Diskussion um Net-Zero Industry: „First Mover schießen sich selbst ins Knie“
Am 16. März 2023 stellte die Europäische Kommission den Vorschlag für den Net-Zero Industry Act (NZIA) vor. Das Gesetz zielt darauf ab, die Produktion von sauberen Technologien in der EU zu erhöhen, insbesondere solcher, die die Energiewende vorantreiben und kaum oder keine Treibhausgasemissionen verursachen. Durch den NZIA sollen Investitionen gefördert und günstige Rahmenbedingungen für den Cleantech-Markt in Europa geschaffen werden.
Bis zum Jahr 2030 soll die EU damit mindestens 40 % ihres jährlichen Bedarfs an sauberen Technologien innerhalb Europas abdecken können. Dadurch sollen gleichzeitig die Klima- und Energieziele der EU für das Jahr 2030 und das übergeordnete Ziel der Klimaneutralität bis 2050 erreichbar gemacht werden. Dieser Vorschlag will das Engagement Europas unterstreichen, eine führende Rolle beim Übergang zur Netto-Null-Technologie zu spielen.
Wie österreichische Unternehmen die tatsächliche Umsetzbarkeit dieses Vorhabens einschätzen, beredeten Helmut Kaufmann, COO von AMAG und Christina Maria Huber, Head of Sustainability bei neoom beim Salzburg Summit 2023 in einer von Rainer Nowak moderierten Diskussionsrunde.
Mangelnde strukturelle Rahmenbedingungen für Net-Zero Industry
Die Firma neoom hat sich auf die Herstellung von Produkten rund um Solarspeicherkraftwerke spezialisiert. Das Unternehmen stellt Komplettlösungen, die aus Hardware, Software und digitalen Dienstleistungen bereit. Diese Lösungen sollen es Kund:innen, ermöglichen kostengünstig Strom aus Sonnenenergie vor Ort zu erzeugen und zu speichern. Darüber hinaus bietet neoom die Möglichkeit, die gewonnene Energie ertragreich untereinander zu teilen bzw. zu handeln.
Laut Christina Maria Huber, Head of Sustainablilty bei neoom, würde einer zeitplangemäßen Erreichung der Net-Zero Industry noch vieles im Wege stehen. So gibt sie unter anderem den mangelnden strukturellen Rahmenbedingungen die Schuld.
“Bei neoom arbeiten wir an der Energiewende im Stromsektor. Wir reden von PV und Hardwaresystemen. Das Ganze muss man natürlich digital vernetzen mit einem Energiemanagement. Wir versuchen eigentlich die ganze Möglichkeiten, die sich aus der Energiewende ergeben zu nutzen und Services daraus zu machen, dass sowohl Private als auch Industrieproduzenten den größten Nutzen daraus ziehen. Wir reden da von Kosteneinsparungen und Businessmodellen, die man darauf aufsetzen kann. Die strukturellen Rahmenbedingungen im Bereich der Elektrifizierung sind aber teilweise nicht gegeben – zum Beispiel, dass man so viel Strom aus dem Netz beziehen kann, wie man bräuchte“, so Huber.
„Politik sollte Privatwirtschaft mit Commitment den Rücken stärken“
Sie fügt hinzu: ”Ich sehe bei der Politik das große Thema, dass wir die notwendige Planbarkeit nicht haben. Es gibt nur Verzögerungspolitik. Dabei wissen wir, wir haben das Ziel, 2050 in der EU klimaneutral zu sein, in Österreich sogar 2040. Das Schöne an dem Ganzen ist zwar, dass sich dabei sehr viele Möglichkeiten für neue Unternehmen ergeben, aber auch für bestehende Unternehmen, um gewisse Positionen einzunehmen. Durch die Politik haben wir jedoch nur einen Mangel an Planbarkeit. Sie müsste der Privatwirtschaft den Rücken stärken und das mit einem klaren Commitment. In Österreich würde das mit einem Klimaschutzgesetz funktionieren, das wir aber seit über 800 Tagen nicht haben!“
Jedoch findet Huber auch Worte der Zuversicht: „Zu spät ist es trotzdem nicht – das sagt auch die Wissenschaft. Es gibt ja einen Plan. Zuerst muss aber die Energiewende umgesetzt werden. Zwei Drittel der Emissionen kommen aus drei Sektoren: Stromnutzung, Wärme und Straßenverkehr. Für all diese Möglichkeiten haben wir im Großteil der Fälle bereits Alternativen, die CO2 einsparen. Wir reden hier auch von Möglichkeiten der Unabhängigkeit von internationalen Energieimporten, die wir sonst jährlich tätigen müssen. Im Vergleich dazu könnte man einmal groß in Alternativen investieren, die dazu führen könnten, dass der Prozess sich automatisiert und man am Ende Kosten spart.“
„First Mover schießen sich selbst ins Knie“
Helmut Kaufmann von AMAG zeigt eher wenig Optimismus und unterstreicht die Schwierigkeiten der zeitgemäßen Umsetzung, insbesondere für First Mover: „Die Ziele für Österreich und für die EU sind allen klar. Wir wissen, welche Aggregate auf erneuerbare Energie umzubauen sind. Wir wissen aber auch, dass eine Net-Zero-Industry ein Großprojekt ist. Aus unserer Sicht ist das Ganze eine technologische Herausforderung, aber die politische Herausforderung im Hintergrund bleibt dennoch die größte, weil das konkrete Regelwerk für die Zwischenschritte noch in der Entstehung ist. Wir wissen, dass wir Schritte setzen müssen, um die Wende zu schaffen. Wir müssen früh beginnen. Allerdings ist die Lage aktuell noch so, dass die First Mover, diejenigen sind, die sich damit wirtschaftlich selbst ins Knie schießen könnten.“
AMAG stellt an den Produktionsstandorten in Ranshofen, Österreich, Übersee und Karlsruhe, Deutschland und Sept-Îles, Kanada, werden Primäraluminium sowie Guss- und Walzprodukte aus Aluminium und Komponenten für Flugzeuge in Premiumqualität her. Die technologischen Kernkompetenzen liegen im Recycling, Gießen, Walzen, Wärmebehandeln, Oberflächenveredeln und Fräsen. Zum einen werden in Ranshofen aus Primär- und Sekundäraluminium hochwertige Aluminiumgusslegierungen in Form von Zweiteiler-Masseln, Horizontalstrangguss-Masseln, Sows und Flüssigaluminium hergestellt. Zum anderen produziert das Unternehmen Bänder, Bleche, Platten und Komponenten, die in der Luftfahrt-, Fahrzeug-, Maschinenbau-, Bau-, Verpackungs-, Elektro- und Konsumgüterindustrie in Endprodukte weiterverarbeitet werden.
