Climate

Claus Lamm: Der Wiener Psychologe, der eine Klimaschutz-Diät empfiehlt

Setzling, Pflanze, Grün, Natur, Umwelt
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Wir wissen, dass es besser wäre, mit dem Rad zu fahren, weniger Fleisch zu essen und auf sinnloses „Shopping“ zu verzichten. Wir tun es trotzdem nicht. Aber warum eigentlich? Warum fällt es uns so schwer, unser Verhalten zu ändern, obwohl längst klar ist, dass genau das notwendig ist, wenn wir die Klimakrise bremsen wollen. Wir haben bei einem Psychologen nachgefragt, woran das liegt und was man dagegen tun könnte.

Claus Lamm leitet die Social, Cognitive and Affective Neuroscience Unit an der Fakultät für Psychologie der Universität Wien und beschäftigt sich mit den Mechanismen, die Affekten und Verhalten zugrunde liegen. Auf die Frage, was jeder persönlich gegen die Klimakrise tun könnte, hat er eine ungewöhnliche Empfehlung: eine Klimaschutz-Diät.

Tech & Nature: Greta Thunberg wirft älteren Generationen vor, dass man schon so lange über die Klimakrise Bescheid wisse, aber nicht genug tue. Wie lautet die Erklärung eines Psychologen für dieses Phänomen?

Claus Lamm: die Lösungen sind nicht eindeutig und oft schwer greifbar, ganz anders wie bei früheren Herausforderungen wie etwa dem Ozonloch, wo klar war was zu tun ist. Sie sind viel komplexer und fast jede mögliche Handlung zieht sehr viele andere Aspekte und Auswirkungen nach sich, die berücksichtigt werden müssen. Wenn man auf E-Mobility setzt, ist das vielleicht besser für die Umwelt, dafür gibt es andere Probleme mit Batterie und Reichweite und Stromnetz. Konsumenten kennen sich nicht mehr aus und Politiker sind sich auch nicht einig. Die Richtung ist nicht klar vorgegeben.

Ein weiterer wichtiger Aspekt: Die möglichen Lösungen widersprechen etablierten Lösungen anderer Probleme. Eine Lösung lautet zum Beispiel weniger oder andere Mobilität. Das widerspricht aber den Bedürfnissen vieler Menschen, egal ob die jetzt gerechtfertigt sind oder nicht. Zum Beispiel der Entscheidung, im Grünen zu wohnen, die eine Menge an wenig nachhaltigen Handlungen mit sich zieht, wie etwa der kaum mögliche Verzicht aufs Auto. Die möglichen Lösungen sind also mit den verschiedenen Bevölkerungsgruppen nicht so einfach verhandelbar.

Es gibt so viele Faktoren und das ist eines der komplexesten Probleme, denen der Mensch je begegnet ist. Beim Klimawandel kommen auch noch regionale Unterschiede ins Spiel. In nördlicheren Ländern freut man sich vielleicht tatsächlich über die Aussicht auf ein milderes Klima und Palmen. Das ist näher am Äquator sicher anders. Man spricht ja auch davon, dass der Alpenraum von diesen Veränderungen ganz stark betroffen ist, weil das Mikroklima da eine große Rolle spielt.

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Die Klimadebatte wird sehr emotional geführt und scheinbar von Extrem-Positionen dominiert. Warum ist das aus Ihrer Sicht so und wie könnte man die Gemüter ein wenig abkühlen?

Der Mensch handelt nicht nur aus rationalen Motiven. Rational wäre: Ich habe eine Überzeugung und mein Verhalten folgt dieser Überzeugung bzw. ist mit dieser weitgehend konsistent. Wenn ich etwa davon überzeugt bin, dass ich abnehmen muss, werde ich weniger essen müssen. Irrational wäre es zu sagen: Ich will abnehmen, ändere mein Essverhalten aber nicht. 99,9 Prozent der Wissenschaftler sagen, dass der vom Menschen verursachte Klimawandel real ist. Diese rationale Analyse überträgt sich aber nicht im erforderlichen Ausmaß auf die breite Masse.

