Circularity geht nur gemeinsam
Das Climate Lab ist ein Innovationshub für Klima-Akteur:innen aus ganz Europa. Es handelt sich dabei um eine Initiative des österreichischen Klima- und Energiefonds und des Klimaschutzministeriums (BMK) und wird gemeinsam mit dem größten Energieversorger des Landes, der Wien Energie, dem EIT Climate-KIC und dem Impact Hub umgesetzt. Im neuen Gastbeitrag geht es um das Thema Kreislaufwirtschaft bei Matratzen.
Wir haben mit Helene Pattermann, Circularity Lead im Climate Lab und verantwortlich für das Programm für eine zirkuläre Matratzenbranche in Österreich, gesprochen. Im Interview erzählt sie über das neue Öko-Design, die Österreichische Matratzen Allianz, neue Recyclingkapazitäten und was andere Branchen von den Kreislauf-Pionieren des Matratzen-Sektors lernen können.
Unter allen Themen und Produktgruppen – warum ausgerechnet Matratzen?
Helene Pattermann: Bei Matratzen war schon ein Momentum in der Industrie vorhanden. Es gab immer wieder Anfragen beim Ministerium: Was tut sich bei Matratzen? Wird es da bald Verordnungen geben? Fallen die unter Textilien oder doch eher Möbel? Dadurch war einfach schon ein Interesse aus der Wirtschaft da, hier aktiv zu werden. Ein zweiter Punkt, warum sich Matratzen sehr gut für ein Innovationsprogramm eignen. Es ist eine gut abgrenzbare Produktgruppe, die Wertschöpfungskette ist relativ klar. Von Schäumer über Hersteller – Familienbetriebe, die in Österreich Matratzen herstellen – bis zu den Entsorgungsfirmen und Verbänden haben wir da in Österreich sehr gut die Wertschöpfungskette beisammen.
Als ich das Thema übernommen habe, waren unter anderem die jetzigen Gründer der Matratzenallianz schon sehr aktiv und hatten bereits Treffen gehabt. Da war der Wunsch, dass das nicht von einzelnen Firmen getrieben wird, sondern dass man das wirklich auf eine gemeinnützige Ebene hebt. Dieser neutrale Space ist ja auch das Climate Lab. Einerseits der Ort, wo man sich vernetzen kann, aber auch das Projektmanagement, das sich damit auseinanderzusetzen und die Akteure vernetzt.
Derzeit werden Matratzen überwiegend verbrannt. Warum sollte man das ändern?
Bei Matratzen ist die Produktion das, was den größten CO2-Abdruck hat. Wenn man die Bestandteile im Kreislauf hält, bekommt man einen großen Mehrwert und eine Reduktion bei den CO2 Äquivalenten. Sie sind außerdem ein Störfaktor im Abfallsystem. Matratzen sind groß, sperrig und können dadurch gleichzeitig leicht rausgefischt werden, bevor sie in die thermische Verwertung gehen. Auch wenn es natürlich Unterschiede gibt, sind Matratzen in der Herstellung ein recht einheitliches Produkt mit nicht so vielen Komponenten.
Die meisten Emissionen fallen also gar nicht in der Verbrennung, sondern in der Herstellung an?
Ja. Auch die Nutzung, wo bei anderen Produkten Energie reinfließt, die immer wieder transportiert werden, ist da nicht so ein Thema. Deshalb ist natürlich die Lebensverlängerung bei Matratzen ein großer Hebel, indem man Matratzen länger nutzt, zum Beispiel durch Waschen oder durch modulare Systeme.
Und mit dieser Verlängerung der Lebenszeit und der Nutzungsdauer hat man sich dann auch hier im Climate Lab auseinandergesetzt?
Wir setzen uns mit der Verlängerung der Lebensdauer, mit dem Aufbau von Recyclingkapazitäten und mit dem Design auseinander. Wie kann man Matratzen designen, damit sie einerseits länger halten, aber auch besser rezyklierbar sind?
Überraschend war jetzt auch die Aussage, dass Matratzen bei den Sammlern und Müllverwertern als Störfaktor angesehen werden? Es wird ja auch oft gesagt, Matratzen wären wegen des Brennwerts wichtig.
Nein, Matratzen sind tatsächlich nicht so wahnsinnig erwünscht in der thermischen Verwertung. Bisher gab es einfach noch wenig Interesse, Matratzen in Österreich zu recyceln oder anders zu verwerten. Die Abfallverbände sind da aber sehr offen und interessiert, an Lösungen mitzuwirken.
Wie viel CO2 lässt sich da insgesamt einsparen?
In Österreich werden jedes Jahr ca. 1 Million Matratzen verkauft und entsorgt, die über ihre Lebenszeit rund 150.000 Tonnen CO2 verursachen. Davon lässt sich viel vermeiden, aber eine genaue Zahl kann ich leider nicht nennen.
Gibt es andere Produktgruppen, die ähnlich gut abgrenzbar sind oder ist das eine Besonderheit von Matratzen?
Es ist eher eine Besonderheit bei den Matratzen. Wir beschäftigen uns im Climate Lab auch mit Textilien, Recycling von Textilien und “Faser zu Faser”. Da ist es natürlich komplexer, weil es sehr viele unterschiedliche Arten von Textilien gibt. Viele Textilien werden im globalen Süden hergestellt und da hat man keinen direkten Kontakt zu Design und anderen Themen. Wir bearbeiten außerdem das Thema Büromöbel. Auch da hat man mehr Varianten von Tischen und Stühlen, Regalen, Metall, Holz oder Kunststoff.
Immer wenn es um Veränderungen in der Wirtschaft geht, gibt es die Frage nach dem Geschäftsmodell. Kann die zirkuläre Matratze ein erfolgreiches Geschäftsmodell sein?
