EU will jährlich 20 Milliarden Euro in Künstliche Intelligenz pumpen
Zuerst meldete sich Alphabet-Chef Sundar Pichai, dann folgte Apples Senior Vice President for Artificial Intelligence, John Giannandrea, und schließlich stand Facebook-CEO Mark Zuckerberg auf der Matte: Schon im Vorfeld der heute von der EU-Kommission präsentierten Daten-Strategie und einem Whitepaper für Künstliche Intelligenz (KI) sind die Manager der großen US-Tech-Konzerne sichtlich unruhig geworden.
Denn die EU-Kommission will mit der Digitalstrategie den verlorenen Boden wieder gut machen, den man an die USA und China verloren hat. Und das kann auch bedeuten, dass US-Technologien, die sich um Big Data und Künstliche Intelligenz drehen, strenger reguliert werden als bisher – und gleichzeitig die Entwicklung europäischer AI gepusht wird.
„Schlüsselfaktor für Klimaziele“
Die EU-Kommission will Europa nun zu einem weltweit führenden Standort für „vertrauenswürdige“ Anwendungen der künstlichen Intelligenz (KI). Dafür sollen 20 Milliarden Euro pro Jahr ausgegeben werden, wobei die EU dafür noch nicht näher bezifferte Mittel aus den Programmen „Digital Europe“, „Horizon“ und dem europäischen Struktur- und Investitionsfonds locker machen will, die privater und öffentliche Investition hebeln sollen – und so sollen dann die 20 Milliarden pro Jahr zusammen kommen.
„Künstliche Intelligenz ist ein Schlüsselfaktor, um unser Klimaziel, bis 2050 CO2-neutral zu werden, zu erreichen“, so EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei der Präsentation. In der Landwirtschaft könne man mit intelligenten Systemen Pestizide einsparen, zu Hause würde man viel Strom beim Heizen durch intelligente Steuerung sparen können.
Grundlage für die Entwicklung europäischer AI seien Daten – soviel ist klar. „Heute wird nur ein Bruchteil der produzierten Daten jemals genutzt, das ist nicht nachhaltig“, so von der Leyen. Deswegen sollen Unternehmen künftig einfacheren Zugang zu Daten bekommen und diese innerhalb der EU austauschen können.
Als Daten-Horte sollen dafür europäische Datencenter entstehen, wo Regierungen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen nicht nur ihre Daten speichern können, sondern auch auf Daten anderer (einer Bewilligung vorausgesetzt) zugreifen können. Bei der KI-Forschung sei Europa gut aufgestellt, man würde die meisten wissenschaftlichen Papers zu AI produzieren. An der Umsetzung dieser Erkenntnisse in Anwendungen für den Markt mangelt es aber noch deutlich.
Zertifizierung für Hochrisikobereiche
Eine Freifahrt für AI-Anwendungen in der EU ist die von der Kommission verfolgte Strategie nicht. von der Leyen will, dass es für AI in Hochrisikobereichen wie Medizin, Verkehr, Polizei und Justiz eigene Zertifizierungen geben muss, die die Anwendungen brauchen, bevor sie zum Einsatz kommen. „Mit Autos, Chemikalien oder Kosmetika machen wir ja das selbe“, so van der Leyen.
Wirtschaftlich ist die Daten-Ökonomie für die EU wichtig. 2,4 Prozent des GDP würde derzeit aus dem Bereich kommen und soll sich in den nächsten Jahren verdreifachen. Heute würden bereits 5,7 Millionen Jobs an dem Bereich hängen, bald könnten es 11 Millionen sein.
Ein Verbot von KI-gestützter Gesichtserkennung in öffentlichen Räumen, die angedacht wurde, scheint vorerst vom Tisch. Eine solche Maßnahme wird im vorliegenden Whitepaper nicht mehr vorgeschlagen. Ein Fan von strengen Regulierungen für AI ist übrigens Elon Musk. Er twitterte kürzlich:
Auch Google-CEO Pichai hat erst kürzlich Regeln für KI eingefordert. „Für mich steht außer Frage, dass Künstliche Intelligenz reguliert werden muss. Es ist zu wichtig, es nicht zu tun. Die Frage ist nur, wie man sich dem nähert.“+
Pro und Contra
„Wir stehen voll und ganz hinter dem Ziel der Kommission, Europa zu einer führenden Weltregion für Dateninfrastruktur und -nutzung sowie für KI-Entwicklungen zu machen“, sagt Mariana Kühnel, stv. Generalsekretärin der Wirtschaftskammer Österreich. Wenn europäische Datenzentren finanziert sowie die Entwicklung und Umsetzung von KI-Lösungen unterstützt werden, dann würde das dem digitalen Binnenmarkt und also auch österreichischen Unternehmen zugute kommen.
Grundsätzlich begrüßenswert, aber zu unkonkret ist die EU-Datenstrategie nach Meinung von Thomas Duhr, Vizepräsident des Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW). „Die Ziele der neuen EU-Kommission sind richtig und ambitioniert, leider stehen diesen aber zahlreiche der regulatorischen Entwicklungen der letzten Jahre diametral entgegen und haben bisher eher gegenteilig gewirkt als genützt“, so Duhr. „Gewissermaßen sind die Akteure der EU mit einem Dilemma konfrontiert. Denn je mehr sie den Bürger vor Datenmissbrauch schützen wollen, desto stärker werden die positiven Aspekte ausgehebelt.“
Als Beispiel führt Duhr etwa die E-Privacy-Verordnung an, die nach wie vor im Raum steht und nach der DSGVO noch einmal strengere Regeln für die Verwendung von Nutzerdaten vorsieht. Als Positiv-Beispiel nennt Duhr den „Common European Health Data Space“ – dieser hat zum Ziel, die Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten zu vereinfachen, um besser und schneller an der Früherkennung und Heilung von Krankheiten arbeiten zu können.