ESG in Verruf: Der „grüne“ Schmäh mit „nachhaltigen“ Investments
Das Kürzel ESG ist in Verruf geraten in der Finanzwelt. Stand es lange Zeit mit den Initialen für „Environmental“ „Social“ und „Governance“ für nachhaltige und grüne Zukunfts-Investments, hat das Image von ESG in den letzten Wochen stark gelitten. Denn wenn auf Aktien-Fonds ESG drauf steht, dann bekommen Anleger:innen oft so genannte „mixed bags“ – also Aktientitel von Unternehmen, die eigentlich gar nicht grün und nachhaltig sind.
Der aktuellste Fall ist der Skandal rund um die DWS, die Fonds-Tochter der Deutsche Bank. Da wurden vergangene Woche die Büros von den Behörden in einer Razzia durchsucht, auf der Suche nach Beweisen für die Greenwashing-Vorwürfe. CEO Asoka Woehrmann musste bereits zurücktreten. Der Vorwurf gegen die DWS: als nachhaltig deklarierte Investitionsvehikel sind gar nicht so nachhaltig. „Nach Prüfung haben sich zureichende tatsächliche Anhaltspunkte ergeben, dass entgegen der Angaben in Verkaufsprospekten von DWS-Fonds ESG-Faktoren nur in einer Minderheit der Investments tatsächlich berücksichtigt worden sind“, so die Staatsanwaltschaft. Ebenfalls spannender Punkt: Auslöser der Ermittlungen war die ehemalige Nachhaltigkeitsbeauftragte von DWS, Desiree Fixler.
Nun stellt sich die Frage, ob man dem Kürzel ESG überhaupt noch trauen kann. Immer mehr Menschen zweifeln in Folge der jüngsten Entwicklungen, ob ESG überhaupt für ökologische, soziale und ethische Standards steht – oder ob diese „Kriterien“ so breit und verwaschen sind, dass sie anfällig für Etikettenschwindel und Greenwashing sind. Ein Problem der Angelegenheit: Die ESG-Kriterien, deren Erfüllung Rating-Agenturen bewerten, haben keine Standards. Doch die Finanzdienstleister, die die ESG-Fonds zusammenstellen und dabei eben Aktien unterschiedlicher Firmen in ETFs bündeln, berufen sich auf diese ESG-Zertifikate.
NGO warnt: Mineralölunternehmen nutzt Coldplay-Tour für Greenwashing
Die „grüne“ Firma mit Skipisten in der Wüste
Und so kommt es etwa, dass das Immobilienunternehmen Majid Al Futtaim Holding LLC, dass Skipisten in der arabischen Wüste baut, von der Rating-Agentur Sustainalytics ein ESG-Risk-Rating von 19,6 („Low Risk“) bekommt. Zum Vergleich: Die österreichische Verbund AG mit einem Erneuerbaren-Anteil beim Strom von 95 Prozent hat ein Rating von 18,9, der Elektroautohersteller Tesla 28,5 („Medium Risk“).
Nun fordern bereits Stimmen in der Finanzwelt, dass ESG-Kriterien einer grundlegenden Überarbeitung bedürfen. Tariq Fancy, früher Blackrock-Manager und bekannter ESG-Kritiker, fordert etwa, dass die ESG-Branche in ihre Einzelteile aufgespaltet werden soll. Man müsse unterscheiden zwischen „Environmental“, „Social“ und „Governance“ – denn Unternehmen, das ethische Standards einhält, ist noch lange kein grünes Unternehmen, und umgekehrt.
Eine brandneue Dokumentation von arte geht ebenfalls der Frage nach, was eigentlich in mit ESG gebrandeten Fonds drinnen steckt. Die Recherchen ergaben etwa, dass die Aktien des belgischen Unternehmens Umicore in nachhaltigen Fonds auftaucht. Umicore schreibt sich zwar das Recycling von Industriemetallen auf die Fahnen – doch das passt nicht zusammen mit den radioaktiv kontaminierte Deponien in den französischen Cevennen und im belgischen Flandern. Dort erzählen Anwohner:innen von angrenzenden Grundstücken, die wertlos wurden, und von Krebs, an denen Haustiere starben und Anrainer:innen erkrankten.
Gewessler: Österreich wird gegen „Greenwashing der Atomkraft“ klagen
Solar-Pionier wirbt für Verschmutzer-Aktie
Währenddessen hat sich der Aktienpreis von Umicore gut entwickelt – auch wenn er gegen Ende 2021 stark gefallen ist, liegt er seit Jahresbeginn 14 Prozent im Plus. Wohlgemerkt in einer Phase, in der große Teile des Aktienmarkts in Folge der US-Zinswende ordentlich Federn lassen musste. Delikaterweise steckt die Umicore-Aktie in einem „nachhaltigen“ Fonds der Zürcher Bank Globalance – neben den Aktien von Tesla, Amazon, Etsy oder Microsoft. Und dem nicht genug, schließlich macht noch der Solar-Flugzeug-Pionier Bertrand Piccard (er flog mit einem Solarflugzeug um die Welt) Werbung für den Fonds namens „Globalance Zukunftsbewegter Fonds„.
Noch ein Beispiel aus der arte-Doku: Majid Al Futtaim, das erwähnte Immobilienunternehmen mit Firmensitz in Dubai, gilt ebenfalls als grünes Investment und lässt Star-Schauspieler Will Smith für sich werben. Majid Al Futtaim ist aber auch dafür verantwortlich, dass eine Indoor-Skipiste mitten in der Wüste von Dubai unter enormem Energieverbrauch betreibt und für die Tourist:innen gar Pinguine aus der Antarktis eingeflogen hat. Das „grüne“ Image und das Versprechen, den eigenen CO2-Fußabdruck verringern zu wollen, brachte dem Unternehmen eine Milliarde Dollar Finanzierungsvolumen ein.
Tesla ohne ESG, Exxon mit ESG
Zuletzt staunten viele, allen voran Elon Musk selbst, nicht schlecht, als Tesla aus dem wichtigen S&P 500 ESG Index geworfen wurde – während der Ölriese Exxon drinnen bleiben durfte. Angeführt wurden eine fehlende Low-Carbon-Strategie und fehlende Verhaltenskodizes für das Unternehmen. Auch Rassendiskriminierung und schlechte Arbeitsbedingungen in der Fabrik in Fremont sowie der Umgang mit der US-Autosicherheitsbehörde NHTSA, die mehrere Todesfälle im Zusammenhang mit dem Fahrassistenzsystem „Autopilot“ untersuchte, wurde bemängelt.
Auch das Beispiel Tesla zeigt, dass die Vermengung von „Environmental“, „Social“- und „Governance“-Kriterien schwierig ist. So mag das Unternehmen in den beiden letzteren Kategorien Probleme haben, sollte aber eigentlich in Sachen Umwelt (Batterie-elektrische Autos werden weltweit wegen der Chance auf CO2-Reduktion von Staaten gefördert) gut abschneiden. Musks Urteil: „ESG ist ein Betrug.“.
Tesla erfüllt wichtige ESG-Kriterien nicht. Musk nennt ESG „Betrug“.