Ökosystem

Delta der Innovationen: „Shanghai wird das neue Silicon Valley“

Shanghai ©wko
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Der Taxifahrer, der nur wenige englische Worte wie „hello“, „good bye“ oder „airport“ versteht, akzeptiert keine Kreditkarte. Er nimmt nur Bargeld – oder Alipay bzw. WeChat Wallet, wie die mobilen Bezahllösungen von Alibaba bzw. WeChat genannt werden. Sein Smartphone – während der Fahrt zum Flughafen erhält er ständig Chat-Nachrichten und Emoticons seiner Freunde,– ist im seinem Berufsleben sein wichtigstes Gerät geworden. „China ist eine durch und durch mobile Gesellschaft“, sagt Christina-Maria Schösser, Österreichs Wirtschaftsdelegierte in Shanghai. „Die Menschen haben praktisch den Computer ausgelassen und sind direkt im mobilen Zeitalter eingestiegen.“

Das merkt man, wenn man mit der U-Bahn unterwegs ist, wo – ähnlich wie in Japan – fast jeder auf sein Smartphone starrt – entweder chattet, sich Videos ansieht oder einkauft. Acht von zehn Chinesen kaufen bereits mobil ein. Schösser: „Die chinesische Gesellschaft ist Technologien offen eingestellt.“ Das U-Bahn-Ticket ist selbstverständlich mobil am Handy gespeichert, Essen ordert man online und lässt es sich ins Büro liefern; dort gibt es für die Lieferdienste bereits eigene Regal-Schränke, wo sie die bestellten Waren deponieren können. Und da China ein Musterbeispiel ist für Shared Economy, wird geteilt, was man teilen kann – vom Taxi über das Fahrrad bis hin zur Powerbank, sollte dem Smartphone mal der Saft ausgehen.

Christina-Maria Schösser, die Wirtschaftsdelegierte in Shanghai, ist überzeugt, dass Shanghai einer der Innovations-Hotspot Asiens wird ©wko

Das Delta der Innovationen

„Shanghai wird das neue Silicon Valley“, ist Schösser überzeugt. Viele der neuen, so genannten disruptiven Technologien entstehen hier im Jangtse-Fluss-Delta, also dem dreieckigen Gebiet zwischen Shanghai, Nanjing (Provinz Jiangsu) und Hangzhou (Provinz Zhejiang). Das Jangtse-Fluss-Delta hat sich schon seit geraumer zum Technologie-Hotspot entwickelt, in den Bereichen Automotive, Halbleiter oder Materialwissenschaft findet seit Jahrzehnten schon Innovation statt, seit Jahren schon kooperieren chinesische Unternehmen mit österreichischen.

„Derzeit gibt es 63 österreichische Firmen, die sich im Jangtse-Fluss-Delta niedergelassen haben“, sagt Schösser. Ob Maschinen- und Anlagenbauer AVL List, Steyr Motors, die Böhler Hochdrucktechnik oder der Leiterplatten-Hersteller AT&S. Kleinere Firmen wie etwa Plasmo Industrietechnik, die Qualitätssicherungslösungen für automatisierte metallverarbeitende Produktionsprozesse anbieten oder auch das Wiener Startup Cubicure, das als einer der künftigen 3D-Druck-Highflyer gehandelt wird, sind gerade dabei, nachhaltige Kooperationen und Partnerschaften an Land zu ziehen. Die materialwissenschaftliche Branche informierte sich Mitte November von den verschiedensten Kooperationsmöglichkeiten mit chinesischen Forschungsinstituten und Unternehmen.

