ERSTE Stiftung und „Alles Clara”-Netzwerk: Digitalisierung als Chance für Pflege und Soziales
Mit der Frage, wie Digitalisierung und Pflege zukünftig Hand in Hand gehen können, beschäftigten sich die Gastgeber ERSTE Stiftung und das Startup „Alles Clara“ am Donnerstagabend im Presseclub Concordia in Wien. Bei der Veranstaltung kamen namhafte Expert:innen zusammen, die sich in einem Innovationspanel über die digitalen Chancen und Potenziale im Bereich Pflege und Soziales austauschten. Dabei wurde die neue Alles Clara-App vorgestellt, deren Aufgabe zukünftig ist, pflegende Angehörige via virtuellen Beratungsräumen bei der Pflege zu Hause zu unterstützen. Die Veranstaltung wurde von mehr als 100 Gästen besucht sowie auch online für alle Zuseher:innen zu Hause übertragen und lässt sich hier nachverfolgen.
Mit Alles Clara „ungesehene pflegende Angehörige sichtbar machen”
Nicole Traxler (Managing Director bei Two Next), die auch die Plattform Alles Clara entwickelt hat und Boris Marte (CEO der ERSTE Stiftung) eröffneten den Abend, der ganz im Zeichen der digitalen Pflege stand. „Wir reden über etwas, das uns alle betrifft. Im Sozialsystem, und insbesondere bei der Beratung von pflegenden Angehörigen, braucht es Unterstützung und Stärkung durch einfach zugängliche richtige Informationen. Technologie schafft Erreichbarkeit, davon profitieren wir alle“, so Marte in seiner Eröffnungsrede. Nicole Traxler betont: „Kooperation bei der Digitalisierung ist für uns der Schlüssel für Innovation – bei der Entwicklung von ‚Alles Clara‘ wirken seit mehr als drei Jahren Privatwirtschaft, gemeinwirtschaftlicher Sektor und öffentliche Hand konstruktiv zusammen.“ Mittlerweile haben mehr als 100.000 Beschäftigte in Pilotbetrieben und -organisationen Zugang zu der „App, die pflegen leichter macht“. Einige der erwähnten Berater:innen waren auch vor Ort, weil sie die Veranstaltung, in der es um die Zukunft ihrer Arbeit ging, auf keinen Fall verpassen wollten und außerdem selbst wertvolle Inputs beisteuerten.
Expert:innenpanel tauschte sich live aus
Danach ging es direkt in das Diskussionspanel über, an dem Christine Bachler (Platform Evolution Lead, Erste Group), Markus Golla (Leiter Institut für Pflegewissenschaft IMC Krems), der CIO der Stadt Wien, Klemens Himpele und Anna Parr, Generalsekretärin der Caritas Österreich als Vertreterin der Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt (BAG), teilnahmen. Die BAG besteht im übrigen aus den großen Trägerorganisationen Caritas, Diakonie, Hilfswerk, Rotes Kreuz und Volkshilfe, deren Sicht auf den Pflegesektor an diesem Abend auf keinen Fall fehlen durfte.
Integration der Pflege in Gesundheitsdiensteanbieter ELGA gefordert
Anna Parr fand klare Worte: „Bei jeder Digitalisierungsoffensive ist die Einbindung der Mitarbeiter:innen, der Klient:innen sowie der pflegenden Angehörigen zentral. Ziel der Digitalisierung muss sein, mehr Zeit für Pflege und Betreuung zu haben und hier bestmöglich unterstützt zu werden. Aktuell fehlen uns im gemeinnützigen Bereich dafür finanzielle Mittel – hier würde ein bundesweiter Digitalisierungsfonds helfen. Außerdem treten wir für eine Integration der Pflege als Gesundheitsdiensteanbieter in ELGA ein.“
„Wir brauchen den Mut, um Technik als Enabler zu sehen und neue Lösungen auszuprobieren”
Klemens Himpele wies darauf hin, wie wichtig es ist, positive Erfahrungen durch die Digitalisierung zu schaffen und dass digitale Lösungen in ihrer Logik so einfach wie möglich sein müssen – die Anwender:innen müssen intuitiv wissen, was zu tun ist. Er erklärte: „Als Stadtverwaltung sind wir im internationalen Vergleich gut aufgestellt. Wir arbeiten im hoheitlichen wie im privatwirtschaftlichen Bereich laufend an Verbesserung der User:innen-Journey, bei Anträgen, Verfahren und im Bürgerservice. Daneben organisieren wir natürlich auch die Stadtverwaltung nach innen mit digitalen Angeboten. Die Hauptarbeit liegt im Verständnis der Prozesse.“ Innovationsexpertin Christine Bachler, die zuvor unter anderem für Youtube und Google tätig war, stimmte dem zu und ergänzte, dass man den Mut brauche, um Technik als Enabler zu sehen und neue Lösungen auszuprobieren, auch wenn diese von Beginn an noch nicht perfekt sein mögen. Nur so könne ein größerer Mehrwert entstehen und die Situation für viele Menschen in der Pflege verbessert werden. „Die Frage ist, welches Problem einer konkreten Zielgruppe wir messbar lösen. Dabei hat es sich bewährt, Prozesse skalierbar zu machen, also sie so zu gestalten, dass sie flexibel und nachhaltig mit Veränderungen und Wachstum umgehen können. Datenschutz-Themen sind von Anfang an umfassend zu berücksichtigen.“
Forschung: Digitalisierung in der Pflege aktuell ein ganz großes Thema
Pflegeforscher Markus Golla erläuterte: „Wir haben es in Europa mit einer überalternden Gesellschaft zu tun. Investieren wir nicht jetzt in das Pflegesystem, stehen wir spätestens 2023 vor einer Katastrophe. Die medial transportierte Vision des Pflegeroboters ist jedenfalls falsch, niemand wird ersetzt!” Er fügt hinzu: „Wer in den Pflegeberuf einsteigt, will vorwiegend mit Menschen arbeiten. Es braucht daher professionelle Beratung kombiniert mit praktisch relevanten Tools, die uns etwas in der Pflege bringen.”
Großer Bürokratieaufwand für eine Million pflegende Angehörige
Im Anschluss an das Panel, das von Antonia Rinesch (Head of Marketing und Events, Trending Topics) moderiert wurde, folgte eine angeregte Diskussion gemeinsam mit dem Publikum. Dabei ging es um die fehlenden finanziellen Mittel auf Landesebene und den aktuellen Personal- und Ausbildungsmangel in der Pflege. Auch ging es um die Schwierigkeiten für ausländische Fachkräfte bei der Nostrifizierung von Qualifikationen sowie das Potenzial von künstlicher Intelligenz. Die Wortmeldungen aus dem Publikum thematisierten darüber hinaus, dass sich die rund eine Million pflegenden Angehörigen in Österreich durch hohe bürokratische Aufwände belastet fühlen. Das Event fand seinen Ausklang beim gemeinsamen Netzwerken im Presseclub Concordia, wo sich viele noch weiter angeregt über die Themen unterhielten.