Da spielt Emotion eine große Rolle. Der Mensch will nichts verlieren oder aufgeben. Das ist evolutionär ein ganz starkes Motiv: Verlustaversion. Wenn ich etwas einmal habe, dann tue ich mir schwer, es wieder aufzugeben. Wenn ich mir ein vermeintliches Privileg erworben habe – wie: ich fahre täglich mit dem Auto in die Arbeit – dann ist es schwer, das loszulassen. Sogar dann, wenn ich rational weiß, dass es nicht gut ist und im Stau stehen auch noch unangenehm. Das ist eine Art evolutionärer Widerstand, der in uns drinnen ist und sehr viel wenn man so will psychologische aber auch gesellschaftlich-soziale Energie braucht, um gegen ihn anzukommen.

Wie könnte man dieses Verhalten austricksen?

Ein Ansatzpunkt, der noch zu wenig ausgenutzt wird ist das Setzen sozialer Normen. Da spielt auch die Fridays-for-Future-Bewegung eine große Rolle. Die soziale Norm ist momentan, dass man zeigt, wie stark und erfolgreich man ist, indem man ein großes Auto fährt und auf die Seychellen auf Urlaub fliegt. Da sagt der Großteil: „Der hat’s geschafft“. Wenn die Norm aber sagen würde, dass genau das uncool ist, dann kann es zu einem Tipping Point kommen.

In der Praxis ist natürlich die Frage, wie man zu diesem Tipping Point kommen kann, nicht ganz trivial. Eine Stellgröße ist der Staat selbst. Die größte Norm in einem Staat gibt der Staat vor. Dazu müssten Politiker auch unpopuläre Maßnahmen setzen. Das politische System ist allerdings so aufgesetzt, dass wir alle vier, fünf oder noch weniger Jahre wählen. Das bedeutet, dass Politiker kaum Maßnahmen setzen werden, die erst in vielen Jahren einen Effekt haben. Das ist ein soziales Dilemma für den Politiker: Der Eigennutzen entspricht nicht dem, was für die Allgemeinheit gut wäre. Gemeinwohl heißt außerdem in diesem Fall nicht nur Österreich, sondern die ganze Welt.

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Sie schlagen eine Klimaschutzdiät vor – wie sieht die aus?

Das ist ein Gedankenexperiment, wie der Einzelne etwas zur Lösung beitragen kann. Wenn wir etwas tun wollen, müssen wir den Konsum reduzieren. Die meisten Maßnahmen sind ein Tropfen am heißen Stein, wenn wir weiterhin so konsumieren, wie wir es jetzt gerade tun. Meine Idee war also, sich anzusehen, wie man es in einer Diät schafft abzunehmen und das auf den Klimaschutz umzulegen. In beiden Fällen geht es darum, Ziele zu definieren und die Umsetzung durchzuhalten. 

Damit das gelingt, braucht es ein sehr hohes Commitment. Man muss das wirklich wollen und in dem Moment alles andere diesem Ziel unterordnen. Dann muss man sich selbst dabei überwachen, ob und wie man diese Ziele erreicht. So wie man bei einer Diät vielleicht entscheidet, auf Schokolade zu verzichten, braucht es auch im Sinne des Klimas konkrete Maßnahmen, die man überwachen kann: Weniger Konsum insgesamt, weniger Fliegen, etc. Man müsste jeden Bereich des Lebens durchleuchten, ob man klimafreundlich agiert und im Fall der Falles Maßnahmen setzen: Reisen, Wohnen, Konsum, Mobilität. Die Klimaschutzdiät ersetzt aber natürlich nicht systemischen Maßnahmen, die auch nötig sind, unter anderem um das Einhalten der Diät zu erleichtern.

Eine Diät ist allerdings im eigenen Interesse, eine Klimaschutzdiät wäre für das Gemeinwohl.

