Interview mit dem Glaziologen Jakob Abermann

Brunt Ice Shelf Eisberg: Welche Folgen hat der Abbruch von großen Eisflächen?

Der Glaziologe Jakob Abermann ©Institut für Geographie und Raumforschung Graz
Der Glaziologe Jakob Abermann ©Institut für Geographie und Raumforschung Universität Graz
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Am 26. Februar ist in der Antarktis ein großer Eisberg vom Brunt-Schelfeis abgebrochen oder wie es in der Fachsprache heißt, das Schelfeis hat gekalbt. 1.270 Quadratkilometer ist die gekalbte Fläche groß. Nach Angaben der British Antarctic Survey, entdeckten sie nordwestlich von der britischen  Forschungsstation British Antarctic Survey’s (BAS) Halley Research Station im November 2020 den Riss. Im Jänner wuchs dieser Riss mit bis zu 1 km pro Tag von der Schelfeiskante nach Nordosten. Am Morgen des 26. Februar errichte der Riss eine bereits bestehende Einkerbung, verbreiterte sich innerhalb weniger Stunden um mehrere hundert Meter und trennte die Eisfläche damit ab.

Wie geht es jetzt weiter mit diesem neuen Eisberg und was für Auswirkungen auf die Schifffahrt und den Meeresspiegel sind durch die Eismengen zu erwarten? Jakob Abermann ist Glaziologe und Meteorologe am Institut für Geographie der Universität Graz und am Austrian Polar Research Institute (APRI) tätig. In seinen Arbeiten forscht er unter anderem an den Änderungen der Kryosphäre in der Arktis und im Speziellen in Grönland. Im Gespräch mit Tech & Nature beantwortet er acht Fragen zu der Zukunft des frisch gekalbten Eisberges des Brunt-Schelfeises.

© British Antarctic Survey

Tech & Nature: Wie oft kommt ein Abbruch von Schelfeis in dieser Größenordnung vor?

Jakob Abermann: Aus meiner Sicht ist das sehr schwer zu sagen. Der Brunt Ice Shelf Eisberg ist etwa 1270 km² groß, was der halben Fläche Vorarlbergs entspricht. Damit ist das ein besonders großer Eisberg, allerdings kommt diese Größenordnung immer wieder vor. 2019 ist zum Beispiel in der Antarktis mit dem D-28 ein 1600 km² großer Eisberg abgebrochen, aber es gibt noch größere Beispiele. Eine Überblicksstudie aus dem Jahr 2015 zeigt, dass etwa 1% aller Eisberge, die in der Antarktis abbrechen größer sind als 1000 km². Diese machen aber etwa 2/3 der Eisbergflächen aus, wodurch solchen großen Eisbergen eine besondere Bedeutung zukommt.

Tech & Nature: Ist das Abbrechen solcher Eismassen ein natürlicher Vorgang oder auf die Auswirkungen des Klimawandels zurückzuführen?

Jakob Abermann: Grundsätzlich ist es in der Natur der Dinge, dass die Masse, die aufgebaut wird am kontinentalen antarktischen Eisschild wieder in Form von Schmelzwasser oder Kalben dem Ozean zurückgeführt wird. Dabei geht man in der Antarktis davon aus, dass etwa die Hälfte schmilzt (und dabei der größte Teil im Wasser an der Unterseite der Gletscher) und die andere Hälfte abbricht (kalbt). Was man aber in den letzten Jahrzehnten vermehrt beobachtet ist eine Kombination dieser Prozesse: es dringt also Schmelzwasser in Risse ein, die dann das Abbrechen verstärken können. Vermehrtes Schmelzwasser liefert also durchaus begünstigte Bedingungen für die Bildung von schnellen Kalbungsprozessen.

 Tech & Nature: Wie geht es jetzt weiter mit dem neuen Eisberg?

Jakob Abermann: Schwer zu sagen: Die meisten Eisberge, die in dieser Gegend der Antarktis abbrechen werden mit Meeresströmen entlang der Küste parallel dazu nach Westen transportiert. Jene, die weiter nach Norden kommen brechen gewöhnlich etwas weiter im Westen ab als der des Brunt Ice Shelfs. Durchaus kann es aber sein, dass dieser Eisberg aufgrund seiner Größe temporär festsitzen wird.

Tech & Nature: Könnte eine solche Eisfläche eine Gefahr für die Schifffahrt darstellen?

Jakob Abermann: Von Grönland wissen wir von Kollisionen zwischen Schiffen und gekalbten Eisbergen. Es gibt mehrere internationale Vereinigungen, die mit Hilfe von Satellitendaten Eisberggröße und deren Bewegung beobachten. Das wird sicher mit dem Beispiel vom Brunt Ice Shelf im Detail passieren.

Tech & Nature: Wie lang braucht ein solcher Eisberg zum Tauen?

Jakob Abermann: Bei großen Eisbergen kann das durchaus Jahre dauern, bis die wirklich aufgetaut sind. Das hängt dann auch besonders damit zusammen ob die eben nach Norden abtransportiert werden und entlang der Antarktischen Halbinsel nordwärts treiben oder entlang der Küste nach Westen. Speziell, wenn sie in relativ südlichen Breiten bleiben, können sie tatsächlich recht lang, wie gesagt, durchaus Jahre, überleben.

Tech & Nature: Könnte der Eisberg auch auf Grund laufen?

Jakob Abermann: Es passiert immer wieder, dass Eisberge stranden und sich somit für längere Zeit nicht weiterbewegen. Dabei schmelzen sie dann allmählich im Wasser ab und zerbrechen dann, lösen sich somit vom Untergrund und schwimmen weiter. Ob das in dem Beispiel des Brunt Ice Shelfs passieren wird, hängt vom Untergrund ab und ist nicht leicht vorauszusehen.

Tech & Nature: Hätte die Menge an Süßwasser signifikanten Einfluss auf das Salzverhältnis des Meeres?

Jakob Abermann: Lokal beeinflusst das Schmelzen der Eisberge die Salinität und damit das marine Ökosystem. Nachdem aber auch sonst Kalbungsprozesse durchaus stattfinden, nur normalerweise kleinere Volumina abbrechen, ist es nicht anzunehmen, dass das Signal dieses einen Eisberges wirklich sichtbar sein wird. Aber das bleibt natürlich zu beobachten.

Tech & Nature: Hat der Schmelzvorgang bereits Einfluss auf den Meeresspiegel?

Jakob Abermann: Der Meeresspiegelanstieg steht in direktem Zusammenhang mit dem Abschmelzen der polaren Eisschilde und der Gletscher. Bei dem Beispiel handelt es sich um ein Eisschelf, was bedeutet, dass das Eis bereits im Wasser schwimmt und sein Abbrechen sich somit nicht direkt auf den Meeresspiegel auswirkt. Man kann das mit einem im Kaltgetränk schwimmenden Eiswürfel vergleichen, dessen Glas nach dem Schmelzen gleich gefüllt ist. Indirekt spielt der Kalbungsprozess aber durchaus auch für den Meeresspiegelanstieg eine Rolle. Eisschelfe stauen nämlich das kontinentale Eis zurück und wenn die Eisschelfe sehr klein sind, kann das ausfließen des Eises aus dem Kontinent wesentlich schneller gehen. Man spricht hier von Feedbackmechanismen, die die Auswirkungen des Klimawandels durchaus verstärken können.

Das abgebrochene Eisvolumen entspricht in etwa der Hälfte des alljährlichen Volumsverlusts des Grönländischen Inlandeises aber im Fall des Eisberges vom Brunt Ice Shelf ist der Einfluss auf den Meeresspiegel nicht gegeben.

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