Gastbeitrag

Thomas Schranz, Gründer von Blossom: „Brauchen breit ausgebildete Gesellschaft statt Fachidioten“

Thomas Schranz, Gründer von Blossom. © Teresa Hammerl
Thomas Schranz, Gründer von Blossom. © Teresa Hammerl
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Die Bundesregierung will im Rahmen der „Digital Roadmap“ Österreich zum Innovations-Leader in Europa machen und die Digitalisierung nutzen, um den Wirtschaftsstandort zu stärken. Im Rahmen einer Online-Diskussion sind alle Bürger bis heute, 31. März (die Frist wurde verlängert) gefragt, sich mit ihren Vorschlägen einzubringen. Vertreter der österreichischen Start-up-Szene und mit Neugründungen befassten Experten veröffentlichen hier ihre Ideen – zum Abschluß der Serie auf TrendingTopics.at ist Thomas Schranz, Mitgründer von Blossom, an der Reihe:

Erst kürzlich wurde der Süd-Koreaner Lee Sedol, eine Legende im populären Brettspiel “Go”, von Deepmind besiegt. Deepmind ist ein künstliches neuronales Netzwerk von Google.

Was bedeutet das?

Software übernimmt mittlerweile Tätigkeiten, die weit über simple Automation hinausgehen. Ein weiteres populäres Beispiel sind Autos, die sich selbst besser fahren können als Menschen, die über viele Jahre dafür speziell ausgebildet wurden.

Es zeichnet sich ab, dass viele Jobs, die derzeit von Menschen ausgeführt werden, bald von Software übernommen wird. Diesen Trend gibt es zwar schon länger, aber wir haben einen Wendepunkt erreicht.

Das klingt alles etwas surreal.

Die Zukunft ist schwer vorzustellen, aber ein Blick in die Vergangenheit kann helfen.

Wenn wir nur wenige Jahre bis zur Jahrtausendwende zurückspulen, gab es weder Wikipedia (2001), Firefox (2002), Facebook (2004), YouTube (2005), Google Maps (2005), Twitter (2006), Smartphones (iPhone: 2007), Google Chrome (2008) oder Whatsapp (2010).

Es hat sich einiges getan. Ähnlich wird es die nächsten Jahre weitergehen. Um einiges schneller und mit gravierenderen Auswirkungen. Was bisher nur langsam angerollt ist bekommt Momentum.

Wohin geht die Reise?

Ganze Wirtschaftszweige werden über Nacht ihre Bedeutung verlieren. Konzerne und Job-Konzepte von unzähligen Menschen werden in kürzester Zeit irrelevant werden. Weltweit. Ja, auch in Österreich. Es ist denkbar, dass Arbeitslosigkeit und Unsicherheit in Dimensionen auf uns zukommen, die heute kaum jemand von uns begreifen kann.

Szenarien in denen öffentliche Förderungen und zeitliche Handlungsspielräume der Politik so wenig Wirkungsgrad haben wie ein Tropfen der schon verdampft ist bevor er den heissen Stein berühren kann.

Das klingt alles ein wenig dramatisch.

So wie die Industrielle Revolution langfristig höhere Lebensstandards gebracht hat, war der Umbruch gleichzeitig besonders schmerzhaft für viele Menschen, die unvorbereitet und vor allem ohne Hilfsmöglichkeit überrascht wurden. Die Industrielle Revolution hat sich im Vergleich zu dem, was gerade passiert, viel langsamer angebahnt.

Puh. It’s complicated.

Die gute Nachricht ist: Es ist möglich, ziemlich gut in diese neue Welt überzugehen. Wir haben bessere Voraussetzungen als viele andere Länder. Trotzdem sind ambitionierte Schritte notwendig. Wir müssen nur aus der Vergangenheit lernen.

Was tun?

Es geht darum, diesen Umbruch systematisch abzufedern und uns neu auzurichten, anstatt daran zu zerbrechen. Wir müssen Österreich (und somit die gesamte Bevölkerung) in eine moderne und mündige “Knowledge-work”- bzw “Innovations”-Gesellschaft umwandeln. In eine Gesellschaft, die ideal in diese neue Welt passt. Diese Umwandlung  muss innerhalb von ein paar Jahren (!) abgeschlossen sein.

How?

Es gibt viele Baustellen, die in der Digital Roadmap angesprochen werden. Wenn ich nur einen Schwerpunkt festlegen könnte wäre es folgender: alle werden “knowledge worker”.

Polymaths, Polymaths everywhere.

Anders als bisher wird es in Zukunft keine ‘klaren’ Berufsbilder mehr geben. Das einzige das ‘sicher’ ist: Berufsbilder die nicht als “knowledge-work” zu verstehen sind brechen weg. Das bedeutet auch eine Wende von spezialisierter Ausbildung hin zu “Renaissance Menschen / Polymaths”.

Wir brauchen ein (Aus-, Fort-, Um-)Bildungskonzept, das inhaltlich interdisziplinär und universal ist.

