Let’s Do The Delaware Flip!
Bitmovin ist schon lange eine, die aufstrebenden Startups Gate Space oder ContextSDK sind seit kurzem welche, und viele weitere Jungfirmen mit großen Expansionsplänen werden wohl folgen: Startups und Scale-ups wie die genannten sind mittlerweile US-amerikanische Corporations, kurz Inc., und haben die ursprünglichen Österreichfirmen als Töchter unter ihrem Dach. Eine US-Inc zu bekommen, schaffen Gründer über den berühmten „Delaware Flip“.
Der kleine US-Bundesstaat Delaware mit der Hauptstadt Dover und nicht einmal einer Million Einwohner ist nur für wenige Dinge berühmt: Der derzeitige US-Präsident Joe Biden kommt aus dem US-Bundesstaat, ebenso wie DuPont, eines der ältesten und größten Chemieunternehmen der Welt. Und: Delaware gilt als Steuerparadies und lockt Unternehmen mit niedrigen Steuern auf Geschäftsaktivitäten und der strengen Privatsphäre für Firmengründungen. Auf der offiziellen Webseite des US-Bundesstaates wird gar die „flexible und effiziente Auslegung der Rechtsprechung“ gelobt.
Inc. schluckt GmbH
Das hat über die Jahrzehnte dazu geführt, dass mehr als 2 Millionen Unternehmen ihren Firmensitz in Delaware haben – wohlgemerkt bei nicht einmal einer Million Einwohner. Alleine 2023 wurden im „First State“ mehr als 298.000 Unternehmen gegründet, 67,6 Prozent der Fortune-500-Unternehmen haben hier ihren Sitz, und 80 % aller US-Börsengänge im Jahr 2023 wurden in Delaware registriert. Das resultiert natürlich darin, dass Delaware voller Postkastenfirmen ist. Natürlich gibt es in dem Bundesstaat, das flächenmäßig kleiner ist als Zypern, nicht 2 Millionen Firmenzentralen.
Und so kommt es, dass Delaware auch der Firmensitz von tausenden Startups aus den USA, aber auch von außerhalb geworden ist. Unter Jungfirmen aus Europa, die den Riesenmarkt der USA erobern wollen, ist der so genannte „Delaware Flip“ zum Standardinstrument gediehen. Dabei wird eine Inc. in dem US-Bundesstaat gegründet. An diese Holdinggesellschaft werden dann die Anteile des ursprünglichen Unternehmens übertragen, wodurch diese zur Muttergesellschaft wird. Oft bleibt der operative Hauptsitz des Unternehmens im Ursprungsland oder -staat (also z.B. in Österreich), während die rechtliche Struktur nach Delaware verlagert wird.
Vorteile: US-Kunden, Investments & Exit
Bei Startups wie Gate Space oder ContextSDK ist das der Fall. Sie haben Delaware-Corporations etabliert, die nun die Muttergesellschaften der ursprünglichen österreichischen Firma sind. Bei ContextSDK, das kürzlich eine Finanzierungsrunde von 4 Mio. Dollar erhalten hat, ist dieses Kapital bereits in die US-Inc geflossen.
„Für uns war von Anfang an klar, dass wir im US-Markt kundenseitig eine große Opportunität sehen und dass wir keine Technologie für einen europäischen Markt isoliert bauen wollen, sondern dass wir für einen globalen Markt bauen“, sagt Dieter Rappold von ContextSDK. Das in Wien gegründete Startup bietet App-Betreibern Software an, um mittels Machine Learning die App-Nutzung zu verbessern. „Gerade in der App-Ökonomie heißt das, dass wir damit den US-Markt sehr stark gewichten müssen.“ Aber nicht nur deswegen hätte man sich für den Delaware Flip entschieden.
„Ein amerikanischer großer Kunde geht einfacher und lieber einen Vertrag mit einer Delaware Inc. ein, als mit einer österreichischen GmbH“, sagt Rappold. „Der zweite Punkt ist, dass wir im Hinblick auf zukünftige Finanzierungsrunden damit auch die Rahmenbedingungen schaffen wollen, um für internationale Investoren leichter ansprechbar und integrierbar zu sein. Man kennt viele Geschichten von internationalen Investoren, die sich erzählen, wie unfassbar mühsam Sitzungen bei deutschen oder österreichischen Notaren sind.“
Schließlich gebe es auch einen dritten wesentlichen Grund, den Delaware Flip zu machen – nämlich für das Exit-Szenario. „Zu guter Letzt ist natürlich auch die Perspektive im Hinblick auf allfällige Exit-Szenarien auch mit einer Delaware Inc. eine einfachere als aus einer österreichischen GmbH heraus“, so Rappold. Bedeutet: Käufer von Startups sind sehr oft US-amerikanische Firmen, denen ist oft lieber ist, eine US-Firma zu übernehmen als eine GmbH.
