Analyse
Wer am Startup-Markt durch die Finger schauen wird – und wer nicht
„Plan for the worst„: Mit Botschaften wie diesen versuchen Investor:innen aktuell ihre Portfolio-Firmen auf die befürchtete Rezession vorzubereiten. Parallel dazu wird bereits reagiert – im Mai haben mehr als 60-Tech-Unternehmen in den USA und Europa bereits mehr als 16.000 Stellen abgebaut. Viele der neuen Unicorns, die aus einer Geldschwemme 2021 entstanden sind, müssen nun um ihre Milliardenbewertungen fürchten.
Aktuell wird über folgende Trends am Startup-, Scale-up- und Unicorn-Markt intensiv diskutiert:
- Vom Gründer:innen- zurück zum Investor:innen-Markt: In den vergangenen zwei Jahren sprach man von einem Gründer:innen-Markt – es soll sogar VCs gegeben haben, die eigene Pitch Decks hatten, um sich im Wettbewerb gegen andere Venture Capitalists bei Gründer:innen zu bewerben. Das dreht sich aktuell: VCs fokussieren vor allem wieder aufs bestehende Portfolio, Neu-Investments werden viel schwerer zu bekommen sein als noch vor einem Jahr
- Rezession als Ausrede: Es wird Startups, Scale-ups und Unicorns geben, die die aktuelle Wirtschaftslage als Ausrede nutzen, um Stellen abzubauen, Märkte zu schließen, den Fokus zu verlagern usw. Eine Rezession ist eine wunderbare Gelegenheit, um die Schuld an einem wackligen Geschäftsmodell äußeren Umständen und nicht Unternehmens-eigenen Problemen zuzuschieben.
- Investor:innen, die Bewertungen drücken: Wie auch im aktuellen Podcast mit Investor Berthold Baurek-Karlic zu hören, gibt es Investor:innen, die die aktuelle Lage auszunutzen versuchen, um Bewertungen zu drücken. Vor allem 2021 wurden sehr hohe Multiples gezahlt – nun können sich Geldgeber:innen auf die äußeren Rahmenbedingungen ausreden, um weniger Geld für mehr Shares zu bezahlen. Hier ist klar zu sagen: Wer gute Fundamentaldaten hat, muss sich nicht hinunter handeln lassen.
- Downrounds: Entweder schaffen es Investor:innen, Bewertungen trotz guter Fundamentaldaten zu drücken, oder vormals sehr hoch bewertete Firmen werden abgestraft. Es ist jedenfalls damit zu rechnen, dass die Branche nach dem Rekordjahr 2021 sehr viele Downrounds sehen wird – und damit deutlich weniger zu feiern hat als zuvor (mehr dazu hier).
- Arbeitsmarkt könnte sich drehen: Es bleibt noch abzuwarten, wie viele Mitarbeiter:innen in Europa und den USA wirklich vor die Türe gesetzt werden. Alleine im Mai haben 60 Tech-Unternehmen mehr als 16.000 Jobs gekürzt. Fraglich ist, ob diese von anderen, die weiter Leute suchen, aufgefangen werden können. Möglich ist, dass nun Unternehmen im „War of Talents“ wieder die Oberhand gewinnen – weil wieder mehr Arbeitskräfte um weniger Jobs ringen.
- Harte Zeiten für die neuen Unicorns: Die USA haben 2021 275 neue Unicorns hervorgebracht, in Europa gab es etwa 100 neue Unternehmen mit einer Bewertung von einer Milliarde Dollar. Diese Unicorn-Flut war nicht nur der durch Corona beschleunigten Digitalisierung zu verdanken, sondern auch einer Flut des billigen Geldes, das vor allem US-Investor:innen über der Tech-Branche ausschütteten. 2022 ist aber zu erwarten, dass es insgesamt weniger neue Unicorns geben wird – und das bestehende auch wieder ihre Milliardenbewertung verlieren werden (mehr dazu hier)
- Investor:innen sichern sich ab: In der Branche hört man bereits von Vertragsklauseln, die vor ein zwei Jahren noch undenkbar waren. VCs versuchen, sich und ihr investiertes Geld sehr stark abzusichern, und legen strenge Liquidation Preferences an. Die können auch bedeuten, dass Gründer:innen und frühe Investor:innen durch die Finger schauen – hier ist ein kritischer Blick auf die Terms wichtig.
- Ganz gute Karten für Early Stage: Was offenbar weiter ganz gut funktionieren soll, sind Startups in frühen Phasen. Krisenzeiten gelten gemeinhin als solche, wo neue Geschäftsmodelle entstehen – und die erlauben es Investor:innen, frühzeitig und antizyklisch bei sehr kleinen Bewertungen und Tickets aus der Krise hinaus zu investieren. Kein Wunder, dass etwa Speedinvest aus Wien weiter auf frühphasige Investments setzt (Fonds Nummer 4 ist gerade im Entstehen) und die großen Tickets für Folgefinanzierungen dann anderen überlässt.
- Neue Gründer:innen-Welle (finally): Eigentlich hat man bereits 2020 mit der Corona-Krise damit gerechnet, dass nach einer Insolvenzwelle eine neue Gründer:innenwelle kommt – einfach, weil viele Menschen sich nach Job-Verlust selbstständig machen müssen. Das ist ausgeblieben, weil massive Corona-Hilfspakete die Zahl der Insolvenzen sogar weit nach unten gedrückt haben. Nun ist nicht absehbar, dass es wieder massive Wirtschaftshilfen geben wird – und deswegen könnte es nun (endlich) eine neue Gründer:innen-Welle geben. Übrigens: Der bisherige Peak an Neugründungen in Österreich war bereits 2017…
- Gute Geschäftsmodelle bleiben gute Geschäftsmodelle: Auch daran wird eine Wirtschaftskrise nichts ändern – gute Services, Produkte, Firmen und Gründer:innen bleiben gut. Möglich, dass sie wegen sinkender Nachfrage und Lieferengpässen eine Weile weniger Geschäft machen, aber am Ende werden sie stärker aus der Krise hervorgehen – auch, weil der Mitbewerb, der nicht so gut aufgestellt ist, ausgedünnt wird.
- M&A-Aktivitäten: Unternehmen, die ins Straucheln geraten, sind manchmal interessant für Käufer:innen. Deswegen ist damit zu rechnen, dass es in Folge zu vermehrten Merger & Acquisitions kommen wird. Aber mit einer Flut an M&A-Deals ist auch nicht zu rechnen, weil viele aufs Kerngeschäft fokussieren werden, anstatt Geld in Zukäufe zu pumpen. Zuletzt war zu lesen, dass M&A-Berater:innen weniger zu tun haben als noch 2021, wo satte Finanzspritzen auch dazu da waren, um Übernahmen zu finanzieren.
Investor:innen rechnen mit Downrounds für die meisten Startups und Scale-ups