Medienstrategien

Der FANG-Effekt: Wie Washington Post, New York Times, BuzzFeed und Vice aufs Silicon Valley reagieren

Nein, nicht die aus dem Norden von Westeros. © Facebook, Amazon, Netflix, Google
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Die Börsianer an der Wall Street sprechen von FANG-Stocks, wenn sie über die Aktienkurse der vier börsennotierten IT-Riesen Facebook, Amazon, Netflix und Google fachsimpeln. In Medienhäusern wird mittlerweile auch oft über den FANG-Effekt diskutiert – allerdings weniger über die Entwicklung der Aktien, sondern vielmehr über die Herausforderungen, vor welche die großen Vier die Publi­sher stellen. Da geht es nicht mehr nur um das Ringen um Werbedollar, sondern auch um neue Wege der Distribution und um Konkurrenz bei der Contentproduktion.

Führende Medienhäuser in den USA, in denen das Printsterben schon vor Jahren eingesetzt hat, stellen in dieser Situation auf Geschäftsmodelle um, die in den Führungs­etagen vor einigen Jahren sofort wieder verworfen worden wären. HORIZONT hat mit Vertretern von Washington Post, New York Times, BuzzFeed und Vice darüber gesprochen, wie sie durch den digitalen Tsunami manövrieren.

Ein Superhirn antwortet

Einen der außergewöhnlichsten Schritte in Sachen digitales Zukunftsgeschäft setzt derzeit die Washington Post: Sie entwickelt eine Art künstliche Intelligenz, die in Anlehnung an James Bonds Hightech-Wunderwuzzi auf den Namen „Q“ hört. Die Idee ist folgende: Weil immer mehr Nutzer die Inhalte des Onlinemediums über verschiedene Kanäle (Social Media, Messaging-Apps et cetera.) beziehen, sollen sie dort auch Fragen stellen können und in Echtzeit eine Antwort geliefert bekommen. Chatbots, also Software, die an Datenbanken und Künstliche Intelligenzen angeschlossen ist, sollen etwa im Facebook Messenger diese Arbeit verrichten.

„Wir wollen nicht 20 verschiedene Bots für die verschiedenen Messaging-Apps da draußen bauen, sondern ein großes Gehirn dahinter“, sagt Joey Marburger, Director of Product bei der Washington Post. Er hat dafür gesorgt, dass das von Amazon-Chef Jeff Bezos 2013 um 250 Millionen US-Dollar gekaufte Medium im Netz innerhalb von nur sechszehn Monaten den Erzrivalen New York Times überholen konnte. Q sei derzeit noch nicht wirklich intelligent, könne aber bereits Artikel automatisch zusammenfassen und einfache Fragen beantworten. „Die AI (Artificial Intelligence, Anm.) soll keine Reporter ersetzen, aber sie soll kleine Tätigkeiten wie Sportereignisse oder Wahlergebnisse übernehmen, damit sich die Journalisten auf andere Dinge konzentrieren können“, sagt Marburger. Läuft alles nach Plan, könnte man Q etwa in einem Chat mit einem Freund zu Rate ziehen, was Donald Trump zu einem Thema gesagt hat, und Q könnte dann die passende Information aus dem Archiv der Washington Post bereitstellen.

Joey Marburger, Director of Product, Washington Post. © Fifteen Seconds
Joey Marburger, Director of Product, Washington Post. © Fifteen Seconds

Geschäft sei damit auch zu machen, ist Marburger überzeugt. „Wenn wir Q richtig hinbekommen, könnte das in Zukunft ein echtes Geschäftsmodell werden. Digitalwerbung und Paid Content, seien wir uns ehrlich, wird ein Medienhaus nie finanzieren können. Wir sehen das als Langzeitprojekt, das könnte sich wirklich zu einem 50- bis 100-Millionen-Dollar-Business entwickeln“, sagt Marburger. Dazu muss man wissen: Seit der Bezos-Übernahme dreht die Washington Post ihr Geschäftsmodell immer mehr Richtung B2B-Software. Die hauseigene Publishing-Plattform Arc hat man bis dato an rund 20 andere Unternehmen lizenziert, und künftig könnte Q kostenpflichtiger Bestandteil davon werden.

