Der CRISPR-Miterfinder in Wien: „Wir sind gar nicht weit weg von Jurassic Park“
Es ist eine Technologie, mit der man gezielt DNA schneiden und verändern kann, quasi eine Schere für Gentechniker: Die CRISPR/Cas9-Methode gilt derzeit als eines der zukunftsträchtigsten Systeme, mit der man etwa gezielt vererbbare Krankheiten ausmerzen könnte. In den USA haben Forscher damit erfolgreich die DNA von Embryonen manipuliert, in China werden klinische Studien an Lungenkrebspatienten durchgeführt. Über all dem schwebt die große Frage: Soll es dem Menschen künftig erlaubt sein, Erbgut zu verändern? Kommen jetzt die Designer-Babys und Super-Soldaten?
Der Pole Krzysztof Chylinski, der in den Max F. Perutz Laboratories (MFPL) seinen PhD machte und jetzt in den Vienna Biocenter Core Facilities (VBCF) arbeitet, hat gemeinsam mit den Forscherinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna eine bahnbrechende Publikation (PDF) veröffentlicht, die anderen Forschern weltweit als Grundlage für Genome-Editing dient.
Im Interview mit Trending Topics spricht Chylinski über die wegweisende Erfindung und ihr Potenziale, die Frage der Ethik bei Genmanipulationen und warum er selbst noch keine Firma im BioTech-Bereich gegründet hat.
Trending Topics: Wie ist es zur Erfindung von CRISPR/Cas9 gekommen?
Krzysztof Chylinski: Bakterien haben einen Selbstverteidigungsmechanismus gegen Viren. Wir haben darüber geforscht und waren die ersten, die darauf basierend eine notwendige Komponente des CRISPR-Systems beschrieben haben. Dann sind wir mit einem Team von der University of California, Berkeley in Kontakt gekommen. Gemeinsam haben wir dann beschrieben, wie man DNA-Stränge schneiden kann und gezeigt, wie die Technologie zur Genom-Editierung eingesetzt werden kann. In Wien und Berkeley haben wir 2011 also die Grundlage geschaffen.
Haben Sie damals gewusst, wie groß das werden wird?
Uns war klar, dass das eine erstaunliche wissenschaftliche Leistung ist. Für mich persönlich war überraschend, wie schnell alles passierte. Nur ein halbes Jahr nach unserer Publikation gab es das erste Paper, das zeigte, wie die Technologie an menschlichen Zellen angewendet werden kann. Dann kam eine wahre Lawine an Forschung basierend auf unseren Erkenntnissen. Aber ja, wir hatten es im Gefühl, dass das etwas Großes ist. Es war ein echtes wissenschaftliches Abenteuer.
Für Nicht-Wissenschaftler – wie kann man CRISPR/Cas9 erklären?
CRISPR/Cas9 kann man mit Scheren vergleichen, die es Wissenschaftlern erlauben, DNA-Stränge exakt zu zerschneiden. Solche Technologien haben schon vorher existiert, aber sie waren komplizierter und teurer. CRISPR/Cas9 ist sehr effizient, um DNA an jeder beliebigen Stelle schneiden zu können. Kleine Labore können es sich jetzt leisten, Genmanipulationen zu machen. Gerade in der Grundlagenforschung gibt es oft wenig Budget, und das macht einen großen Unterschied. Man könnte auch sagen, dass CRISPR/Cas9 ein wenig demokratisiert und Gen-Editing nicht mehr nur den großen Konzernen vorbehalten ist, die es sich leisten können. Das ist wie mit Computern: Früher waren sie teuer, heute kann sich jeder einen leisten.
Welche Anwendungsfälle von CRISPR finden Sie am sinnvollsten?
Ich helfe dabei, die Grundlagenforschung in dem Bereich weiterzubringen. Da geht viel weiter. Die fortgeschritteneren Anwendungen sind noch Zukunftsmusik. Aber es gibt eine Reihe von genetischen Krankheiten, die mit der Technologie geheilt werden können. Mich fasziniert etwa, dass man damit HIV ausmerzen könnte. Das fasziniert mich, weil das wirklich funktionieren kann und man Menschen wirklich helfen kann. In China wird gerade ein klinischer Versuch durchgeführt, damit einem Patienten mit unheilbarem Lungenkrebs zu helfen.
Wie sieht es im Bereich von genmanipulierten Pflanzen aus?
Das ist natürlich eine schon länger währende ethische Diskussion. Aber früher oder später müssen wir akzeptieren, dass die Menschheit ohne genetische Modifikationen von Pflanzen nicht überleben kann. Die Ernährung der Weltbevölkerung wird mit dem Klimawandel immer problematischer. Seit hunderten von Jahren versuchen Menschen, Pflanzen zu modifizieren, etwa mit Kreuzungen. Aber das ist, als würde man mit einem Hammer an die Sache herangehen. Jetzt gibt es aber eben eine Schere, mit der man exakt das schaffen kann, was man erreichen möchte. Wenn man eine Uhr reparieren möchte, verwendet man ja auch spezielles Werkzeug und schlägt sie nicht einfach gegen die Wand.
Sind Sie für eine Lockerung der in der EU sehr restriktiven Gesetze für Genmanipulationen?
