Hintergrund

CO2-Staubsauger: Nachhaltige Lösung oder unzuverlässig und teuer?

Das Ziel der Climeworks-Gründer: Es bis 2050 schaffen, pro Jahr eine Gigatonne CO2 einzufangen. Dazu muss man jedes Jahr um 30 Prozent wachsen. © Climeworks
Das Ziel der Climeworks-Gründer: Es bis 2050 schaffen, pro Jahr eine Gigatonne CO2 einzufangen. Dazu muss man jedes Jahr um 30 Prozent wachsen. © Climeworks
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Das Molekül Kohlenstoffdioxid ist zum Erzfeind der Menschheit geworden. Riesige CO2-Staubsauger sollen das Treibhausgas aus der Atmosphäre entfernen.
Doch Kritiker:innen sehen darin lediglich eine unfertige, unzuverlässige und teure Technologie.

Das Molekül Kohlenstoffdioxid ist eine chemische Verbindung aus Sauerstoff und Kohlenstoff und besteht quasi aus drei Kugerln: Zwei O-Atomen und einem C-Atom. Das ergibt in freier Wildbahn ein geruch- und farbloses Gas, das noch nie jemand mit freiem Auge gesehen hat. Trotzdem ist CO2 zu einem der größten Feindbilder der Menschheit geworden. Denn das Molekül in der Erdatmosphäre hindert, vereinfacht gesagt, Sonnenstrahlen daran, wieder die Erdatmosphäre zu verlassen. Sie kommen als ultraviolette Strahlung (UV) auf die Erdoberfläche und erwärmen diese, und ein Teil dieser Energie wird in Form von infraroter Strahlung reflektiert. Früher verließ die IR-Strahlung die Atmosphäre viel einfacher, heute stellen sich die CO2-Moleküle in den Weg. Voila, der Treibhausgas-
Effekt entsteht.

Nachdem die Menschheit nun seit Jahrzehnten jährlich bis zu 37 Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid erzeugt hat, muss das CO2 nun wieder weg. Da hilft keine Verkehrs- und Energiewende alleine, um möglichst kein CO2 mehr zu produzieren, die bestehenden Moleküle müssen auch weg. Und da kommen nun die so genannten Carbon Capture-Technologien ins Spiel – besser bekannt als CO2-Staubsauger.

„Wenn wir die globale Erwärmung auf 1,5 °C begrenzen wollen, muss die Menschheit bis Mitte des Jahrhunderts jährlich etwa fünf Milliarden Tonnen Kohlendioxid aus der Luft entfernen, bis 2100 sogar 17 Milliarden Tonnen. Wir glauben, dass Direct Air Capture eine wichtige Rolle bei der Erreichung dieses Ziels spielen kann“, sagen Christoph Gebald und Jan Wurzbacher, die beiden Gründer des Schweizer Tech-Unternehmens Climeworks. 

Lange, schon seit 2009 arbeiten sie an ihren CO2-Fängern. Lange als Spinner angesehen, werden sie spätestens seit 2018 ernst genommen. Denn da hat das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), also die wichtigste Instanz weltweit in Klimafragen, errechnet: Um das 1,5 °C-Ziel zu erreichen, braucht es Carbon Capture. Auch die Internationale Energieagentur (IEA) hält Carbon-Capture-Tech für notwendig, um die Klimaziele 2050 zu erreichen.

Megatonnen & Billionen

Seither ist ein regelrechter Hype rund um die Technologie entstanden. Milliardäre wie Bill Gates und Stars wie Coldplay haben in Climeworks investiert. Das Grundprinzip ist ein faszinierender, wenn auch längst bekannter Vorgang: Das CO2-Molekül bleibt in Folge einer Säure-Basen-Reaktion an einem Sand-ähnlichen Feststoff kleben; der wird dann erhitzt, um das CO2 absaugen zu können; und dieses kann dann entweder in die Erde gepumpt oder weiter verarbeitet werden (z.B. zu E-Fuels). Oder wie Gebald zu sagen pflegt: Öl und Gas im Retourgang.

Climeworks, das 2022 mit einer Finanzierungsrunde von satten 650 Millionen Dollar zum Climate-Tech-Unicorn aufgestiegen ist, steht an der Spitze der CO2-Fänger. In Kooperation mit dem isländischen Startup Carbfix werden mit einer „Orca“ getauften Anlage immer mehr Tonnen CO2 eingefangen und in die Erde gepumpt. Der große Bruder von Orca, „Mammoth“, soll bald 36.000 Tonnen CO2 pro Jahr aus der Atmosphäre saugen. 500.000 Tonnen sollen es 2026 sein. Danach muss Climeworks wachsen, wachsen, wachsen. Das Ziel der Gründer: Es bis 2050 schaffen, pro Jahr eine Gigatonne CO2 einzufangen. Dazu muss man jedes Jahr um 30 Prozent wachsen.

Angesichts der grob 35 Megatonnen CO2, die die Menschheit heute noch produziert, ist klar. Es wird dutzende Player wie Climeworks brauchen. Und: Geht die Rechnung auf, wird es ein Billionengeschäft. Den USA, die kürzlich mit dem „Inflation Reduction Act“ das ambitionierteste Klimaschutzgesetz der Welt erließen, ist eine entfernte Tonne CO2 etwa 180 Dollar wert. Nur Riesenindustrien wie Tech oder Erdöl kommen an diese Maßstäbe heran. Carbon Capture – gut für den Planeten, aber auch für den Profit.