Wechsel auf Alternativen nicht sofort möglich
Im Gespräch geht er schließlich genauer darauf ein, wie sein Unternehmen dennoch versuchen würde die Bedingungen für die grüne Wende nach und nach zu erfüllen, jedoch ohne mit Verlusten rechnen zu müssen: „Es besteht ein allgemeiner Konsens darüber, dass man, wenn es geht, von Erdgas auf Strom wechseln soll. Das geht technologisch aber nicht überall so schnell. Bei uns wird die Umstellung ein Mix sein müssen. Wir werden so viel wie möglich auf Strom umrüsten. Uns wird der Ersatz von Gas durch Gas dabei aber nicht erspart bleiben. Wir werden in Richtung Wasserstoff gehen. Man muss bedenken: Jeder Ofen hat eine Auslaufzeit. Wir haben einfach nicht die Kapazitäten für sofortige Alternativen. Wir müssen Kund:innennaufträge bedienen. Wenn man die Regeln zu plötzlich verändert, dann wird es schwierig für viele. Das wird oft nicht bedacht“, betont Kaufmann.
Neues Klimaschutzgesetz als Lösung für Österreich?
Die Österreichische Energieagentur (AEA) hat im März 2023 neue Berechnungen vorgelegt, die die notwendigen Anstrengungen zur Erreichung der EU-Klimaziele für alle Bundesländer aufzeigen. Jedes Bundesland soll innerhalb von sieben Jahren die CO2-Emissionen im Nicht-Emissionshandels-Bereich um 48 Prozent reduzieren. Dabei ist es entscheidend, Treibhausgase in den Sektoren Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft einzusparen, um bis 2040 ein klimaneutrales Österreich zu erreichen. Ein neues Klimaschutzgesetz, empfohlen vom Dachverband Erneuerbare Energie Österreich (EEÖ), soll als Leitfaden dienen.
„Die neuen Klima-Zielsetzungen legen die Latte der Herausforderungen für die österreichischen Bundesländer nochmals höher! Noch weiter zuzuwarten ist keine brauchbare Option“, zeigt sich Martina Prechtl-Grundnig, Geschäftsführerin des EEÖ, überzeugt. Dies soll durch die Entwicklung der Treibhausgasemissionen in den Bundesländern belegt werden. Bis 2019 konnten diese im Nicht-EH-Bereich in Österreich im Vergleich zu 2005 lediglich um 11 % reduziert werden. Kärnten (-15 %), Steiermark (-14 %), Wien (-13 %) und Niederösterreich (-12 %) erzielten zwar höhere THG-Reduktionen als der österreichweite Durchschnitt, befinden sich aber auch nicht auf dem Pfad der Zielerreichung.
Günter Pauritsch, Leiter Energieökonomie und Infrastruktur bei der AEA, unterstreicht, dass Österreich in den nächsten knapp sieben Jahren zusätzlich etwa das Dreifache der THG-Emissionen einsparen müsste. Im Vergleich dazu haben andere EU-Mitgliedsstaaten seit 1990 ihre Treibhausgasemissionen deutlich reduziert, wie zum Beispiel Schweden (-29 %), Deutschland (-36 %) und Dänemark (-37 %). Österreich hingegen gehört mit einem Anstieg von 2 Prozent zu den Ländern, die bisher hinterherhinken. Somit stehen besonders große Anstrengungen der Treibhausgasreduktion für Österreich im EU-Vergleich in den kommenden Jahren bevor.
Bei allen Unterschieden in den Wirtschafts-, Siedlungs- und Verkehrsstrukturen müssten die Emissionen in allen Bundesländern und in allen Bereichen heruntergefahren werden. Das Sorgenkind sei dabei vor allem der Verkehrssektor, der weiter hohe CO2-Emissionen verursacht: „Während der Treibhausgas-Ausstoß in anderen Sektoren sinkt, stagniert er im Verkehr noch immer“, erläutert Energie-Experte Rohrer.
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