Ja, das ist ein soziales Dilemma, aber man kann es lösen, wenn man sich richtig motiviert. Der egoistische Nutzen ist ein starker Attraktor. Das kann man schwer austricksen. Aber es gibt ein anderes starkes Motiv, nämlich der Nutzen für die Allgemeinheit – am besten funktioniert das, wenn man sich die eigenen Kinder oder Enkel vorstellt.

Wie könnte man Menschen bei einer Klimaschutzdiät noch unterstützen?

Um diese Klimadiät zu unterstützen, müsste es etwas geben wie die Kalorientabelle auf Lebensmitteln: Wieviel CO2 wird durch den Erwerb eines Produktes direkt und indirekt verursacht? Egal, ob das jetzt das Flugticket ist oder die Banane. Wenn das für jeden klar ersichtlich ist, kann man bessere Entscheidungen treffen – vielleicht trotzdem Fliegen aber seltener. Diese Infos sind leider nicht ganz so einfach zu beschaffen. Ein Beispiel ist die Debatte darum, ob Mehrweggebinde, Einweg-Glasflaschen oder Dosen besser sind. In meiner Schulzeit habe ich gelernt, dass Dosen das Schlimmste sind, weil sehr energieintensiv in der Produktion. Vor Kurzem habe ich gelesen, dass die CO2-Bilanz der Dose besser ist als die der Einweg-Flasche. Da müsste es eine unabhängige, internationale Einrichtung geben, die für eindeutige Informationen sorgt. Das wäre eine gute Aufgabe für die EU.

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Sie verzichten selbst so gut es geht auf das Fliegen. War das ein großes Opfer?

Überhaupt nicht. Das ist auch etwas, an dem die Politik arbeiten könnte. Indem man Menschen durch den Ausbau entsprechender Angebote oder temporäre Aktionen die Erfahrung ermöglicht, dass eine Alternative zum Gewohnten vielleicht sogar einen Zusatznutzen bringt, der einem so vorher gar nicht bewusst war. Es ist viel entspannter, zum Bahnhof zu gehen und den Nachtzug zu nehmen oder sechs Stunden im Zug zu lesen oder zu Arbeiten. Beim Fliegen muss ich in Wien nach Schwechat, dann durch den Security Check – unter dem Strich spare ich vielleicht gar keine Zeit im Vergleich zum Zugfahren. Leider kostet es meist weniger – das ist natürlich eine Herausforderung. Da wären wir wieder bei unpopulären Steuern.

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Haben Sie schon einmal etwas von dem Phänomen der „Climate Anxiety“ gehört? Wie kommt man denn gegen die Ohnmacht gegenüber oder der Angst vor der Klimakrise bei?

Angst kann ein schlechter, aber auch ein guter Ratgeber sein. Oft führt Angst zur Lähmung und zum Nicht-Handeln. Man muss also darauf achten, wie man Angst in Aktivität und Bewältigungsansätze umsetzen bzw. dafür nutzen kann. Denn es braucht eine gewisse Emotionalisierung, um leichter ins Handeln zu kommen. Wenn die persönliche Betroffenheit dazu kommt, können wir uns viel leichter motivieren und etwas tun. Am besten, indem man sich kleine Dinge herausgreift und schaut, was man jetzt persönlich tun kann. Das geht vom Einkaufsverhalten bis hin dazu, politisch aktiv zu werden.

Wenn man sich nun eine Klimaschutz-Diät auferlegt und dann jährlich mit Nachrichten konfrontiert ist, wie weit sich die Welt von ihren Klimazielen wegbewegt – wie kann man es schaffen, trotzdem am Ball zu bleiben?

Handle immer so, wie du willst, dass andere handeln, sagt sinngemäß der kategorische Imperativ nach Kant. Wenn ich es nicht vorlebe, kann ich nicht erwarten, dass andere auch so handeln. Was auch hilft, ist, sich mit anderen zu vernetzen. Politischer oder gesellschaftlicher Druck können helfen – gar nicht im negativen Sinn, sondern eben in Form von sozialen Normen und in Form des Vorlebens. Es geht darum, konsequent bei seinen Überzeugungen zu bleiben und andere mitzureißen.

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