Weg von Native Ads zu Paid Content und wieder zurück

Eine ordentliche Kehrtwende hat auch Melissa Rosenthal, bis vor kurzem Chefin der Native-Advertising-Abteilung des Aufsteigers BuzzFeed hingelegt. Hat sie bis dato gesponserte Inhalte für Werbekunden produziert, setzt sie mit einem neuen Medien-Start-up jetzt voll auf Paid Content. Gemeinsam mit Ex-BuzzFeed-Präsident Jon Steinberg betreibt sie cheddar.com – eine teilweise kostenpflichtige Webseite, auf der Nutzer für Videos zu jung aufbereiteten Finanzthemen zahlen. „Ich war sechs Jahre in dem Spiel und weiß, wie hart es ist, gegen Facebook und Google um Werbebudgets zu kämpfen. In diesem Business will ich nicht mehr sein“, sagt Rosenthal. „Der Teil des Kuchens, der für Publisher überbleibt, wird immer kleiner. Deswegen glaube ich auch fest daran, dass Abos die Zukunft sind.“

Melissa Rosenthal, Senior Vice President, cheddar.com. © Fifteen Seconds
Melissa Rosenthal, Senior Vice President, cheddar.com. © Fifteen Seconds

Bei cheddar.com zahlen Nutzer sieben US-Dollar pro Monat für vollen Zugang. Facebook nutzen die beiden Ex-BuzzFeed-Macher, um die junge Marke bekannt zu machen. „Viele Medien experimentieren derzeit mit Facebook-Livevideos, aber wir sind die derzeit einzigen, die damit eine Liveshow machen“, sagt Rosenthal. Die Livevideos, die bis zu 120.000 Seher haben, sind der Köder für potenzielle Abonnenten. „Wir setzen darauf, dass Leute ein Abo abschließen, weil sie die Informationen für ihre Arbeit brauchen“, so Rosenthal weiter.

Wo sie herkommt, ist Kaylee King-Balentine hingegangen. Sie leitet das T Brand Studio der New York Times, also die Native-Advertising-Abteilung der renommierten Zeitung. Dass die New York Times mit immerhin mehr als 1,3 Millionen Digital-Only-Abonnenten, auf die von Werbern bezahlten Artikel und Videos setzt, die den Eindruck journalistischer Inhalte erwecken, war eine kontroverse Entscheidung, doch die Nachfrage am Markt sei eben groß.
„Es waren zwei Dinge besonders wichtig: Die bezahlten Beiträge für die Leser ordentlich zu kennzeichnen, und das Team mit guten Storytellern auszustatten. Wir wollen ja nicht einfach nur Marketingbotschaften verbreiten, sondern gute Geschichten erzählen“, sagt King-Balentine. „Das Ziel ist, die Story so gut zu machen, dass die Leute die Geschichte teilen und ihnen egal ist, dass sie von einem Werber bezahlt wurde.“ Ob Native Advertising einmal mehr Geld einbringen könnte als das traditionelle Werbegeschäft, traut sie sich aber nicht sagen.

Ihr Kollege Sebastian Tomich, Senior Vice President Advertising & Innovation bei der New York Times, wird da schon deutlicher. „Native Ads sind nur eine von vielen anderen Einnahmequellen, auf die wir setzen“, sagt er. „Kein Medium kann alleine mit Werbung überleben.“ Das renommierte Medienhaus, dessen Einnahmen bei Print- als auch Digitalwerbung zuletzt sanken, diversifiziert seine Einnahmequellen deswegen weiter. Im Laufe des Sommer 2016 wird man in Kooperation mit dem Start-up Chef’d als Onlineverkäufer für Lebensmittel auftreten und US-Kunden alle Zutaten für passende Rezepte an die Haustüre zustellen. Das Potenzial scheint groß: Die Unterseite NYT Cooking hat monatlich sieben Millionen Leser.

Kaylee King-Balentine, Director, T Brand Studio International. © Fifteen Seconds
Kaylee King-Balentine, Director, T Brand Studio International. © Fifteen Seconds

Boomendes Videogeschäft

Ein anderes US-Medium, das sich mit dem Werbegeschäft allein nicht zufriedenstellt, ist Vice. „Nicht TV an sich ist kaputt, sondern die Inhalte dort“, sagt Mark Adams, Senior Vice President bei Vice Media. Das Medien­unternehmen, in das Disney und 21st Century Fox investierten, setzt immer stärker auf den Verkauf seiner für eine junge Zielgruppe angepassten Videoinhalte. So hat man etwa mit dem Pay-TV-Sender HBO einen millionenschweren Deal abgeschlossen und wird für die Abonnenten des Streaming-Dienstes HBO Now bis 2017 eine tägliche News-Show produzieren. Das macht Vice immer mehr zum Konkurrenten von Netflix, das seine Milliarden nicht mehr nur für fiktionale Filme und Serien ausgibt, sondern auch für Dokumentationen.

Apropos Video: Auch deutschsprachige Medien (in diesem Fall Bild und Welt) spüren derzeit, dass sie ihre ­Videoinhalte verkaufen können. Facebook zahlte bis dato rund 50 Millionen US-Dollar an Medienhäuser aus, die Livevideos streamen.

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