Digitalisierung des Geruchssinns einen Schritt näher gekommen
Ein Team von Wissenschaftler:innen aus Philadelphia wollte herausfinden, inwiefern Chemikalien in der Luft mit der Geruchswahrnehmung von Menschen zusammenhängen. Dabei hat es allerdings nicht ein Mensch, sondern ein maschinelles Lernmodell geschafft, in Worten zu beschreiben, wie Chemikalien riechen – und das erschreckend detailliert.
Verständnis dafür zu verbessern, wie Gehirn und unsere Nase zusammenarbeiten
In den Neurowissenschaften ist es von zentraler Bedeutung, zu verstehen, wie unsere Sinne unterschiedliche Informationen aus der Umwelt aufnehmen und in wahrnehmbare Eindrücke umwandeln. Dazu gehören die Transformation von Licht in visuelle Wahrnehmungen durch die Augen, die Umwandlung von Geräuschen in das Hören durch die Ohren und die Verwandlung von Nahrung in Geschmackserlebnisse durch die Geschmacksnerven. Ebenso spielt die Frage eine wichtige Rolle, wie die Haut Texturen und Berührungen wahrnimmt. Als besonders anspruchsvoll gilt jedoch die Umwandlung von Duftstoffen in Geruchsempfindungen. Diese Herausforderung beschäftigt Forschende schon seit langer Zeit intensiv.
„In der Geruchsforschung ist die Frage, welche physikalischen Eigenschaften dafür sorgen, dass ein in der Luft befindliches Molekül so riecht, wie es im Gehirn wirkt, schon lange ein Rätsel. Wenn ein Computer den Zusammenhang zwischen der Form von Molekülen und der letztendlichen Wahrnehmung ihrer Gerüche allerdings endlich erkennen könnte, wären Wissenschaftler:innen in der Lage dieses Wissen nutzen, um das Verständnis dafür zu verbessern, wie unser Gehirn und unsere Nase zusammenarbeiten“ erklärt Joel Mainland, Co-Autor der Studie aus Philadelphia.
Lernmodell konnte Geruch von Chemikalien in Worten beschreiben
Ein Forschungsteam, bestehend aus dem Monell Chemical Senses Center und dem Startup Osmo, das aus Google Research und Google DeepMind hervorgegangen ist, wollte dieser Sache auf der Grund gehen und untersuchen, wie in der Luft schwebende Chemikalien mit der Geruchswahrnehmung im Gehirn in Zusammenhang stehen. Unter der Leitung von Osmo-CEO Alex Wiltschko entwickelte das Forschungsteam ein maschinelles Lernmodell, das verstehen konnte, wie man Geruchsbeschreibungen mit den zugrunde liegenden chemischen Strukturen verknüpft. Der Bericht ist Anfang September im Science-Magazine erschienen.
Um das Modell zu trainieren, verwendete das Team eine große Datensammlung aus der Branche. Diese Datensammlung enthielt Informationen über die molekularen Strukturen und Geruchseigenschaften von etwa 5.000 bekannten Duftstoffen. Das Modell erhielt die molekulare Struktur eines Stoffs als Eingabe und lieferte als Ausgabe Vorhersagen darüber, welche Wörter am besten geeignet sind, um seinen Geruch zu beschreiben. Während der Versuche stellte sich also heraus, dass das maschinelle Lernmodell tatsächlich in der Lage war, den Geruch von Chemikalien in menschenähnliche sprachliche Beschreibungen zu übersetzen.
Menschliche Nasen in der Beschreibung von Gerüchen übertroffen
Bei einem Vergleich zwischen der Leistung des entwickelten Modells und der Leistung individueller Testteilnehmer:innen stellte sich außerdem heraus, dass das Modell bessere Vorhersagen über die durchschnittlichen Geruchsbewertungen der Testgruppe machte als jede:r einzelne Teilnehmer:in, abgesehen von den Fällen, in denen Verunreinigungen im Spiel waren. Besonders bemerkenswert war, dass das Modell bei 53 % der getesteten Moleküle eine bessere Leistung erzielte als der oder die durchschnittliche Testteilnehmer:in.
Ein überraschendes Ergebnis war, dass das Modell auch bei Aufgaben erfolgreich war, für die es nicht speziell trainiert wurde. Zum Beispiel konnte es die Geruchsstärke präzise vorhersagen, obwohl es nie darauf konditioniert wurde. Das Modell identifizierte sogar strukturell unterschiedliche Moleküle mit überraschend ähnlichen Gerüchen und charakterisierte eine breite Palette von Geruchseigenschaften für Hunderttausende potenzieller Duftmoleküle.
Die Forscher:innen hoffen, dass diese Entwicklung eine nützliche Ressource für die Bereiche Chemie, olfaktorische Neurowissenschaften und Psychophysik darstellen wird, um die Grundlagen der Geruchswahrnehmung weiter zu erforschen.
Bisher nur Sehen und Hören digitalisierbar
Das entwickelte Modell hat eine Karte erstellt, auf der ähnlich riechende Gerüche gruppiert sind, wie zum Beispiel Blumensüßigkeiten und Bonbonsüßigkeiten. Das sei tatsächlich als eine bahnbrechende Erkenntnis zu bewerten. Computer waren bisher in der Lage, Sehen und Hören zu digitalisieren, jedoch nicht den Geruchssinn. Die Studie schlägt somit eine neue Methode vor, bei der Daten genutzt werden, um den menschlichen Geruchssinn zu kartieren und gleichzeitig die chemische Struktur mit der wahrgenommenen Geruchsqualität zu verknüpfen.
Modell “schließt uralte Lücken” und könnte in Zukunft neue Düfte identifizieren
„Das Modell schließt uralte Lücken im wissenschaftlichen Verständnis des Geruchssinns. Diese Zusammenarbeit bringt die Welt näher an die Digitalisierung von Gerüchen heran, die aufgezeichnet und reproduziert werden sollen. Es könnte auch neue Gerüche für die Duft- und Geschmacksindustrie identifizieren, die nicht nur die Abhängigkeit von gefährdeten Pflanzen aus natürlichen Quellen verringern könnten, sondern auch neue funktionelle Düfte für Anwendungen wie Mückenschutz oder die Maskierung übler Gerüche identifizieren könnten“, sagte der leitende Co-Autor Joel Mainland abschließend zu den Ergebnissen.
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