Hintergrund

Carbon Capture: CO2-Entfernung immer mehr im Visier der Kritiker:innen

Direct Air Capture-Anlage von Climeworks in der Schweiz. © Climeworks
Direct Air Capture-Anlage von Climeworks in der Schweiz. © Climeworks
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In der Theorie klingt es ja ziemlich gut und logisch: Mit neuen Maschinen fängt man CO2 aus der Atmosphäre und pumpt es dorthin zurück, wo es herkam: in den Boden. Mit so genannter Carbon Capture & Storage (CCS) entsteht derzeit ein riesiger neuer Industriezweig, der vor allem Unternehmen Klimaneutraltität verspricht. Sie können etwa den Marktführer Climeworks aus der Schweiz bereits dafür bezahlen, dass er für sie CO2 aus der Luft filtert und (derzeit in Island in Kooperation mit dem Startup Carbfix) ins Gestein pumpt (Trending Topics berichtete). CCS gilt als Schlüssel, um die Netto-Null-Ziele zu erreichen, weil zwar viel CO2 eingespart oder vermieden werden kann, aber eben nicht alles – und das muss aus der Luft gefiltert werden.

Heute werden nur vergleichsweise winzige Mengen an CO2 mittels CCS entfernt; in den nächsten Jahren aber sollen die Mengen stark steigen. Bereits ab 2030 etwa soll Carbon Capture in Deutschland etwa im Megatonnen-Maßstab passieren. Deswegen will Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) mittels neuem Gesetz die CO2-Speicherung in Deutschland inklusive unter dem Meeresboden (z.B. in der Nordsee bei Schleswig-Holstein) ermöglichen. Doch in der eigenen Partei rumort es nun. Denn Lisa Badum, Klimasprecherin der Grünen im Bundestag, will nun eine kritische Haltung gegenüber CCS einnehmen. „Union und FDP wittern in CCS einen bequemen Ausweg, der uns noch länger an fossilen Energien festhalten lässt als unbedingt nötig“, sagt sie aktuell gegenüber dem Handelsblatt.

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Vorwürfe gegen die fossile Lobby

Die Bedenken von Badum und anderen CCS-Kritiker:innen: Die Technologie wird als zu energieintensiv, zu teuer und zu gefährlich für die Umwelt angesehen. „Bei der Speicherung von CO2 im Boden stehen noch zu viele Fragezeichen im Raum. Die Lobby, die dafür wirbt, ist in erster Linie eine fossile Lobby“, so Badum Ende Dezember 2022 in einem Artikel. Man soll lieber auf „erprobte und günstige Alternativen zu fossiler Energie“ setzen. „Jeder Euro, der in Erneuerbare investiert wird, bedeutet sofort weniger freigesetztes CO2“, so Badum.

Die Carbon-Capture-Anlagen, wie sie Climeworks baut, brauchen viel Energie. CO2-Minderung via dem Schweizer Anbieter ist teuer – er verlangt aktuell pro entferntem Kilo des Treibhausgases einen Euro. Der CO2-Ausstoß pro Kopf liegt in Deutschland und Österreich bei etwa 7 bis 8 Tonnen pro Jahr. Um dieses CO2 via Climeworks zu kompensieren, würde es somit 7.000 bis 8.000 Euro pro Kopf und Jahr kosten. Außerdem wird darauf verwiesen, dass in die Erde gepumptes CO2 wieder entweichen könnte – und dann ginge das Spiel mit dem CO2-Einfangen von vorne los.

Während in Deutschland also noch um CCS gerungen wird, wollen andere Staaten voll darauf setzen – etwa die Niederlande und vor allem Norwegen. Das skandinavische, ölreiche Land will erschöpfte Öl- und Gaslagerstätten unter der Nordsee als riesige CO2-Speicher nutzen und gibt an, Europas gesamten CO2-Ausstoss in etwa 3.000 Meter Tiefe verbannen zu können. Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte 2022 an, das Projekt zu unterstützen. Man wolle norwegisches Gas beziehen und CO2 zurückschicken.

Währenddessen gibt es in den deutschen Bundesländern in Niedersachsen und Schleswig-Holstein, wo es sehr große ausgebeutete Erdgas-Lagerstätten zur Verfügung stehen würden, widerstand seitens Bürgerinitiativen. Befürchtet wird, dass „das mit extrem hohem Druck eingepresste Gas könnte durch Lücken nach oben entweichen und austreten“ könne. „Ein Austritt von CO2 an windstillen Tagen, in Kellern oder in großen Mengen etwa nach einem Pipelinebruch könnte zum Erstickungstod von Menschen und Tieren führen“, heißt es in drastischen Worten seitens Naturschutzbund Deutschland (NABU).

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Viel Energie, Risiken für Grundwasser und Böden

Auch das deutsche Umweltbundesamt sieht Risiken bei der CO2-Speicherung. „Risiken für das Grundwasser und für den Boden entstehen vor allem durch Leckagen von CO2. Das freigesetzte CO2 kann Schadstoffe im Untergrund freisetzen sowie salzige Grundwässer aus tiefen Aquiferen verdrängen. Unter ungünstigen Bedingungen können diese verdrängten salzigen Grundwässer bis in oberflächennahe süße Grundwässer und an die Erdoberfläche gelangen. Dort können sie zu Schäden (Versalzungen) im Grundwasser, in Böden und Oberflächengewässern führen“, heißt es. „Problematisch ist vor allem der enorme zusätzliche Energieaufwand für die Abscheidung, den Transport und die Speicherung. Der Einsatz der CCS-Technik erhöht den Verbrauch der begrenzt verfügbaren fossilen Rohstoffe um bis zu 40 Prozent.

Ein weiterer Kritikpunkt an CCS ist, dass es als Greenwahsing-Möglichkeit für die Fossilindustrie angesehen werden kann. „Durch die Abtrennung von CO2 aus dem Rauchgas von Kohle-Großkraftwerken werden diese „grün gewaschen“ und deren Betrieb noch für die nächsten 50 Jahre ermöglicht“, heißt es etwa bei NABU. Das wiederum würde den Umstieg auf Erneuerbare Energien ausbremsen. Am Weltmarkt zu sehen ist jedenfalls, dass Länder mit großen fossilen Vorkommen stark auf CCS setzen – etwa Kanada, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) oder Saudi-Arabien (Trending Topics berichtete). Dort gibt es dann oft auch Pläne, die bestehende Infrastruktur und ausgeschöpften Lagerstätten einer zweiten Verwertung zuzuführen. Saudi-Aramco, der größte Ölkonzern der Welt, hat etwa ein großes CCS-Projekt.

Klar ist aber auch, dass CCS eine wichtige Rolle auf dem Weg zur Klimaneutralität von Staaten spielen wird. Die Internationale Energieagentur (IEA) hat mehrmals betont, dass CCS-Technologien eine zentrale Rolle zukommen. „Die Kohlenstoffabscheidung ist von entscheidender Bedeutung, um sicherzustellen, dass unsere Umstellung auf saubere Energie sicher und nachhaltig ist“, heißt es in einem Bericht. Allerdings heißt es seitens IEA auch, dass die Investitionen bzw. der Aufbau von CCS-Anlagen weit hinter dem zurückliegen, was notwendig wäre, um Net-Zero-Szenarien zu schaffen.

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