It’s Boring, But it Changes Everything
Es ist ist sicher eine der spannendsten langweiligen Beschäftigungen, die es gibt: Grauhaarigen Frauen (z.B. Christine Lagarde) und Männern (z.B. Jerome Powell) dabei zuzusehen, wie sie Leitzinserhöhungen im Bereich von 0,25 bis 0,75 Prozentpunkten verkünden, dabei die Bekämpfung der Inflation beschwören – und gleichzeitig massive Umbrüche der Wirtschaftswelt, wie wir sie bisher kannten, in Kauf nehmen. Dabei sind diese mickrig erscheinenden Prozente (in den USA Richtung 5 Prozent, in der Eurozone bei 3,5 Prozent) so entscheidend wie nicht viele andere Dinge. „It’s boring, but it changes everything“, hat mal eine:r gesagt.
Die aktuelle Poly-Krisen-Gemengelage aus hoher Inflation, Ukrainekrieg, Energiekrise, verschärfendem Klimawandel und steigenden Zinsen hat eine ungute Stimmung am Startup-Markt zur Folge. Fundraising von Early Stage bis höhere Series-C/D-Runden gelten als sehr schwierig, wer nicht raisen gehen muss, der tut es nicht. Gleichzeitig aber wird auch ein Bild heraufbeschworen, dass mit dem Standsatz „Krisenzeiten sind auch immer Gründer:innenzeiten“ umschrieben werden kann. Doch stimmt das auch 2023?
Same same but different
Ein Rückblick. Als ab 2007 die „Great Recession“, also die Weltwirtschaftskrise in Folge der geplatzten Subprime-Blase über den Globus schwappte, war das auch die Geburtsstunde einer ganzen Reihe an Startups, die heute hunderte Milliarden Dollar wert sind und (teilweise) aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken sind. Hier einige: Beispiele von Great-Recession-Startups (inkl. Gründungsjahr):
- Coinbase (2012)
- Snowflake (2012)
- Zoom (2011)
- CrowdStrike (2011)
- Instagram (2010)
- Pinterest (2010)
- Venmo (2009)
- Slack (2009)
- WhatsApp (2009)
- Square (2009)
- Uber (2009)
- Airbnb (2008)
Kann sich das nun wiederholen? Werden die Jahre 2022, 2023, 2024 zu den Geburtsjahren der nächsten Welle der ganz dicken Dekacorns? Wenn dem so ist, dann müssen diese Startups komplett anders funktionieren als WhatsApp, Instagram und Airbnb.
Denn es gibt einen gravierenden Unterschied. Während ab 2008 Startups in eine Phase der Wirtschaftskrise mit gegen Null sinkenden Leitzinsen geboren wurden, starten Jungfirmen heute in eine Phase der stark steigenden Leitzinsen. Bedeutet vereinfacht gesagt: Nach 2008 war Geld (bis 2016) billig, nach 2022 ist Geld aber teuer. Und das ändert alles. Plötzlich wollen Investor:innen Profitabilität sehen und nicht mehr bloßes Wachstum. Dazu müssen Geschäftsmodelle radikal anders funktionieren als bisher.
Wenn man sich die Welt des Leitzinses ansieht, dann sieht man auch: Das sind keine kurzfristigen Phasen, sondern sie dauern viele Jahre, oft Jahrzehnte. Deswegen geht man besser nicht davon aus, dass sich die heutige Situation mit hohen Zinsen so schnell ändern kann und sich der Markt noch 2023 oder 2024 erholen wird. Noch ist nicht einmal das Zenit der Leitzinsen erreicht, trotz Banken-Crash erhöhen Federal Reserve in den USA und die EZB in Europa die Leitzinsen Schritt für Schritt (mehr dazu hier).
Wenn man weiter hinaus zoomt, dann fällt auch auf: Eine so lange Phase der Null-Zins-Politik wie zwischen 2009 und 2016 gab es nie zuvor in den USA und ist so gesehen eine Anomalie der Extraklasse. Interessant ist auch, dass sich einige der heutigen Größen der Internet-Welt ebenfalls in dem Zeitfenster zwischen dem Dotcom-Crash und dem neuerlichen Anstieg der Zinskurve gründeten bzw. durchsetzten:
- Atlassian (2002)
- Facebook (2004)
- YouTube (2005)
- Twitter (2006)
„Es tun sich jene Startups hervor, die früh Umsatz generieren“
Das muss auch bedeuten, dass erfolgreiche Startups künftig anders funktionieren werden müssen. Aber wie? „Grundsätzlich sehen wir, dass ganz andere Arten von Startups gegründet werden, und zwar solche, die relevante Lösungen zu gesellschaftlichen Problemen schaffen“, sagt Hannah Wundsam von AustrianStartups. „Wir sehen jetzt, dass sich jene Startups hervortun, die früh Umsatz generieren können, die einen schnelleren Weg in die Profitabilität haben und unterschiedliche Finanzierungsformen anstreben können.“
Das kann konkret bedeuten: Jungfirmen müssen heute so flexibel sein, dass der Weg zum VC oder Business Angel nicht der einzige sein kann, und dass auch Fremdkapital (Kredite, Darlehen) oder andere Investment-Vehikel (z.B. Revenue-based Financing, Crowdinvesting mit Nachrangdarlehen) in Frage kommen können. Das geht mit dem Streben vieler Gründer:innen nach Profitabilität natürlich einher – wer viel Umsatz oder gar Gewinn macht, tut sich bei Fremdkapital viel leichter.
„Krisen sind nicht nur Riesen-Chancen, weil es nachher bergauf geht““, sagt etwa David Mayer-Heinsch, CEO und Gründer des Wiener Fintechs froots. „Die richtigen Gründer:innen lernen, nicht nur Schönwetter-Piloten zu sein, sondern dass es auch darum geht, in schwierigen Phasen Investor:innen, Mitarbeiter:innen und sich selbst unter Kontrolle zu haben, um optimistisch in die Zukunft zu schauen, neue Wege zu finden und nicht nur für das Best-Case-Szenario bereit zu sein, in dem alles gratis ist, sondern emotional ready zu sein, für eine Zukunft, die Schwierigkeiten mit sich bringen kann.“
Hier eine ausgezeichnete Dokumentation von PBS Frontline, wie sich die Situation in den vergangenen Jahrzehnten zusammen brauchte.