Was meine ich damit? Ein Angebot von Kindergarten bis Universität und darüber hinaus (“Lifelong learning”), das jeder Person offen steht (Stichwort AMS). Hochqualitativ, effektiv und effizient. Es muss dafür gedacht sein, Menschen in Ausbildung anstatt in Arbeitslosigkeit übergehen zu lassen (notwendiger Abbau von öffentlicher Verwaltung und Wegfall von Industriezweigen mit vielen tausenden Arbeitsplätzen).

Ok. Was heißt das konkret?

Damit das Angebot eine Chance hat, die Gesellschaft in den nächsten Jahren nachhaltig zu transformieren, braucht es aus meiner Sicht ein paar Zutaten:

  • Wissenschaftliches Arbeiten: Wir müssen davon ausgehen, dass es immer wichtiger wird sich um- und weiter-zubilden. Auf neue Situationen einzustellen. Hier hilft Fokus auf Methodik und Anwendung genau dieser Skills. Die “Schule” muss nicht mehr die Quelle des Wissens sein und kann sich verstärkt auf die Vermittlung nachhaltigerer Fähigkeiten konzentrieren.
  • STEM & the humanities: Wir brauchen weniger Silo-Wissen. Interdisziplinäre Ausbildung sollte Standard sein. Hier gilt es, MINT-Grundlagen und „intellectual honesty“ geschickt in alle Themengebiete zu vermengen und greifbar zu machen. Wir brauchen eine breit ausgebildete empathische Gesellschaft. Keine Fachidiotie.
  • Informatik als Handwerk: Auch wenn ich die Wichtigkeit von Informatik (Information + Mathematik) schon erwähnt habe möchte ich die Dringlichkeit hier besonders herausstreichen. Der oben beschriebene Umbruch hat seine Wurzel in der Informatik. Hier gilt es ambitioniert aufzuholen. Informatik muss zum Handwerk für die gesamte Bevölkerung werden anstatt wie derzeit für einen Bruchteil.
  • Sprachen: “Knowledge work” ist nicht nur inherent interdisziplinär sondern auch inherent global. Jede Barriere hier trübt den Wirkungsgrad. In einer Welt die sowohl vernetzter als auch schneller wird ist es essentiell mit-”sprechen” und mit-”gestalten” (siehe Informatik als Handwerk) zu können. Input/Output. Für alle. Länder (und im Detail: Menschen), die so (wenig) multilingual sind wie Österreich heute, werden es schwer haben. Egal ob es um wissenschaftliche Publikationen geht, um die neueste Serie auf Netflix oder etwa um neue Funktionalität von Apps wie WeChat. Sprach-Fertigkeiten (v)erschließen, was für uns möglich ist. Zum Nachdenken: Weniger als 3 Prozent der Weltbevölkerung sprechen Deutsch. Nur etwa die Hälfte davon haben Deutsch als Muttersprache. Ein paar Sprachen die weltweit oft gesprochen werden: Chinesisch, Englisch, Spanisch, Arabisch, Russisch und Hindi.
  • Zugang: Um die gesamte (!) Gesellschaft auf ein Bildungsniveau und Bildungsprofil heben wie oben beschrieben, muss Zugang zu diesem Angebot Teil des Konzepts sein. Zugang ist essentiell. Menschen müssen es sich wortwörtlich leisten können diese (Aus-, Fort-, Um-)Bildungsmassnahmen in Anspruch zu nehmen um langfristig in sich, ihre Kinder und die gesamte Gesellschaft investieren zu können. Hier geht es um soziale Absicherung und um die Vermeidung von Bürokratie (Stichwort: Bedingungsloses Grundeinkommen).
  • Öffentlichkeitsarbeit: Damit diese Transition nicht erst in Gang kommt wenn die Stunde schlägt wird es notwendig sein mehr als sonst in Öffentlichkeitsarbeit zu investieren die auf Verständnis in der Bevölkerung trifft.

Fazit.

Eine Gesellschaft die nur verwerten kann und nicht erzeugen, wird es schwer haben, international nicht den Anschluss zu verlieren. Das Exportprodukt der Zukunft ist eine Dienstleistung und diese heißt “knowledge work”.

Die Challenge ist der gesamten Bevölkerung zu ermöglichen diese Umstellung zu schaffen. Das wird schwierig aber daran zu scheitern ist keine Option die wir haben.

Klingt dramatisch. Ist es auch. Gleichzeitig tut sich hier eine unglaubliche Möglichkeit auf innerhalb kürzester Zeit weltführend zu werden. Die Ambition und Umsetzung macht den Unterschied. Unternehmertum. Mündige Bevölkerung. Empathie. Langfristiges Denken. Alles Dinge, die auf ein Substrat angewiesen sind. Das Substrat ist Bildung. Bildung ist eine Investition in die Zukunft.

Alle weiteren Gastbeiträge zur Digital Roadmap finden sich hier.

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