E-Mobilität

Der Bullwhip-Effekt: Die Geißel der E-Bike-Szene

Gleam: Paradebeispiel für Bullwhip-Effekt © Gleam
Gleam: Paradebeispiel für Bullwhip-Effekt © Gleam
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Gleich zwei bekannte E-Bike-Jungfirmen hat es kürzlich schwer erwischt. Zuerst ging das niederländische Scale-up VanMoof pleite, dann hat die Wiener Firma Gleam einen Hilferuf ausgesendet, um von einem neuen Investor gerettet zu werden. Beide Firmen waren eigentlich recht erfolgreich. Vor allem VanMoof hatte seit seiner Gründung eigentlich satte 190 Millionen Dollar an Risikokapital angesammelt. Auch Gleam konnte einige bekannte Geldgeber an Land ziehen, darunter WhatAVenture, die Goodshares rund um Impact-Investor Martin Rohla sowie die Familienstiftung von Alexander Schütz. Wieso also ist die Lage heute so schlecht?

Gleam: Aufsehen erregender Hilferuf aus dem sterbenden E-Bike-Startup

Bullwhip-Effekt durch Schwankungen bei Nachfrage

Es gibt verschiedene Gründe für den Absturz von VanMoof und Gleam, beispielsweise haben sich die relativ hohen Preise von VanMoof am Ende als Problem erwiesen. Aber vor allem sind die beiden Fälle gute Beispiele für den sogenannten “Bullwhip-Effekt”. Der Bullwhip-Effekt ist ein Phänomen in der Lieferkette, bei dem die Aufträge an die Lieferanten tendenziell eine größere Schwankung aufweisen als die Verkäufe an Endkund:innen. Dadurch kommt es zu einer starken Nachfrageschwankung im vorgelagerten Bereich.

Das kann potenziell sehr schädliche Auswirkungen auf das Geschäft haben, denn somit gibt es sehr schnell Abweichungen bei den Lagerbeständen. Verschiebungen in der Verbrauchernachfrage wiegen dadurch umso schwerer. Die E-Bike-Branche war mit dem massiven Boom während der Corona-Pandemie praktisch prädestiniert für den Bullwhip-Effekt. Konnten Firmen in den Jahren 2020 und 2021 im Ausnahmezustand kaum mit der gewaltigen Nachfrage mithalten, ist diese mit dem Einkehren eines relativen Normalzustandes zurückgegangen.

VanMoof: Pleite für das „Tesla der E-Bikes“ trotz 190 Mio. Dollar Investments

Gleam startete mitten in E-Bike-Boom

“Wir sind 2020 auf den Markt gekommen, mitten in der Boom-Phase der E-Bike-Branche, aber auch während der Pandemie. Nach meiner ersten Bestellung Anfang 2020 sind die Lieferzeiten bei den Lieferanten von drei Monaten auf 24 Monate gestiegen. Ich musste also schon in den ersten Monaten einen Forecast über die nächsten zwei bis drei Jahre bei den Lieferanten platzieren”, beschreibt Gleam-Gründer Mario Eibl die damalige Goldgräberstimmung.

Wegen der Lieferverzögerungen und der hohen Nachfrage gingen die Bestellungen bei Gleam in die Höhe. Doch die Situation änderte sich schnell, als die Pandemie wieder abflaute. Nicht nur beschleunigten sich die Lieferketten, die Nachfrage nach E-Bikes ging auch wieder zurück. So musste Gleam laut Eibl schon 2022 Waren abnehmen, die eigentlich gar nicht benötigt waren beziehungsweise Bestellungen stornieren und dafür auch noch entsprechende Gebühren zahlen.

woom: Riesige CO2-Emissionen entlang der Lieferketten für Kinderfahrräder

VanMoof gingen die Geldgeber aus

Genau diese Schwankungen bei der Nachfrage, kombiniert mit den stark verzögerten, aber im Endeffekt teilweise überflüssigen Bestellungen, hat den Bullwhip-Effekt bei Gleam ausgelöst. Ende 2022 kam es deshalb zur Katastrophe: Das gesamte Working Capital reichte nicht mehr aus, um die jüngste Rate bei der Bank zu bezahlen. Diese hat darum sämtliche Kreditraten bis 2026 für fällig erklärt. Für Gleam bedeutete das das Aus, nun ist die Jungfirma in die Sanierungsphase gegangen.

Bei VanMoof zeigt sich eine ähnliche Situation: Die Lieferketten wurden auch hier auf die während der Pandemie gestiegene Nachfrage angepasst und die Läger waren gut gefüllt. Doch dann ist die Nachfrage zurückgegangen, das große Angebot stößt auf einen immer mehr gesättigten Markt, was wiederum zu sinkenden Preisen führt. Ein weiteres Problem waren auch die proprietären Bauteile. Soll heißen, VanMoof hat beim Bau seiner Fahrräder auf Standardkomponenten verzichtet – ein sehr gängiger Aspekt bei der Herstellung von Fahrrädern im Allgemeinen – und stattdessen mit Zulieferern zusammengearbeitet, um individuelle Komponenten herzustellen. Kund:innen hatten hier den Nachteil, dass sie die Teile meist nicht selbst austauschen konnten.

Auch ausschlaggebend für die VanMoof-Pleite war die Tatsache, dass das Unternehmen keine neuen Geldgeber mehr finden konnte. Generell ist der Markt für Startup-Investments, speziell wenn es um Hardware und große Folgefinanzierungen geht, stark ausgetrocknet. Es bleibt zu hoffen, dass Gleam bei der Suche nach rettenden Investor:innen kein ähnliches Schicksal bevorsteht.

Insolvenzen stehen im ersten Quartal 2022 auf Vorkrisenniveau

Pandemie mehr Fluch als Segen

Der Bullwhip-Effekt in der E-Bike-Branche ist also indirekt zu einem signifikanten Teil der Corona-Pandemie geschuldet. Schien der gewaltige E-Bike-Boom 2020 noch wie ein Segen, hat er sich aufgrund seiner Kurzfristigkeit auf lange Sicht für viele Firmen als Fluch herausgestellt. Eine neue Studie von März hat gezeigt, dass die Zahl der Firmeninsolvenzen, die in der Corona-Zeit relativ niedrig war, 2022 wieder das Vorkrisenniveau erreicht hat. Vor allem das Ausfallen der staatlichen Hilfen hat vielen Firmen das Genick gebrochen.

Doch auch der Bullwhip-Effekt war bei vielen Branchen – auch außerhalb der Mobilität – mit hoher Wahrscheinlichkeit ein entscheidender Faktor. Hier zeigt sich, wie gefährlich es für Unternehmen sein kann, sich auf einen Boom zu verlassen. Wenn dieser nur kurzfristig anhält, kann ein starker Rückschlag entstehen, den vor allem Jungfirmen oft nicht einstecken können. So ist es bei VanMoof passiert und so könnte es auch für Gleam kommen.

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