„Steuerliche Auswirkungen sind komplex“
Was übrigens nicht stimmt, ist die Mär, dass der Delaware Flip in wenigen Stunden oder Tagen erledigt ist – mehrere Wochen sollten Gründer:innen schon einplanen, um die US-Corporation einzurichten und dann die österreichische Firma damit zu schlucken. Und auch wenn Delaware mit niedrigen Steuern und einer flexiblen Rechtsprechung lockt, sollte man den Aufwand nicht unterschätzen.
„Die Transaktionskomplexität ist nicht zu unterschätzen, da zahlreiche Haftungsfragen strukturiert werden müssen“, sagt etwa die auf Startups und AI-Themen spezialisierte österreichische Rechtsanwältin Jeannette Gorzala. „Steuerliche Auswirkungen sind komplex und müssen detailliert analysiert werden. Wenn nicht professionell strukturiert wird, können wertvolle Steuervorteile verloren werden bzw. hat dies andere nachteilige Folgen im Heimatland.“ Etwa könnten steuerpflichtige Ereignisse in Österreich ausgelöst werden. Ebenfalls relevant bei den meisten Startups, da sie ja mit Daten von Usern und Kunden arbeiten, sind Fragen betreffend der DSGVO zu prüfen.
Tipp: „Delaware Flip“ so früh wie möglich machen
Wozu sowohl Rappold als auch Gorzala raten, ist, den Delaware Flip so früh wie möglich zu machen. „Die Kosten der Strukturierung und Durchführung gegenüber den strategischen Vorteilen sollten gut abgewogen werden“, sagt Gorzala. „Tendenziell ist es eher vorteilhaft, wenn das Startup noch jung ist und in der Vorbereitung für die erste „priced round“ ist.“ Laut Rappold sei der Delaware Flip „wesentlich kostengünstiger und einfacher vor einer Seed Round als nach einer Seed Round“. Viele Unternehmen würden den Delaware Flip kurz vor der Series A machen, weil es dann internationale Investoren wünschen oder verlangen, aber zu diesem Zeitpunkt würden die Kosten schnell mal sechsstellige Beträge ausmachen. Bedeutet unterm Strich: Wenn man den Flip machen will, dann so früh wie möglich.
Die Delaware Inc. ist aber nicht einfach nur ein geeignetes Vehikel für EU-Startups, um in die USA zu springen, sondern generell ein sehr großer Standortvorteil für die USA. „In den USA gilt der Bundesstaat Delaware als De-facto-Standard für juristische Personen für Startups“, so der österreichische Gründer und Investor Andreas Klinger, der auch viel in den USA tätig ist. „Das mag nach einer Kleinigkeit klingen, hat aber eine Menge Auswirkungen.“ Die Delaware Inc sei das Fundament, auf dem man andere Standards aufbauen – etwa das berühmte SAFE (Simple Agreement for Future Equity).
Dabei handelt es sich es sich um einen Investitionsvertrag, der speziell für Startups entwickelt wurde, um Investitionen einfacher und effizienter zu gestalten. SAFE wurde 2013 von der Startup-Inkubatorfirma Y Combinator eingeführt und ist eine Alternative zu klassischen Finanzierungsinstrumenten wie Wandelanleihen oder Eigenkapitalfinanzierungen. Es handelt sich dabei um eine flexible und einfache Möglichkeit für Investoren, sich an einem Unternehmen zu beteiligen, ohne sofort Aktien zu erwerben. Mit der Inc. bekommen Startups also das Gefäß, in das Investoren dann via SAFE schnell und ohne Anwälte und Bürokratie Geld einfüllen können – und die Gründer können loslegen.
EU will die „Innovative European Company“
In der EU gibt es wie berichtet Bemühungen, diesen Vorteil der Inc. aufzuholen. Der jüngste Vorschlag heißt „Innovative European Company“ (IEC) und soll Unternehmen „eine einzige digitale Identität verleihen, die in der gesamten EU gültig und von allen Mitgliedstaaten anerkannt ist“. Vereinheitlicht werden sollen damit Themen wie Gesellschaftsrecht, Insolvenz, Arbeitsrecht und Besteuerung, und IECs wären berechtigt, Tochtergesellschaften in der gesamten EU zu gründen, ohne in jedem Mitgliedstaat eine eigene Gesellschaft zu gründen“. Abzuwarten bleibt aber, ob die EU der US-Inc. etwas entgegensetzen kann.
“Innovative European Company”: Startups sollen eigene EU-Rechtsform bekommen