„Carbon Bombs“ bedrohen das Klima: Die Politik muss sie entschärfen
Einige der größten Ölfirmen der Welt wollen weiter in 195 neue Öl- und Gasförderprojekte investieren, zeigt eine Investigativrecherche der britischen Tageszeitung „The Guardian„. Mit diesen Projekten – der Guardian nennt sie „Carbon Bombs“, also Kohlenstoffbomben – seien die Klimaziele des Pariser Klimaabkommens nicht mehr einzuhalten. Nun sei die Politik gefordert, den Unternehmen einen Riegel vorzuschieben.
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Jedes dieser Kohlenstoffbomben hätte das Potential, mehr als eine Milliarde Tonnen CO2 im Laufe ihres Betriebs freizusetzen, wie der Zeitung zugespielte Papiere zeigen. Zum Vergleich: Im „Rekordjahr 2021“ wurden weltweit etwas über 36 Milliarden Tonnen energiebezogenes CO2 freigesetzt. Rund 60 Prozent der Projekte fördern dabei laut Angaben des Guardians bereits Öl und Gas. Während dabei meist der Mittlere Osten und Russland für die Förderung fossiler Energie in der Kritik stehen, wollen auch Firmen in den USA, Kanada und Australien expandieren. In den Ländern finden sich die meisten „Kohlenstoffbomben“.
Öl-Riesen investieren weiterhin in Öl und Gas
Laut dem britischen Medium sind die kurzfristigen Förderpläne von Unternehmen wie ExxonMobil aus den USA oder Gazprom aus Russland gigantisch. Bis 2030 sollen dabei rund 100 Milliarden Barrel Öl und weitere 100 Millionen Barrel Gas gefördert werden. Die daraus resultierenden Emissionen entsprächen dem Zehnfachen des letztjährigen CO2-Ausstoßes von China. Die Daten stammen dabei von Rystad Energy, einem der führenden Analyseunternehmen in der Öl- und Gasindustrie. Ihre Analysen sind dabei nicht öffentlich zugänglich und stehen nur als Bezahlservice zur Verfügung, was die wissenschaftliche Arbeit damit erschwert.
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In den Berechnungen sind außerdem die Auswirkungen von möglichen Methan-Lecks noch gar nicht inkludiert. Methan, das den größten Bestandteil von Erdgas ausmacht, ist kurzfristig betrachtet nämlich ein viel stärkeres Treibhausgas als Kohlendioxid. Es ist für rund 30 Prozent der Erderwärmung seit der industriellen Revolution verantwortlich, obwohl es in deutlich geringeren Mengen in der Atmosphäre vorkommt.
40% der „Carbon Bombs“-Projekte haben noch nicht begonnen
Wissenschaftler Kjell Kühne von der University of Leeds, der sich mit der Entdeckung solcher Kohlenstoffbomben beschäftigt, beschreibt in einer Studie im Fachmagazin Energy Policy jedoch, dass 40 Prozent der geplanten Projekte noch nicht begonnen hätten, fossile Brennstoffe zu fördern. „Die Öl- und Gasindustrie planen riesige Projekte, obwohl der Planet brennt“, so Kühne im Guardian. „Anscheinen war das Pariser Klimaabkommen nicht genug, damit diese Unternehmen ihr Geschäftsmodell hinterfragen. Diese Kohlenstoffbomben sind der beste Beweis, dass wir es gar nicht erst versuchen.“
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Insgesamt machte Kühne und sein Team weltweit 425 Projekte aus, die zusammen 646 Milliarden Tonnen CO2 ausstoßen. Darunter fallen nicht nur die 195 Öl- und Gasprojekte, sondern auch 230 Kohleminen, wovon 93 im Jahr 2020 noch gar keine Kohle förderten. Insgesamt gebe es nur zehn Länder mit mehr als zehn Kohlestoffbomben: China (141), Russland (41), die USA (28), Iran (24), Saudi Arabien (23,5), Australien (23), Indien (18), Qatar (13), Kanada (12) und der Irak (11). Zusammen seien sie laut Studie für etwa drei Viertel des Emissionspotentials der Kohlenstoffbomben verantwortlich.
1,5-Grad-Ziel mit Kohlenstoffbomben nicht möglich
Insgesamt sei das CO2-Potential aller Carbon Bombs doppelt so hoch, wie im Budget für das 1,5-Grad-Ziel zur Verfügung stehen. Laut IPCC entspricht das 580 Milliarden Tonnen, damit die 1,5-Grad-Grenze zu 50 Prozent eingehalten werden kann. Mit einem Ausstoß von 420 Milliarden Tonnen steige die Wahrscheinlichkeit auf 66 Prozent, so die Prognosen von 2020.
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Die Wissenschaftler:innen rund um Kühne fordern daher, „neue“ Projekte sofort zu stoppen. Das würde bereits ein Drittel der CO2-Emissionen einsparen. Neue Investitionen sollten in Erneuerbare Energien oder andere Marktsektoren fließen. Um Kohlenstoffbomben zu „entschärfen“ gebe es einige politische Instrumente – zumindest in der Theorie. Während Verbote sicherlich das effektivste Mittel wäre, brauchen besonders ärmere Länder Unterstützung beim Ausstieg aus fossilen Energien.
„Carbon Bombs“ können entschärft werden
Das Bild der „Carbon Bomb“ soll laut den Studienautor:innen die eher abstrakte und unlösbare Herausforderung der Klimakrise angreifbar machen. Jedes Land kann es sich so zur Aufgabe machen, seinen eigenen Kohlenstoffbomben zu entschärfen. So gibt es etwa in Deutschland zwei Co2-Bomben, beides Braunkohletagebaue. Ihre Stilllegung sollte eine erste Priorität für den Klimaschutz sein. Natürlich – und das ist auch den Forschern bewusst – reicht die Entschärfung dieser Bomben alleine nicht aus. Durch die Ausweisung dieser Projekte haben jedoch Politik:erinnen und auch Aktivist:innen konkrete Ziele, auf die sie sich konzentrieren können.