China will staatliche Kontrolle auch im Metaverse durchsetzen
Chinas Sozialkreditsystem überwacht und bewertet seit 2014 die Aktivitäten aller Bürger:innen anhand verschiedener Kriterien wie Finanzen, Justizfälle, Beruf und soziale Interaktionen. Der Regierung nach soll das umstrittene Sozialkreditsystem “Vertrauen und Integrität” fördern, indem es positive Verhaltensweisen belohnt. Befürworter:innen sehen darin die Stärkung des sozialen Gefüges, da höhere Punktzahlen Vorteile wie einen leichteren Kreditzugang bieten. Kritiker:innen warnen jedoch vor umfassender Überwachung und sozialem Druck, da niedrige Punktzahlen zu Job- und Wohnungsproblemen führen könnten. Das System wirft weltweit Fragen zu Datenschutz, Bürger:innenrechten und staatlicher Kontrolle auf und bleibt ein Experiment im Spannungsfeld von Freiheit und Ordnung.
Laut Politico strebt das Land nun die Implementierung eines vergleichbaren Systems zur Verwaltung von Individuen im Metaversum an.
Digitale ID für Metaverse anhand „natürlicher Merkmale“
Ein neuer Vorschlag des staatlichen Telekommunikationsbetreibers China Mobile sieht nämlich vor, ein „digitales Identitätssystem“ für sämtliche Nutzer:innen von virtuellen Online-Welten bzw. Metaversen einzuführen. Für alle, die sich nicht auskennen: Das Metaversum oder Metaverse wird oft als ein entstehendes Netzwerk verbundener, immersiver virtueller Welten beschrieben, die auf virtueller Realität, erweiterter Realität und Bildschirmsimulationen basieren. Zu den ersten Anwendungen gehören Online-Videospiele, Videokonferenzen und virtuelle Live-Events.
Die Empfehlung von China Mobile beinhaltet die Idee, dass diese digitale ID anhand von „natürlichen Merkmalen“ und „sozialen Merkmalen“ aufgebaut werden sollte. Diese sollten demnach eine Vielzahl persönlicher Datenpunkte einbeziehen, wie beispielsweise den Beruf der Person sowie andere Eigenschaften, die die Identifikation erleichtern. Zusätzlich inkludiert der Vorschlag, diese Informationen permanent abzuspeichern und in Zusammenarbeit mit Strafverfolgungsbehörden zu teilen, um die „Ordnung und Sicherheit der virtuellen Welt zu gewährleisten”.
Bestrafung für “Fehlverhalten” im Metaversum
„Ein einheitliches digitales Identitätssystem aufzubauen, um jedem Menschen eine einzigartige digitale ID zu geben, die soziale Merkmale aus sozialen Medien und Beruf umfasst – das klingt stark nach Chinas Sozialkreditsystem“, sagte Chris Kremidas-Courtney, Senior Fellow bei Brüssel Panzer Freunde Europas, gegenüber Politico.
Was diese düstere Vermutung untermauert, ist die Tatsache, dass die Vorschläge von China Mobile sogar eine Fallstudie enthielten, in der ein fiktiver „schädlicher Benutzer“ namens Tom, der „Gerüchte verbreitet und Chaos im Metaversum verursacht hat“, bestraft wurde. Das vorgeschlagene digitale Identitätssystem soll den Behörden also ermöglichen, solche „Individuen wie ihn“ rasch zu identifizieren und zu sanktionieren.
Vorschlag im Juli, Abstimmung darüber im Oktober
Die Idee ist, laut dem Bericht, während der Diskussionen zwischen Technologieexpert:innen und Beamten der International Telecommunication Union (ITU), der Telekommunikationsagentur der Vereinten Nationen, entstanden. Als UN-Agentur spielt die ITU eine einflussreiche Rolle bei der Festlegung der Grundregeln für die globale Telekommunikations- und Technologieinfrastruktur. Die Metaverse-Fokusgruppe der ITU wurde im Dezember 2022 ins Leben gerufen und soll das zentrale Forum für Regulierungsbehörden, Wissenschaftler:innen, Nichtregierungsorganisationen und Technologieunternehmen sein, um die Standards für ein hypothetisches immersives Internet auszuarbeiten.
China Mobile stellte den Vorschlag am 5. Juli beim zweiten Treffen der Metaverse-Fokusgruppe der ITU in Shanghai vor. Darüber wird voraussichtlich bei der nächsten Sitzung abgestimmt, die im Oktober in Genf stattfinden soll.