Ich finde, wir sollten über das Thema mehr reden. Die Menschen müssen besser informiert werden. Die Forschung schreitet derzeit so schnell voran, dass das, was wir in der Schule lernen, veraltet ist. Nicht einmal Wissenschaftler selbst verstehen und wissen, was die Forschung in ihnen fremden Bereichen voranbringt, wie soll da die Bevölkerung mithalten. Viele Leute sind verängstigt, wenn sie etwas hören, was sie nicht verstehen, und sie sind leichter manipulierbar. Die Menschen müssen informiert werden über neue Biotechnologien, damit sie verstehen, was sie Gutes schaffen können und wo die Nachteile liegen. Viele Dinge haben lange gebraucht, um von der Gesellschaft akzeptiert zu werden, und ich denke, diesen Prozess wird auch die Genmodifizierung durchlaufen. CRISPR ist gerade mal sechs Jahre alt.
Kürzlich haben US-Forscher mit Hilfe von CRISPR erfolgreich die DNA von Embryonen manipuliert. Was sagen Sie dazu?
Aus wissenschaftlicher Sicht ist das eine erstaunliche Arbeit. Die Forscher konnten erfolgreich ein vererbbares Herzleiden eliminieren, dass weltweit einen von 500 Menschen betrifft. Diese Möglichkeiten faszinieren. Aber es gibt da auch die ethische Frage.
Die ethische Frage ist wichtig. Wie stehen Sie dazu? Soll der Mensch, wie manche sagen, Gott spielen dürfen?
Klar wird schon lange und viel über Designer-Babys und Super-Soldaten debattiert. Dabei vergessen viele, dass wir noch viel zu wenig wissen. Wir haben in Wirklichkeit keine Ahnung, wie man etwa die Haarfarbe bestimmen könnte, die ganze Geschichte mit den Designer-Babys wird wahrscheinlich nie funktionieren. Ich finde, dass von Fall zu Fall entschieden werden muss. Sollte man die Augenfarbe eines Babys ändern können? Nein, meiner Meinung nach nicht, das ist nicht zu rechtfertigen. Aber soll man tödliche Krankheiten bekämpfen? Ja, das wird einmal notwendig werden, wenn die Menschheit überleben will.
Wie sieht es im Bereich von Pflanzen und Tieren aus?
In Laboren wurde schon vieles erfolgreich modifiziert. Schweine können Organspender für Menschen sein, nur haben sie oft Viren, die vom menschlichen Körper abgestoßen werden. Mit CRISPR kann man alle Retroviren eliminieren. Man könnte auch Mammuts wieder zum Leben erwecken, wir sind gar nicht weit weg von “Jurassic Park”. Es ist nur die Frage, was außerhalb der Labore passieren darf. Da sind die Gesetzgeber und die Öffentlichkeit gefragt. Ich schätze, dass der Prozess noch weitere 15, 20 Jahre dauern wird.
Sie sind aus Polen nach Wien gekommen. Während Ihre Forschungskollegin Emmanuelle Charpentier nach Schweden gegangen ist, sind Sie in Wien geblieben. Wie sehen Sie Österreich als Standort für Forschung?
Ich bin eher zufällig nach Wien gekommen, als ich mich damals für freie Stellen beworben habe. Ich liebe das Vienna BioCenter, ich liebe die Stadt, und die Grundlagenforschung und die wissenschaftliche Community hier sind toll. Die Leute hier sind sehr offen, sie helfen gerne und teilen Wissen. In anderen Ländern sind die Wissenschaftler oft viel kompetitiver, hier habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht. Auch die BioTech-Firmen hier florieren.
Wollten Sie nie Ihre eigene Firma auf Basis Ihrer Forschungsergebnisse gründen?
Mein Forschungsfeld ist richtiggehend explodiert, es gibt unzählige Firmen. Da wäre es sehr schwer, eine Nische zu finden, in der man sein Business machen kann. Für mich ist meine Arbeit, bei der ich andere Wissenschaftler unterstütze, perfekt. Der Patentstreit würde die Sache zusätzlich erschweren, derzeit ist nicht klar, von wem man die Lizenz kaufen kann. Ich bin nicht die richtige Person dafür, man muss viel Risiko eingehen. Für eine Firma, die mit CRISPR arbeitet, bräuchte man zu Beginn schon viele Millionen. Eine IT-Firma braucht viel weniger Geld als eine BioTech-Firma, dafür reicht es nicht, smart zu sein und einen Computer zu haben. Alleine ein Labor, dass alle rechtlichen Auflagen erfüllt, kostet Millionen. Ich bin Wissenschaftler, nicht Geschäftsmann.
Wie steht es um den Patentstreit um die CRISPR-Technologie, in den Sie ja auch involviert sind?
Es sind derzeit mehrere Patentanträge am Markt, aber es ist patentrechtlich nicht klar, wer die Technologie zugesprochen bekommt, auch nicht, in welchen Märkten. Der Patentstreit zieht sich jetzt seit einigen Jahren, und es ist nicht absehbar, wie er ausgeht und wann.
Was machen Sie, wenn das Patent Ihrem Team zugesprochen wird?
Da habe ich keinen Plan. Ich werde die nächsten Jahre auf jeden Fall in Wien bleiben. Außerdem muss man realistisch bleiben. Jetzt gibt es CRISPR/Cas9, aber das heißt nicht, dass nicht bald etwas Besseres erfunden wird. Ich habe auch meine eigenen kleinen Ideen, also wer weiß.
Finden Sie, dass CRISPR überhaupt patentierbar sein sollte? Oder sollte die Technologie jedem frei zur Verfügung stehen?
Technologien sollten generell patentierbar sein. Die Möglichkeit ist der zusätzliche Kick für Forscher, hart an etwas zu arbeiten. Es ist motivierend, wenn man die Aussicht hat, dass man später viel Geld mit einer Technologie, die man entwickelt, verdienen könnte, das pusht. Das Gute an Patenten ist ja auch, dass Grundlagenforscher patentierte Technologien frei verwenden können, die Patente schützen ja nur die Produkte von Firmen am Markt.