Gastbeitrag

Birgit Hofreiter von der TU Wien: „Noch immer existieren Vorstellungen vom weltabgewandten Nerd“

Birgit Hofreiter von der TU Wien. © Birgit Hofreiter
Birgit Hofreiter von der TU Wien. © Birgit Hofreiter
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Die Bundesregierung will im Rahmen der „Digital Roadmap“ Österreich zum Innovations-Leader in Europa machen und die Digitalisierung nutzen, um den Wirtschaftsstandort zu stärken. Im Rahmen einer Online-Diskussion sind alle Bürger bis 31. März (die Frist wurde verlängert) gefragt, sich mit ihren Vorschlägen einzubringen. Vertreter der österreichischen Start-up-Szene und mit Neugründungen befassten Experten veröffentlichen hier ihre Ideen – heute ist Birgit Hofreiter, Leiterin des Informatics Innovation Center (i²c) der TU Wien, an der Reihe:

Die Welt befindet sich am Anfang einer nie dagewesenen Transformation. Auch wenn wir heute allenfalls rudimentäre Vorstellungen davon haben, wie diese Transformation aussehen wird, wissen wir doch zweierlei: Zum einen wird sie umfassend sein und keinen Bereich unserer Arbeits- und Lebenswelt aussparen. Zum anderen wird sie dazu führen, dass die Karten im globalen Wettbewerb der Volkswirtschaften neu gemischt werden. Vor diesem Hintergrund ist es fast schon zwingend, dass die Bundesregierung auf Maßnahmen zielt, die dazu beitragen mögen, dass unser Land nicht unter der digitalen Transformation leidet, sondern bestenfalls von ihr profitiert.

Ob es dazu politisch angezeigt ist, das vollmundige Ziel des „Innovation Leader“ zu bemühen, mag ich nicht beurteilen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation erscheint mir eine solche Vorgabe aber doch überzogen. So gibt es einerseits im Vergleich zu anderen Ländern noch einen beachtlichen Aufholbedarf. Andererseits müssen wir uns wie andere Länder auch grundsätzlichen Herausforderungen stellen, die nicht nur erhebliche Anstrengungen erfordern, sondern vor allem eine Änderung gesellschaftlicher und kultureller Rahmenbedingungen.

Falsche Vorstellungen von digitalen Kernberufen

Es ist unstrittig, dass Bildung der zentrale Wettbewerbsfaktor in den gerade neu entstehenden Arenen der digitalen Marktwirtschaft sein wird. Dabei handelt es sich zunächst um die Art von Bildung, die dem klassischen Wissenschaftsverständnis entspricht: die Verbindung der Vermittlung etablierter Grundlagen mit der Anregung zu kritischem, neugierigem Denken. Insbesondere ist damit die Förderung einer Qualifikation verbunden, die den zentralen Erfolgsfaktor der digitalen Transformation darstellt: eine hervorragende Kompetenz zur systematischen Entwicklung und Anwendung komplexer IT-Systeme sowie die Fähigkeit, durch technische Innovation neue Produkte, Produktionsverfahren und letztlich neue Lebensformen zu ermöglichen.

Hier sind also vor allem Disziplinen wie die Informatik und die Wirtschaftsinformatik gefragt. Leider ist das gesellschaftliche Ansehen entsprechender Berufe noch weit entfernt von der Bedeutung, die sie für die Zukunft unserer Gesellschaft haben. Noch immer existieren Vorstellungen vom weltabgewandten Nerd, von „Programmierknechten“, die sich in den Untiefen von Programmcode verlieren und keinen Sinn für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben haben. Sie wirken insbesondere auf junge Frauen abschreckend. Viel gravierender als solche Zerrbilder ist aber wohl der Umstand, dass Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft wie auch viele Lehrer und Eltern keine angemessene Vorstellung von diesen digitalen Kernberufen und den damit verbundenen Kompetenzen haben.

Noch immer sucht man in den Spitzenpositionen in Regierungen, Unternehmen und in der öffentlichen Verwaltung zumeist vergeblich nach Informatikern und Wirtschaftsinformatikern. Gleichzeitig dürften immer noch die meisten Lehrer an Gymnasien den besonders begabten Schülern eher kein Studium der (Wirtschafts-)Informatik empfehlen.

