Des einen Müll, des anderen Diesel: Wien forscht an grünem Treibstoff
Die Anlage ist beeindruckend, und dennoch nur für Forschungszwecke gedacht: Am Gelände der Müllverbrennungsanlage Simmeringer Haide in Wien eröffnete aktuell nach einem Jahr Bauzeit diese imposante Einrichtung. Es ist die weltweit erste Forschungsanlage dieser Art im industrienahen Maßstab, versichern die Partner:innen, die hinter der Anlage stehen. Wenn alles gut läuft, hilft sie in einigen Jahren grünen, synthetischen Treibstoff im großen Stil herzustellen. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg.
Leuchtturmprojekt in Sachen „synthetischer Treibstoff“
Aber – alles der Reihe nach. Die nun eröffnete Anlage mit einer Leistung von einem Megawatt ist sozusagen die jüngere, aber deutlich größere Schwester eines Projekts der TU Wien. Sie soll die Lücke zwischen Laborbetrieb und kommerziellen Betrieb schließen. Ziel der Anlage: Aus Abfällen und Reststoffen – etwa Holzabfälle, Klärschlamm oder Abfall aus der Papierindustrie – Synthesegas herzustellen und dieses wiederum zu grünem Treibstoff umzuwandeln.
Dieses „Leuchtturmprojekt“ in Sachen synthetische Treibstoffe hat laut Wien-Energie-Geschäftsführer Karl Gruber großes Potential: „Wir machen hier aus Abfällen und Reststoffen grüne Treibstoffe und vergleichbare Industrierohstoffe und treiben damit den Klimaschutz in der Stadt voran. Die hier eingesetzte Technologie ist vielversprechend: Künftig könnte eine solche Anlage im Industriemaßstab bis zu 10 Millionen Liter grünen Treibstoff pro Jahr erzeugen und damit bis zu 30.000 Tonnen fossiles CO2 einsparen.“
Aufspalten und zusammensetzen
Das ist allerdings noch Zukunftsmusik, bremst Projektleiter Philipp Krobath beim Pressebesuch etwas ab. Die Anlage auf der Simmeringer Haide sei zuallererst eine Forschungsanlage, die prüfe, ob und wie solche Anwendungen am besten skaliert werden können. Zunächst gelte es, den Prozess zu stabilisieren und geeignete Katalysatoren zu finden. Dabei laufen in der Anlage zwei grundlegende physikalische Prozesse ab. Zum einen ist das die Vergasung, oder genauer: die Doppelwirbelschicht-Dampfvergasung. Zum anderen ist das die sogenannte Fischer-Tropsch-Synthese.
Erdöl sowie Erdgas sind zwar meist komplexe Stoffgemische, bestehen aber hauptsächlich aus zwei Elementen: Kohlenstoff und Wasserstoff. Chemisch sind biogene Abfälle wie Holz, Klärschlamm, aber auch Plastik gar nicht so weit entfernt. Auch sie bestehen zum größten Teil aus Kohlenstoff, Sauerstoff und Wasserstoff. Bei der Vergasung werden die atomaren Verbindungen bei Temperaturen um die 850 Grad Celsius aufgelöst, es entsteht sogenanntes synthetisches Gas, erklährt Krobath. Dieses besteht hauptsächlich aus Wasserstoff (ca. 40 Prozent) und Kohlenmonoxid (ca. 20 Prozent), aber auch aus anderen Gasen wie Methan oder Methanol.
Gasreinigung als wichtiger Punkt
Nun gilt es die Gase voneinander zu trennen. „Der Hauptschwerpunkt ist die Gasreinigung“, erklärt Krobath. Abgeschiedenes Methan könne etwa direkt ins heimische Gasnetz gespeist werden, Methanol braucht man in der chemischen Industrie, etwa als Lösungsmittel für Farbstoffe und Lacke. Wasserstoff ist zwar als Erdgasersatz interessant, zusammen mit Kohlenmonoxid lässt sich daraus aber auch wieder synthetisches Rohöl herstellen. Damit diese Fischer-Tropsch-Synthese abläuft, werden Temperaturen zwischen 200 und 350 Grad, hohe Drücke und Katalysatoren auf Cobalt- und Eisenbasis benötigt.
Aus dem so entstandenen Öl lassen sich wiederum Bio-Fuels wie Kerosin oder Diesel herstellen. „Unser Ziel ist es, ein Barrel Rohöl pro Tag herzustellen“, verrät Krobath. Dazu müssen etwa 250 Kilo Holzabfälle vergast werden – pro Stunde. Diese werden momentan noch zugekauft. Die 160 Liter Rohöl werden dann von der OMV weiterverarbeitet, daraus entstehen etwa 60 bis 70 Liter Diesel. Im nächsten Jänner soll damit ein Bus der Wiener Linien betrieben werden.
Input und Output der Anlage „extrem flexibel“
Die Gesamteffizienz der Anlage liegt laut Krobath bei rund 50 Prozent, mit Abwärmenutzung könnte sie auf etwa 75 Prozent gesteigert werden. „Unser großer Vorteil ist, dass wir sowohl beim Input als auch beim Output extrem flexibel sind“, so Krobath. Die Anlage läuft mit Holzabfällen, biogene Abfälle oder Klärschlamm. Aus Plastikabfällen ließen sich außerdem wieder Kunststoffgrundstoffe herstellen, die dann erneut zu Kunststoffen weiterverarbeitet werden können. Auch preislich sei das ein Vorteil: „Holz ist zur Herstellung von Synthesegas sehr teuer, Abfall ist da deutlich billiger“, so Krobath. Dennoch ist synthetisch gewonnener Diesel preislich deutlich teurer als Diesel aus herkömmlichen Erdöl. In industriellen Anlagen könnten Preise von 1,4 bis 2,2 Euro pro Liter realistisch sein – vor Steuern. Damit wäre man immer noch deutlich teurer wie fossiler Diesel – bisher.
Für einen kommerziellen Einsatz müsste die Anlage jedoch rund 30 Mal größer sein, als sie es jetzt ist, so Krobath. Bis es so weit ist, dürften einige Jahre ins Land ziehen – zehn bis zwölf, schätzt er. Durch die Flexibilität der Anlage müssen die Projekt-Partner:innen jedoch nicht alles auf eine Karte setzen. Während die Wiener Linien auf die synthetischen Kraftstoffe schielen, können die Wiener Netze das entstehende Methan nutzen.
Daneben ist aber unter anderem auch die SMS Group in dem Projekt investiert. Der Anlagenlieferant für die Metall-Industrie ist besonders an der Wasserstoffkomponente interessiert. So ist für alle etwas dabei. Das wäre auch ganz gut, bei einem Blick auf die Kosten des Projektes: 6,5 Millionen Euro kostete der Bau der Anlage, das Projekt insgesamt 8,8 Millionen Euro, so die offiziellen Angaben dazu.