Mitte November fanden Kooperationsgespräche zwischen österreichischen und chinesischen Unternehmen und Forschungsinstitutionen statt @wko

200.000 Innovatoren gesucht

Bis 2020 will die Shanghai Science and Technology Commission nicht weniger als 200.000 Innovatoren motivieren, ihre Ideen zu realisieren. 3000 Workshops sollen in den kommenden zwei Jahren stattfinden, in denen künftigen Jung-Unternehmern der Aufbau eines Unternehmens von der Idee zum Produkt nähergebracht werden soll. Der Focus in Shanghai liegt dabei zwar in erster Linie auf Fintech, Medtech oder Design, allerdings sind den unternehmerischen Ideen eigentlich keine Grenzen gesetzt:

Shanghai ©wko

Vor der Küste Shanghais im Ostchinesischen Meer wurde ein 771 km2 großes Areal festgelegt, in dem smarte Schiffe entwickelt und getestet werden können – vor einem Jahr hat in Shanghai das erste iShip angelegt.

Die Tal Education Group, die ihren Hauptsitz zwar in Peking hat, aber eine äußerst erfolgreiche Niederlassung in Shanghai,  hat einen „Magic Mirror“ entwickelt, der künftig in Schulen zum Einsatz kommen soll. Der magische Spiegel ist mit einer Künstlichen-Intelligenz-Komponente ausgestattet und soll die Schüler überwachen bzw. analysieren. An ihrem Verhalten will der Spiegel ableiten können, ob der Schüler/die Schülerin den Unterrichtsinhalt verstanden hat, indem der Gesichtsausdruck analysiert wird.

AI-gesteuertes Kaffeehaus

Und Alibaba hat mit „Tao Cafe“ Selbstbedienungs-Cafes eröffnet. Ein AI-Verkäufer im Geschäft nimmt die Bestellung der Kunden via Spracherkennung auf. Das System erfasst das Verhalten des Kunden im Geschäft, analysiert seine Wegstrecken und seine Route durch den Supermarkt und verwendet die Daten, um das Offline-Einkaufserlebnis zu verbessern. Mit dem Smart Fitting Room hat Alibaba auch eine smarte Umkleidekabine entwickelt, in der die Körperdaten des Kunden in drei bis 5 Sekunden gemessen und ausgewertet werden – auf Basis der Daten werden ihm Kleidungsvorschläge unterbreitet.

Tao Cafe von Alibaba ©alibaba

Datenbusiness wegen mangelndem Datenschutz hoch

„Vor allem in den Bereichen Big Data und Künstliche Intelligenz spiele man hier in Shanghai in einer eigenen Liga“, sagt Schösser. Einer der Gründe, warum Daten- und Datenanalyse-Startups in China gut gedeihen, hat mit dem Fakt zu tun, dass es Datenschutz in China eigentlich nicht, bzw nur theoretisch gibt. Nicht nur der Staat überwacht seine Bürger, auch den großen Unternehmen ist es erlaubt, alle Daten, die von Kunden generiert werden, zu sammeln und auszuwerten.

Sesame Credit: Alibaba bewertet Bürger

Mittlerweile dürften Unternehmen wie WeChat mit seinen mehr als eine Milliarde täglichen Nutzern und Alibaba mit mehr als 800 Millionen Kunden über genauere und auch aktuellere Informationen verfügen, als die chinesischen Behörden. Und das dürften Alibaba & Co. auch wissen, da sie ausländischen Vertretungen bereits angeboten haben, dass diese künftig nicht mehr auf das staatliche Rating setzen, sondern dem Rating von Alibaba vertrauen sollten. Alibaba hat vor drei Jahren Sesame Credit eingeführt. Dabei handelt es sich um ein Bewertungssystem, bei dem die verschiedenen Verhaltensweisen eines Kunden zu einer Bewertung führen.

Bei den Scoring-Systemen, wie sie bei uns seit Jahrzehnten im Einsatz sind, wird nur die Kreditwürdigkeit einer Person errechnet. Beim Sesame Credit werden alle Daten, die ein Kunde im Alibaba-System hinterlässt, berücksichtigt – nicht nur sein Einkaufs-, sondern auch sein soziales Verhalten. Sprich, wie äußert er sich in sozialen Netzwerken, welche (in- oder ausländischen) Produkte gefallen ihm, für welche Äußerungen und Produkte vergibt er ein „like“ etc. „Das System ist freiwillig, aber die Chinesen vertrauen den privaten Anbietern mehr als dem Staat“, so Schösser.

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