Unterbesetzte Universitäten

Neben der Bildung ist an gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu denken. Sie betreffen u.a. tradierte Denkmuster, die der Entstehung einer kreativen Internet-Wirtschaft im Wege stehen. Vor allem aber benötigen wir eine deutliche gesellschaftliche Wertschätzung von Unternehmensgründern. Dazu gehört auch, dass die Gesellschaft bereit ist, in den anstehenden Strukturwandel zu investieren, indem sie überzeugende Anreize für qualifizierte Gründer schafft und Rahmenbedingungen realisiert, unter denen junge Unternehmen besonders gut gedeihen können. Da die Hochschulen der Ort in der Gesellschaft sind, an dem Erkenntnisfortschritt und Innovation im Mittelpunkt stehen, liegt es nahe, eine aktive Förderung von Unternehmensgründungen aus den Hochschulen heraus zu betreiben.

Sie umfasst einerseits einschlägige Qualifikationsangebote, die integraler Bestandteil des Curriculums vieler Fächer werden. Andererseits ist hier an die Bereitstellung geeigneter Infrastrukturen, eine angemessene Anschubfinanzierung, und die Entwicklung eines leistungsfähigen und seriösen Marktes für Risikokapital zu denken. Auch hier ist der Blick auf die aktuelle Situation ernüchternd. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die TU München, die eine ähnliche Größe aufweist wie die TU Wien, betreibt das Gründungszentrum „UnternehmerTUM“, das über 130 Mitarbeiter und einen Etat von mehreren Millionen Euro pro Jahr verfügt. Im Vergleich dazu müssen österreichische Universitäten i.d.R. mit doch recht bescheidenen Budgets auskommen, die den Handlungsspielraum sehr einengen. So hat das Informatics Innovation Center (i²c) an der TU Wien gerade einmal 2 Mitarbeiter. Angesichts der überaus positiven Resonanz, die das i²c sowohl bei Studierenden und Wissenschaftlern, der Universitätsleitung und in der Gründerszene gefunden hat, mag man sich vorstellen können, was wir mit einem größeren Budget bewegen könnten – und da denke ich nicht an die Münchner Dimensionen.

Wirtschaftsinformatiker in die Politik

Es ist mir allerdings wichtig zu betonen, dass die vor uns liegende Herausforderung nicht allein auf die Politik abgeschoben werden kann und dass es hier nicht nur um die Bereitstellung von Fördermitteln geht. Genauso wenig gibt es eine „silver bullet“, mit der man diese Herausforderung meistern könnte. Vielmehr ist eine Vielzahl von Maßnahmen auf den Weg zu bringen, die in ihrer Gesamtheit einen Unterschied machen können. Hier ist z.B. ergänzend zu den bereits erschienenen Beiträgen zur Digitalen Roadmap zu denken an (dies ist keine vollständige Liste!):

  • Wirksame Werbung für Studiengänge, die Kernbereiche der digitalen Transformation adressieren. Dazu ist zu verdeutlichen, dass sich (Wirtschafts-)Informatiker eben nicht allein mit Informationstechnologie beschäftigen, sondern das Privileg haben an zentraler Position die Welt von morgen mitzugestalten.
  • Verstärkte Förderung von Universitäten, um einerseits Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung und die Innovationskraft von Absolventen in Unternehmen einfließen zu lassen – sowohl in Neugründungen als auch in existierende Unternehmen und andererseits Rahmenbedingungen für eine Co-Existenz von Ausgründung und akademischer Karriere schaffen.
  • Besetzung von Spitzenpositionen in Wirtschaft, Politik und Verwaltung mit Absolventen der (Wirtschafts-) Informatik. Auf diese Weise sollte einerseits der digitale Wandel kompetenter betrieben werden können. Andererseits wird dadurch auch ein wichtiges Signal an Studienplatzsuchende und deren Eltern gesendet.

Alle weiteren Gastbeiträge zur Digital Roadmap finden sich hier. Wenn auch du dich mit deinen Ideen für Österreichs Digital Roadmap in Form eines Gastbeitrags einbringen willst, dann schreib eine Mail an feedback@trendingtopics.at.

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