der Basis fossiler Brennstoffe abbauen, zu denen zum Beispiel Polyvinylchlorid, also PVC und Polypropylen (PP) gehören, sind uns nicht bekannt“, gibt er in einer Aussendung Anfang März 2022 an.

Klassisches Plastik-Recycling hat sich stark verbessert

Umso wichtiger ist es, Kunststoffe so gut es geht zu vermeiden und einen Ersatz zu finden, wo es möglich ist. Und wo sich Kunststoffe nicht vermeiden lassen, ist klassisches Recycling wichtig. Gerade bei Plastik-Recycling habe sich in den letzten 15 Jahren einiges getan, verrät Chris Slijkhuis vom österreichischen Recyclingunternehmen MGG. Slijkhuis war bis 2021 Teil der Geschäftsführung von MGG-Polymers, das sich auf das Recycling von Kunststoffen spezialisiert. Mittels chemischen Recyclingverfahren gab es in den letzten Jahren einen Aufschwung bei den technischen Möglichkeiten. Sorge bereiten ihm allerdings immer noch „exotische Kunststoffe“ vieler Unternehmen. „Mit drei, vier Kunststoffarten wären die meisten Bedürfnisse abgedeckt“, so seine Meinung. Was darüber hinaus geht, sei größtenteils Marketing.

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Doch auch bei PET nützt alle Wiederverwertbarkeit nichts, wenn das Material nicht in den Recyclinganlagen ankommt. Das Sammel- und Verwertungsunternehmen Altstoff Recycling Austria (ARA) schätzt die Recyclingquote in Österreich etwa auf unter 30 Prozent. Im EU-Vergleich liegt das Alpenland damit auf dem viertletzten Platz. Vorzeigeländer wie die Niederlande oder Schweden schaffen 57 bzw. 53 Prozent recyceltes Plastik, der EU-Schnitt liegt immerhin bei 41 Prozent.  Laut Verpackungsrichtlinie der EU soll die Recyclingquote aller Plastikabfälle bis 2025 auf 50 Prozent und bis 2030 auf 55 Prozent gesteigert werden. Wird diese Recyclingquote nicht erreicht, drohen hohe Strafzahlungen. Bereits seit 1. Jänner 2021 ist innerhalb der EU die Plastiksteuer in Kraft getreten. Bedeutet: Nicht recycelte Kunststoffverpackungen kosten dem Land 80 Cent pro Kilo.

Vorsicht vor dem Mikroplastik

Wie wichtig Recycling für uns und unsere Umwelt wäre, zeigen auch die zunehmenden Belastungen mit Mikro- und Nanoplastik. Die meisten Kunststoffe zersetzten sich in der Natur nämlich nicht, sondern zerfallen nur in immer kleiner werdende Stückchen. Wie sich diese Plastikpartikel auf unsere Gesundheit auswirken, ist noch nicht vollständig geklärt. Gesund dürfte es allerdings nicht sein, wie Wissenschaftler Andreas Fath bei einem Presseevent Anfang Mai erklärte. So lagern sich nämlich an der Oberfläche der mikroskopisch kleinen Plastikteile chemische Schadstoffe ab, die mit den Teilchen in die Nahrungskette gelangen.

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Die Dosis macht das Gift

Plastik gänzlich zu verteufeln, wäre allerdings der falsche Weg. Es gibt haufenweise Anwendungen, bei denen sich Kunststoffe als das geeignetste Material herausstellt, sogar die kleinsten Teile. Das Startup Polymere Active setzt Mikro- und Nanoplastik etwa zum Filtern von Schadstoffen aus Gewässern ein. Die bisher dafür verwendete Aktivkohle ist nämlich teuer: Die Herstellung kostet viel Energie und die Aktivkohle wird als Abfallstoff am Ende verbrannt. Plastikteilchen würden hingegen die gleichen Aufgaben wie Aktivkohle erfüllen und könnten am Ende wieder recycelt werden. Plastik hat also seine Daseinsberechtigung, in Maßen und anschließender Wiederverwertung. Die Dosis macht allerdings das Gift.

Dem Mikro- und Nanoplastik in unserem Körper auf der Spur

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