Bei der Matratze bietet sich die Möglichkeit, sich zu positionieren, indem man eine besonders zirkuläre, nachhaltige Matratze mit nachhaltigem Öko-Design anbietet. Das kann auch eine Positionierung für eine heimische Marke sein. Es gibt natürlich auch die Möglichkeit, das als Miet-Modell anzubieten. Da gibt es auch schon Entwicklungen dazu. Wie bei allen Themen zur Kreislaufwirtschaft braucht es natürlich auch ein Umdenken bei den Kunden und bei den Herstellern.
Der Handel spielt auch eine wichtige Rolle, der die Möglichkeit hat, da Bewusstseinsarbeit bei den Kunden zu machen. Auf jeden Fall sehen wir das Interesse der Hersteller. Seitdem wir uns damit beschäftigen, sind da schon einige neue, kreislauffähigere Matratzen entstanden. Da wird noch viel ausprobiert und getestet, da gibt es Rückschläge und Fortschritte. Jedenfalls ist das Interesse groß, weshalb jetzt auch die Österreichische Matratzen Allianz gegründet wurde.
Das ist auch gleich das Stichwort. Im Zuge des Climate Lab Programms hat sich im Herbst 2024 die Österreichische Matratzen Allianz gegründet. Was sind denn die Ziele dieser Allianz?
Auf die Matratzenbranche kommen sehr viele Veränderungen zu, gerade auch aus der EU mit Ökodesign Verordnung und weiteren Maßnahmen. Auch ein Verbrennungsverbot steht im Raum. Um da die Hersteller laufend über Entwicklungen zu informieren und im Austausch mit anderen Organisationen in Europa zu sein, braucht es die Matratzen Allianz. In Deutschland, der Schweiz und in Belgien gibt es schon vergleichbare Organisationen. Dort ist man auch schon weiter in der Entwicklung von Recyclingkapazitäten bei gemeinsamer Herstellerverantwortung.
Ein weiteres Ziel ist, gemeinsam die Zukunft zu gestalten. All diese Veränderungen werden auch skeptisch gesehen, sind aber eine große Chance zur Stärkung der österreichischen Marke – gerade für die kleineren Matratzenhersteller. Circularity geht nur gemeinsam – einen Kreislauf kann man nur entlang der gesamten Wertschöpfungskette schließen. Dafür braucht es die Vernetzung und Zusammenarbeit in der Österreichischen Matratzen Allianz.
Gute Vernetzung, Informationsfluss, Verbrennungsverbot hast du genannt. Auch die Herstellerverantwortung. Was darf man sich darunter vorstellen?
Eine Herstellerverantwortung ist eine Gebühr, die zu entrichten ist, wenn ein Produkt auf den Markt kommt, um vorneweg die nachgelagerte Verwertung zu finanzieren. Es gibt jetzt Gespräche, eine solche Herstellerverantwortung freiwillig selbst zu gestalten, bevor diese verpflichtend kommt, um sie so zu gestalten, dass Matratzen wirklich nachhaltiger werden und alle entlang der Wertschöpfungskette davon profitieren. Dazu haben wir Arbeitsgruppen und sind in Austausch. Da geht es auch darum, Recyclingkapazitäten zu finanzieren.
Gibt es bereits Recyclingkapazitäten?
Im Sommer 2024 haben sich zwei Mitglieder der Österreichischen Matratzen Allianz, Brandner Green Solutions und Neveon, zu einem Joint Venture zusammengeschlossen,um eine Matratzenrecyclinganlage in Österreich zu bauen. Wenn alles gut funktioniert, sollten wir dann in ein paar Jahren tatsächlich eine solche Anlage in Österreich haben.
Was braucht es noch, um eine zirkuläre Matratze zum Erfolg zu führen?
Die Designkriterien hatten wir ja auch schon angesprochen. Man muss die Matratzen der Zukunft, die in ungefähr zehn Jahren entsorgt werden, schon jetzt so designen, dass sie dann einfacher wiederverwendet werden können. Wir haben für das Klimaschutzministerium deshalb neue Designkriterien ausgearbeitet, in denen festgelegt wird, dass keine Klebeverbindungen, weniger Materialkomponenten, Materialien und Komponenten verwendet werden. Zukünftige Matratzen werden auch besser zerlegbar und verwertbar sein.
Ebenfalls wichtig ist der digitale Produktpass. Damit befasst sich die dritte Arbeitsgruppe in der Matratzen Allianz. Ein digitaler Produktpass zeigt der gesamten Wertschöpfungskette, was in dem Produkt enthalten ist und was für Umweltauswirkungen diese Stoffe haben.
Inwieweit sind diese Themen auch für andere Produktgruppen relevant?
Freiwillige Herstellerverantwortung, digitaler Produktpass oder Öko-Design sind tatsächlich Themen, die alle Produkte betreffen und wo es noch sehr viel Lernbedarf gibt. Ein Beispiel sind Textilien. Auch bei Möbeln bearbeiten wir im Climate Lab diese Fragen.
Bis wann werden wir 100 % zirkuläre Matratzen in Österreich sehen?
Wir haben jetzt mal Pläne für erste Meilensteine gemacht. Die Gründung der Allianz war ein großer Meilenstein. Wir möchten schon bald einen Webauftritt haben. Zu den angesprochenen Projekten möchten wir zeitnah auch Positionspapiere erstellen. Mit Blick in die Zukunft, da gibt es in ein paar Jahren hoffentlich diese Matratzen-Recyclinganlage, gut funktionierende Re-Use Wege, Wiederverkäufe von nur kurz gebrauchten, gereinigten Matratzen und mehr. Alle Matratzen 100 % zirkulär, liegt glaube ich noch weiter in der Zukunft, aber wir arbeiten dran.