Christian Plas von EY denkstatt: „Wir leben im Jahrhundert der Wenden“
Christian Plas ist Visionär in Nachhaltigkeitsfragen und hat vor 30 Jahren die auf Nachhaltigkeit spezialisierte Unternehmensberatung denkstatt gegründet, die seit April Teil des EY-Netzwerks ist. Im Interview teilt er seine Erfahrungen aus drei Jahrzehnten und gibt Einblicke in den wirtschaftlichen Megatrend des Jahrhunderts.
Christian, du hast EY denkstatt vor drei Jahrzehnten mitgegründet. Was hat sich seither getan?
Christian Plas: Nachhaltigkeit war bei Gründung der denkstatt noch für kaum jemanden ein Begriff. Unser Ziel war damals, Unternehmensprozesse in der Industrie so zu optimieren, dass sie weniger Umweltauswirkungen haben. Wir haben uns rasch auch auf andere Branchen diversifiziert, beispielsweise den Finanzdienstleistungssektor, den Handel oder auch die Immobilien- und Energiewirtschaft. Nachhaltigkeit haben wir dabei immer so verstanden, dass es zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen auf der Erde beitragen soll – da sind Umwelt und Natur immanenter Bestandteil genauso wie die Gesellschaft und damit die Menschen selbst.
Seither hat sich einiges getan. Wenn wir von Umweltproblemen sprechen, waren es vor dreißig Jahren vor allem Abfall-, Luft- und Wasserprobleme. Das hat sich bis heute natürlich gravierend verändert. Die Entwicklungen, auf die wir durch den Klimawandel zusteuern, waren uns schlichtweg nicht bewusst – es war auch gesellschaftlich kein Thema. Ich denke, wir sind in diesem Punkt vor allem in den letzten Jahren zu einer aufgeklärteren Gesellschaft gewachsen und haben ein Bewusstsein dafür gewonnen, dass es so nicht weitergehen kann.
Was sind die wichtigsten Themen, die Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit am Schirm haben müssen?
Plas: Nachhaltigkeit wird in Europa stark aus regulatorischer Perspektive getrieben. Unternehmen sind gefordert und müssen neuen Richtlinien und Gesetzen entsprechen – ich nenne hier nur stellvertretend die CSRD, die zum Nachhaltigkeitsreporting verpflichtet oder auch die CSDDD, also das EU-Lieferkettengesetz. Das ist aber nur ein Teil der gesamten ESG-Thematik, deswegen betrachten wir die Position eines Unternehmens beim Thema Nachhaltigkeit deutlich umfassender. Wir leben im Jahrhundert der Wenden – dazu zählen beispielsweise die Energiewende, die Mobilitätswende oder auch die Ernährungswende. In diesem Zeitalter muss ich genau hinterfragen, ob mein Geschäftsmodell in einem solchen Umfeld noch das richtige ist – vor allem dann, wenn es noch auf alten Konsum- oder Investitionsmustern basiert.
Wichtig und relevant ist deswegen nicht nur die regulatorische Perspektive, sondern auch das steigende Bewusstsein und der Druck seitens der Kund:innen, egal ob ich im B2B- oder B2C-Bereich tätig bin. Aber auch Investor:innen oder Banken schauen immer genauer hin bei Investitionen und Kreditvergaben. Dann kommt noch die gesellschaftliche Ebene hinzu: Wir hören das immer wieder in Gesprächen mit Vorständen – Nachhaltigkeit ist zum Thema für das Top-Management geworden, auch wegen Gesprächen mit ihren Kindern am Frühstückstisch, befeuert durch Bewegungen wie Fridays for Future.
EY Austria steigt mit denkstatt-Merger groß in Nachhaltigkeitsberatung ein
Ist Österreich in diesem Punkt gut aufgestellt?
Plas: Es hat sich in den letzten Jahren definitiv etwas in Bewegung gesetzt, das sehen wir nicht zuletzt bei den steigenden Projektanfragen. Vor allem große Unternehmen stehen stark unter Zugzwang, für sie gelten Vorschriften bspw. rund um die CSRD oft früher als für kleinere Unternehmen. Genau da sehen wir auch noch dringenden Handlungsbedarf, bei KMUs ist das Bild ein anderes, da hat laut einer aktuellen EY-Umfrage die Hälfte noch keine Nachhaltigkeitsstrategie und plant auch keine. Zudem steigt interessanterweise der Anteil jener Unternehmen, die keine Maßnahmen gegen den Klimawandel treffen. Es gibt also noch viel zu tun, um die ambitionierten Klimaziele Österreichs und auf EU-Ebene zu erreichen.
Warum ist die denkstatt den Schritt gegangen und hat sich mit EY, einem international tätigen „Big 4“ zusammengeschlossen?
Plas: Für uns war der Zusammenschluss mit einer internationalen und sehr breit aufgestellten Organisation wie EY der nächste logische Schritt zur Weiterentwicklung. Nachhaltigkeit und der Klimawandel sind keine lokalen Themen, sondern ein weltweites Problem. Der Zusammenschluss schafft neue Perspektiven für unsere Kund:innen, aber auch für unsere Mitarbeitenden – sowohl was die Internationalität als auch die Kompetenzen betrifft.
Der Grund, warum die Wahl dann auf EY gefallen ist, war vor allem der kulturelle Fit: Die Chemie mit dem Management von EY hat von Beginn an einfach gepasst. Building a better working world ist für EY nicht einfach ein Schlagwort, sondern wird wirklich gelebt. Und genau das sind auch unsere Ziele bei EY denkstatt – die Welt zu einem besseren Ort zu machen.
Nachhaltigkeit ist für dich seit 30 Jahren ein Thema, für viele erst seit wenigen Jahren. Wie schafft man es, den Mut über eine so lange Zeit nicht zu verlieren?
Plas: Natürlich haben wir bei denkstatt nicht nur Höhen erlebt. Vor rund 25 Jahren haben wir uns unsere Daseinsberechtigung hart erarbeiten müssen. Manchmal wussten wir nicht, ob es sich am Monatsende ausgeht. Heute hat sich das gewandelt – Unternehmen stehen aus unterschiedlichen Perspektiven unter Druck und müssen sich der nachhaltigen Transformation stellen und brauchen dabei unsere langjährige Expertise. Ich glaube, was mich in dem Zusammenhang besonders antreibt, ist, dass ich einfach nicht wegschauen kann, was da mit und auf unserem Planeten passiert.