„Illusorische Vorstellung“: WKÖ und IV sehen höhere EU-Klimaziele mit Sorge
Am 10. und 11 Dezember werden die EU-Länder zu einer neuer Zielsetzung der CO2-Reduktion bis 2030 beraten. Minus 40 Prozent war bisher das Ziel, dieses soll nun deutlich erhöht werden. Minus 65% seien zum Erreichen der Pariser Klimaziele nach Erkenntnissen der Wissenschaft nötig. Das EU-Parlament hatte sich für minus 60% ausgesprochen. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz zeigten sich WKO-Generalsekretär Karlheinz Kopf und der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Christoph Neumayr, besorgt zu dem, in ihren Worten, vorherrschenden “sportlichen Wettkampf” um eine höchstmögliche Zielsetzung. Eine “illusorische Vorstellung” nennt Kopf das von NGOs, Unternehmen und Wissenschaftlern geforderte Ziel von minus 65%. In seinen Augen sind minus 55% das erreichbare Maximum. Von dem Europäischen Rat fordern die beiden Vereinigungen zehn konkrete Maßnahmen zur Zielerreichung und Finanzierung.
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Sorge um heimische Industrie
“Wir brauchen eine Verbindung von Klimaschutz und Wirtschaftswachstum”, so der WKO-Generalsekretär. Konkret sorgen sich beide Wirtschaftsvereinigungen um die energieintensive Industrie und Produktion, unter anderem die Stahl- und Kunststoffproduktion, in Österreich. Diese würden nach Aussage von Neumayr in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern bereits besonders CO2-effizient arbeiten und unterliegt bereits klaren Zielsetzungen und dem Emissionshandel. Bei einer weiteren Verschärfung der Ziele ohne unterstützende Maßnahmen, fürchten sie eine Abwanderung dieser Unternehmen in Länder mit niedrigeren Umweltstandards.
Es geht um Milliarden Euro an Strafen
Bis zu 7 Milliarden Euro Strafzahlung droht Österreich bei einer Nichteinhaltung ihrer Klimaziele bis 2030. Die Vertretungen von Wirtschaft und Industrie fordern von der EU daher Unterstützung und Absicherung und weitere Markterschließungen, um diese Strafzahlungen zu vermeiden.
Konkret haben sie 10 Forderungen formuliert:
- Zielsetzung mit “Augenmaß”
- Mehr Anreize und stabile Rahmenbedingungen für klimafreundliche Investitionen im Inland
- Erschließung von neuen Märkten für klimafreundliche Produkte aus Österreich
- Nachhaltige technologische Innovationen am Weltmarkt positionieren
- Lastenteilung innerhalb der EU; gesamteupolitische Energiepolitik, Energiepartnerschaften, Rahmenprogramm für Wasserstoffprogramme mit Nordafrika und Biogas Konzept mit Osteuropa
- Abwanderungsschutz für österreichische Unternehmen durch bsp. gratis CO2-Zertifikate
- Ausbau des Pariser Klimaabkommens um andere globale Wirtschaftsmächte auch von CO2-Steuer zu überzeugen
- Finanzierungsmechanismus für Low Carbon Technology
- Forcierung der Innovationen in erneuerbare Energien
- Verkürzte Verfahrensdauer bei wichtigen infrastruktuellen Schlüsselprojekten
Wirtschaft fordert faire Verteilung
Wenn es dabei bleibt, sollen die Treibhausgasemissionen der EU bis 2030 um mindest 55% gesenkt werden. Was das im Endeffekt konkret für die einzelnen Länder bedeutet, wird danach nach Festsetzung der Zielhöhe bestimmt. Kopf ist sich sicher, dass das wiederum zu einer “heftigen Verteilungsdiskussion” führen wird. Er hofft, dass die Verteilung nicht nach Höhe des Bruttoinlands-Index erfolgt, sondern bereits bestehende Anteile von erneuerbaren Energien im Energiemix oder die bereits bestehenden CO2-Effizienz in der Produktion angerechnet wird. Höhere Ambitionen von anderen Ländern bei der Zielsetzung der CO2-Reduktion sind für ihn leicht erklärt:” Wenn ich einfach aus der Kohleenergie aussteige, auf Atomkraft setze oder keine Grundstoffproduktion habe, tu ich mir wahnsinnig leicht, hohe Ziele zu setzen.” Da Österreich keinen Atomstrom und kaum kaum noch Kohleenergie produziert und bereits CO2-effizient produziert, fällt es hier schwerer, höhere Ziele zu unterstützen.
Uneinigkeit in der heimischen Wirtschaft
So abwehrend sich die Vertreter der österreichischen Wirtschaftsvereinigungen auch äußern, so laut sind auch die Forderungen nach deutlich höheren Zielsetzung von anderen Seiten. In einem offenen Brief vom 08.12.2020 forderten NGOs und namhafte Unternehmen wie Spar und IKEA eine noch höhere Zielsetzung von Minus 65 Prozent. Auf die Frage einer Journalistin an Karlheinz Kopf auf etwaige Unstimmigkeiten in der Wirtschaft, sagte dieser, dass seine Sorge besonders dem energieintensiven produzierenden Sektor gilt. Dieser habe bereits viel in Richtung Ökologisierung getan, daher nur mehr geringes Potenzial und könnte daher abwandern. Kopf: “ Keines der genannten Unternehmen unterliegt der Abwanderungsthematik. Die Betroffenheit ist daher sehr unterschiedlich.”
Den sogenannten Green Deal, den die Europäische Union für die Zielerreichung des ersten klimaneutralen Kontinent entworfen hat, sieht der Generalsekretär der WKO sehr kritisch. Seiner Meinung nach ist dieser sehr lückenhaft und ausbaufähig. “Beim Green Deal von einer neuen Wachstumsstrategie zu sprechen, ist wohl sehr verwegen. Wachstumsstrategien sehen anders aus.” Für ihn klar, dass es in der Finanzierung der Klimaziele massiv Unterstützung seitens der EU brauche. Ohne diese sei die Umsetzung seiner Meinung nach nicht machbar.
Greenpeace warnt vor Nichthandeln
Bereits kurz nach der Pressekonferenz äußerte sich die Umweltorganisationen Greenpeace zu den Forderungen Österreichs Wirtschaftsvereinigungen. Sie warnen vor Kosten durch Nichthandeln in Höhe von bis 30 Millionen Euro ab 2050 bedingt durch Klima-Folgeschäden. Sie fordern Minus 65 Prozent der europäischen Treibhausgasemissionen. Die Forderungen nach der Definition von konkreten Maßnahmen und der Nutzung von Chancen der österreichischen Wirtschaftsvereinigungen unterstützen sie hingegen. Auch präferieren sie die Einführung eines CO2-Grenzzolls. Dieser wäre nach Meinung von WKO-Generalsekretär ebenfalls eine gute Unterstützung der heimischen, bereits CO2-effizienten produzierenden Industrie, würde aber ohne gratis CO2-Zertifikate nicht ausreichen.