Elon Musk & Twitter: Warum der Ärger über die Übernahme nicht notwendig ist
Elon Musk kauft Twitter – wer das Auf und Ab in den letzten Wochen auch nur am Rande verfolgt, war wohl nicht mehr überrascht, als diese Nachricht gestern eintrudelte. Der reichste Mensch der Welt kauft sich eines der bekanntesten Medienunternehmen der Welt – und die Wogen gehen hoch, nicht nur, aber vor allem auch auf Twitter. Bei allem Verständnis für die Sorgen, die damit einhergehen: Twitter ist ein soziales Netzwerk, weder lebensnotwendig noch nicht austauschbar. Warum also der Aufschrei?
Eine – zugegeben – wilde Idee, aber wie wäre es, wenn wir wieder mehr versuchen, weniger aufgeregt durch die Welt zu wandeln? Das soll nicht heißen, dass es cool ist, wenn einem alles „wurscht“ ist. Es gibt viele Probleme auf dieser Welt, die dringend zu lösen wären; kurzfristig der Ukraine-Krieg, mittel- und langfristig die Klimakrise. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander (darum kann sich Musk nun auch Twitter gönnen), Millionen Menschen sind auf der Flucht, die Demokratie verliert an Wert und Autokratien versprühen ihren unangenehmen Zauber über die Rechtsausleger dieser Welt. Alles Dinge, die niemanden egal sein sollten – und doch sind sie es vielfach. Twitter gehört in meinen Augen nicht dazu.
Das passiert, wenn sich alles „selbst regelt“
Das aber nicht, weil die Plattform irrelevant wäre, im Gegenteil. Technoking Musk treibt damit ganze Aktienkurse vor sich her, Twitter entscheidet Wahlen mit und ist das primäre Sprachrohr vieler Prominenter, Intellektueller und sonstiger VIPs. Genau das ist aber der eigentliche Kern des Problems: Wer dem Markt jahrelang dabei zusieht, wie er sich „selbst regelt“, darf sich am Ende des Tages auch nicht über die Auswüchse dieser nicht vorhandenen Regelungen ärgern. Wenn jemand über 200 Milliarden US-Dollar besitzt (oder die Gesetze es erlauben, so viel zu besitzen), darf er oder sie die erstens ausgeben – und eine Pflicht, das Geld vernünftig einzusetzen, gibt es nicht.
Das bringt mich zum nächsten Punkt: Die EU regelt die Meinungsäußerung im Internet mit dem „Digital Services Act“ mittlerweile ganz genau, Twitter kann alleine darum nicht zu einem rechtsfreien Raum werden. Das ist ja, was viele der selbst erklärten Verfechter der „freien Meinungsäußerung“ eigentlich meinen: Schimpfen, diskreditieren, beleidigen. Wenn ich nach unten treten kann, stehe ich oben. Das ist aber auch die Sorge vieler Nutzer:innen, die fürchten, dass das imaginäre Tor bald wieder allen offen stehen könnte (was auch jetzt tut, wenn man sich an die Spielregeln hält).
Dahingehend wird sich Twitter auch als Spielzeug von Elon Musk nicht gänzlich ändern können. Und ob all die Schreihälse, die aus guten Grund gesperrt wurden (ja, ich meine Donald J. Trump), wieder zurückwollen, bleibt dahingestellt. Der Ex-US-Präsident hat jedenfalls schon klar gemacht, seinem „Truth Social“ treu bleiben zu wollen und auf Twitter zu verzichten. Und sollte es trotzdem einmal soweit kommen, ist immer noch niemand gezwungen, seinen Ausführungen zu folgen. Dann geht es eben eine Plattform weiter – oder, auch eine wilde Idee -, einfach weg von mehr oder weniger toxischen Plattformen. Ob man Twitter in seiner derzeitigen Form – von Trump über Musk – überhaupt vermissen muss, bleibt dann jeder und jedem selbst überlassen. Über den Kurswechsel aufregen, vielleicht auch noch direkt auf Twitter, bringt auf jeden Fall nichts. Ganz davon abgesehen, dass Elon Musk das auch komplett egal ist. Es gibt wichtigere Themen. Oder es sollte sie zumindest geben.
Das ist die eine Seite unserer Kommentar-Serie „Double Trouble“. Was Jakob zu Elon Musks Twitter-Deal denkt, lest ihr hier:
Elon Musk & Twitter: „Single Point of Failure“ statt „Singular Solution“