Für Climeworks ist die CO2-Abscheidung bereits ein Geschäft. Unternehmen wie Microsoft, Boston Consulting Group, Stripe, Swarovski, Shopify, Square oder Audi bezahlen die Schweizer bereits dafür, das Treibhausgas dauerhaft unter die Erde zu bannen. Dafür bekommen sie CO2-Zertifikate fürs Offsetting – können also ihre eigene CO2-Bilanz schmälern.

Technologie in den Kinderschuhen

Doch parallel zum Anstieg der Investitionen in Carbon Capture steigen auch die Zweifel an der Technologie. Denn die Zahlen zeigen heute: Mit ein paar zehntausenden Tonnen entferntem CO2 sind Orca und Mammoth angesichts der rauen Mengen an Treibhausgasen, die jährlich neu entstehen, Tropfen auf dem heißen Stein. Die Technologie, auf die so viele hoffen, steckt in den Kinderschuhen. „Im Jahr 2050 kommt fast die Hälfte der Reduktionen von Technologien, die sich derzeit erst in der Demonstrations- oder Prototypen-Phase befinden“, gibt auch die IEA zu. Auf gut Deutsch: Da muss noch massiv investiert werden, um die CO2-Staubsauger serienreif zu bekommen.

Carbon Capture and Storage (CCS): Das Abscheiden von CO2 direkt am Entstehungsort (z.B. Fabrik) und anschließendem Speichern im Boden

Carbon Capture, Utilization & Sequestration (CCUS): Das Abscheiden und Weiterverwerten von CO2, z.B. in E-Fuels

Direct Air Capture (DAC): Das Einfangen von CO2 aus der Atmosphäre

Grundsätzlich wären riesige Anlagen notwendig, um Megatonnen CO2 absaugen zu können. Dieses Hochskalieren könnte zum Problem werden. Neu ist das Grundprinzip der Technologie an sich nicht – sie entstammt eigentlich der Ölindustrie, die bereits in den 1970ern an chemischen Verfahren zur Abtrennung von Kohlendioxid aus gewonnenem Gas arbeitete. Deswegen gibt es jahrzehntelange Erfahrungswerte. Eine Ende 2021 veröffentlichte Studie etwa untersuchte 263 CCUS-Projecte zwischen 1995 und 2018 – mit ernüchternden Ergebnissen.

„Carbon Capture, Utilization and Sequestration (CCUS) ist eine der wichtigsten sauberen Technologien, doch die meisten CCUS-Projekte, die in den letzten drei Jahrzehnten initiiert wurden, sind gescheitert“, heißt es seitens der Studienautor:innen Nan Wang, Keigo Akimoto und Gregory F. Nemet. „Die Ergebnisse zeigen, dass größere Anlagen das Risiko erhöhen, dass CCUS-Projekte abgebrochen oder auf Eis gelegt werden; eine Erhöhung der Kapazität um 1 Mio. Tonnen CO2/Jahr erhöhen das Risiko eines Scheiterns um fast 50 Prozent.“ Bedeutet im Klartext: Je größer Anlagen gebaut werden, umso größer ist die Gefahr, dass sie nicht funktionieren.

Greta will lieber Wälder

Auch der enorme Energiebedarf der CO2-Stausauger ist ein Thema. Und die Frage, wo der Strom herkommt. Würde man die Anlagen mit Energie aus Gas- oder Kohlekraftwerken betreiben, würde man die Idee ad absurdum führen. Darauf verweist auch das deutsche Bundesumweltamt. Nur Maßnahmen, die ausschließlich mit erneuerbaren Energien gedeckt werden und die ausschließlich atmosphärischen Kohlenstoff nutzen, dürften als „treibhausgasneutral“ bezeichnet werden. Bedeutet: Betreiber:innen der Anlagen müssen sie dorthin stellen, wo genug Strom aus erneuerbaren Energien verfügbar ist – und das geht längst nicht überall.

Die prominenteste Gegnerin von Carbon Capture-Technologien ist aber mittlerweile Greta Thunberg, die die Fridays for Future-Bewegung ins Leben rief. Gemeinsam mit anderen Umweltschützer:innen veröffentlichte sie im britischen Guardian einen Artikel, in dem zu lesen ist: „Anstatt auf nicht vorhandene, unzuverlässige und teure Technologien zur Kohlenstoffabscheidung zu vertrauen, ist der beste Weg, mehr Wälder zu schützen und wiederherzustellen.“

Am Ende wird es aber nicht auf ein „Entweder-Oder“, sondern auf ein „Und“ hinauslaufen. Auch Firmen wie Climeworks ist klar, dass sie nicht das CO2 der gesamten Welt entfernen können, und der Rest läuft weiter wie bisher. Das Signal wäre fatal: Nur weil man bei Climeworks und anderen CO2-Offsetting betreiben kann, soll das nicht heißen, dass Unternehmen selbst aufs hauseigene Reduzieren der Emissionen verzichten und sich einfach freikaufen.

Es wird alles auf einmal brauchen: Die CO2-Reduktion durch Energiewende und Co; die Vergrößerung der natürlichen CO2-Abscheidung durch Wiederaufforstung und Co; und durch die CO2-Abscheidung durch Maschinen. „Zunächst einmal sind die Anpflanzung und der Schutz von Bäumen für die Bekämpfung des Klimawandels absolut unerlässlich. Leider sind wir an einem Punkt angelangt, an dem Bäume allein nicht mehr ausreichen. Es gibt zu viel CO2 in der Atmosphäre. Deshalb brauchen wir mehr Bäume und Technologien wie die Direct Air Capture“, heißt es auch seitens Climeworks.

Denn eines ist glasklar: CO2 sucks.

Diese Story stammt aus dem unserem neuen Magazin „GoGreen“. Das ist hier kostenlos als Download abrufbar.

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