Disrupting Sexism
Ein Investor, der von einer Gründerin mehr als nur eine Unternehmensbeteiligung will . Der Gründer, der eine andere Gründerin als Mitarbeiterin gewinnen will und ihr dabei zu nahe tritt. Es sind Geschichten wie diese, die man von Frauen aus der österreichischen Startup-Szene hört – manchmal über ein paar Ecken, manchmal direkt, nie aber öffentlich. Die gleiche Community, die vor ein paar Jahren noch nicht einmal über den Frauenmangel diskutieren wollte, muss sich jetzt ernsthaft mit dem Thema sexuelle Belästigung auseinandersetzen.
Vom Machogehabe zu Straftaten
Unangebrachte Witze, anzügliche Kommentare, ständige Flirtversuche: Was in der Gesellschaft und in den Medien gerne verharmlost wird, fällt laut dem Gesetz bereits unter sexuelle Belästigung. Jede vierte Frau ist Schätzungen des Frauenministeriums zufolge von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betroffen. Die Bild-Studie, die eine Sexismus-Debatte ausgelöst hat, ist als Frau alles andere als überraschend. Die Befragung von 200 Frauen, die in Startups tätig sind, mag nicht repräsentativ sein – dass aber die Hälfte davon angibt, sexuelle Belästigung erfahren zu haben, ist in einer männerdominierten Industrie dennoch viel zu viel.
Warum schweigt man in einer Branche, die sich damit rühmt, den Status Quo nicht zu akzeptieren und die Welt zu verbessern, zu diesem Thema? In einer Gemeinschaft, die behauptet, sich gegenseitig zu unterstützen und das Ökosystem zu stärken? Was an den Erfahrungsberichten aus der österreichischen Gründerszene besonders überrascht ist, dass Frauen sich oft selbst nicht darüber beschweren, sondern Männer, die solche Vorfälle beobachten. Das lässt sich dadurch erklären, dass Gründerinnen und Startup-Mitarbeiterinnen, die ohnehin unterrepräsentiert sind, ihre Existenz in dieser Welt nicht noch zusätzlich erschweren wollen. Die sogenannte „Bro Culture“, die teils bubenhafte Kultur, macht es schon schwer genug, als Frau ernstgenommen zu werden. Der Weg vom Machogehabe zu Straftaten ist wahrscheinlich so fließend, dass viele Frauen sie anfangs gar nicht als solche sehen.
Gesellschaftliche Innovation statt Schweigen
Das Problem von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ist wahrlich keines der Startup-Szene allein, sondern der gesamten Wirtschaft. Mit dem Nachteil, den Frauen hier haben, fällt es ihnen aber noch schwerer, sich zu wehren und rechtliche Konsequenzen zu ziehen. Wenn wir mehr Frauen als Gründerinnen haben wollen, müssen wir aber auch dieses Problem öffentlich kommunizieren. Ein Umfeld, wo Anmachsprüche und vielleicht sogar Grapschen akzeptiert werden, ist frauenfeindlich und bleibt deshalb langfristig auch männerdominiert.
Allein die Missstände anzuerkennen, kann viel bewirken. Noch vor zwei Jahren wollten viele nicht den Frauenmangel als Problem sehen. Mittlerweile stehen Stakeholder dazu und Initiativen wie die „Female Founders“ sorgen aktiv dafür, die Strukturen aufzubrechen. Es würde nur eine weibliche Stimme brauchen, um auch die sexuelle Belästigung zu thematisieren. Bei Uber hat ein Blogpost einer ehemaligen Mitarbeiterin dafür gesorgt, dass umfassende Ermittlungen durchgeführt wurden und zahlreiche männliche Mitarbeiter wegen sexueller Belästigung entlassen wurden. Erst diese Woche wurde die VC-Firma Binary Capital zu Sturz gebracht, weil sechs Gründerinnen einem der Investoren ungewünschte Annäherungsversuche vorwarfen. Schließlich trat Dave McLure vom CEO-Posten bei 500Startups zurück, nachdem ihm unangemessenes Verhalten gegenüber Frauen vorgeworfen wurde. „Ich bin ein Ekel. Es tut mir leid“, entschuldigte er sich in einem Blog-Post.
Alte Muster aufbrechen
Natürlich müssen Maßnahmen bei sexueller Belästigung nicht so öffentlich passieren, wie bei den Beispielen aus den USA. Viele Frauen wissen offenbar auch nicht, welche Handlungsmöglichkeiten sie in solchen Situationen haben. Eine Lösung dafür wäre eine erste Anlaufstelle für Fragen zu sexueller Diskriminierung und Belästigung. Institutionen wie die „Female Founders“ oder die Interessensvertretung „Austrian Startups“ könnten so eine anonyme Beschwerdestelle einrichten.
Wir brauchen aber nicht auf Ideen warten, um etwas zu verändern – wir alle können etwas bewirken: Wenn eine Frau – oder ein Mann – über sexuelle Übergriffe in der Community spricht, ist zuhören und ernst nehmen angesagt. Wer unangemessenes Verhalten beobachtet, sollte dieses melden und wenn möglich auch einschreiten. Wichtig ist es auch, die Betroffenen nicht zu diskreditieren. Denn sonst bringt man die gesellschaftlichen Fehler aus der alten in die neue Welt. Denn wie wollen wir Innovation schaffen und die Welt verbessern, wenn wir nicht die alten Muster aufbrechen?