Das „Metaverse“: Aufgewärmter Marketing-Schmäh
Folgendes Gedankenexperiment: Versetz‘ dich ins Jahr 2004. Du hast kein Smartphone, aber einen Computer. Irgendwo in den Vereinigten Staaten kommt ein gewisser Mark Zuckerberg auf die Idee, ein Social Network für Studenten zu bauen, hat aber keinen Tau davon, dass einmal das iPhone ab 2009 Instagram und TikTok ermöglichen wird.
Währenddessen bringt der US-amerikanischen Spielentwickler Blizzard ein MMORPG namens „World of Warcraft“ auf den Markt, das schnell weltweit Millionen Gamer begeistert, die fortan in der 3D-Welt nicht nur gemeinsam Drachen bekämpfen, sondern auch virtuelle Gegenstände handeln, Gilden gründen, Charaktere designen und neben den Quests einfach ziemlich „social“ sind.
Bedeutet: 2004 konnte man sich wohl kaum vorstellen, dass verrückte Tänze aus Vietnam via Video-App um die Welt wandern und in den Abendnachrichten von Armin Wolf nachgetanzt werden. Man konnte sich aber sehr wohl vorstellen, dass man seinen Avatar durch eine 3D-Welt steuert und dort Abenteuer erlebt oder einfach Freunde trifft. Falsch: Man konnte es sich nicht nur vorstellen, man tat es auch.
Dementsprechend darf man sich heute, 17 Jahre später, gerne fragen, wie neu oder bahnbrechend die Idee des „Metaverse“ überhaupt ist. Mark Zuckerbergs eigene Idee ist es ohnehin nicht, sie wurde bereits in zahlreichen Science-Fiction-Büchern wie jenen von Neal Stephenson („Snow Crash“, 1992), William Gibson („Neuromancer“, 1984), Tad Williams („Otherland“, 1996) oder Ernest Cline („Ready Player One“, 2011) beschrieben.
Alter Wein in neuen Schläuchen
Neu ist lediglich, dass Mark Zuckerberg den Begriff entführt, ihn auf seinen viel kritisierten Internet-Konzern als neue Marke „Meta“ pappt und das ganze als die Zukunft des Internet verkauft. „Metaverse“ ist dabei ein vager, großer Begriff für etwas, was sich jeder längst vorstellen kann: eine 3D-Welt, auf die man mittels VR- oder AR-Brille zugreifen kann. Nur durchgesetzt hat sich das noch nicht, weil die Headsets zu teuer, zu klobig und einfach nicht gut genug sind.
Und da wittert Zuckerberg seine Chance. Bei Smartphones war seine Firma zu jung, um ein relevanter Player zu werden – Hardware und Software im Mobile-Bereich dominieren jetzt Apple, Google und zahlreiche chinesische Konzerne. Heute aber legt Facebook, sorry, Meta, jährlich zehn Milliarden Dollar und mehr auf die hohe Kante, um sich Marktanteile bei AR/VR zu schnappen. Zuckerberg geht es also nicht ums „Metaverse“, sondern um Dominanz bei der vermeintlich nächsten Hardware- und Software-Plattform.
Denn das „Metaverse“ kann man gar nicht neu erfinden, es gibt es schon in zahllosen Ausformungen. Microsoft hat mindestens eines (die Tochterfirma Minecraft), Epic Games hat eines („Fortnite“), Roblox hat eines (46 Mrd. Dollar Börsenwert), das auf der Ethereum-Blockchain basierende Decentraland ist eines, und dir fallen sicher noch weitere „Metaversen“ ein, die nicht nur lineare Games sind, sondern offene 3D-Welten bieten. Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang auch „Second Life“, ein Metaversum, das bereits seit 2003 online ist – und das ebenfalls vor einem Release als mobile Variante stehen soll.
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Ultimative Tracking-Möglichkeiten
Warum will Zuckerberg seinen Internet-Konzern nun ins Metaversum holen? Ihm geht es wie in den vergangenen Jahren weiter um das Geschäftsmodell Werbung. „Wir planen, unsere Geräte zum Selbstkostenpreis oder subventioniert zu verkaufen, um sie mehr Menschen zugänglich zu machen“, sagt Zuckerberg. Das ist das Amazon-Modell: Niedrige Hardware-Kosten, damit möglichst viele Menschen online shoppen oder Werbung konsumieren.
Werbung im Metaversum kann man sich auf der einen Seite als sehr interaktiv, multimedial und aufregend vorstellen. Es ist aber auch Werbung, die noch viel mehr tracken kann, als sie es heute am Smartphone kann. VR-/AR-Brillen messen jede Bewegung des Kopfes und der Augen, tracken mit, in welche Richtung man blickt, wohin man die Arme bewegt – auch künftig vielleicht sogar in Kombination mit Wearables, wie der Puls ist. Damit ist klar: Das Metaversum bietet unendliche neue Möglichkeiten bei virtueller Werbung. Die wird gleich mehrere Konzerne zu Billionen-Unternehmen machen (Facebook, Google, teilweise Tencent, Alibaba, Amazon).