2023 werden voraussichtlich nur 51 Mrd. Dollar in Europas Tech-Sektor investiert
2021 waren es 106 Milliarden, 2022 dann mit der Zinswende, der Energiekrise und dem einbrechenden Ukrainekrieg immerhin noch 83 Milliarden – und 2023 wird sich das Investitionsvolumen in Tech-startups und Scale-ups aller Voraussicht nach noch einmal deutlich verringern. Dem frischen „State of European Tech First Look 2023“ zufolge weisen Daten darauf hin, dass 2023 etwa 51 Mrd. Dollar in den europäischen Tech-Sektor investiert werden. Atomico gab bisher jedes Jahr zu Jahresende den „State of European Tech“-Report heraus, nun gibt es ihn das erste Mal auch zum Halbjahr.
„Im Jahr 2022 berichteten wir über den Beginn einer neuen Marktrealität. Dieser Trend hat sich in der ersten Hälfte des Jahres 2023 fortgesetzt, da die Gesamtinvestitionsvolumina in Europa auf der Grundlage der bisherigen Aktivitäten für das Jahr 2023 etwa 50 Mrd. USD+ erreichen dürften“, heißt es in dem neuen Report, der regelmäßig vom skandinavischen Investor Atomico herausgegeben wird. „Dies entspricht einem Rückgang von etwa 50 % gegenüber den Rekordwerten von 2021 und etwa 38 % gegenüber 2022.“ Das sei aber nicht ausschließlich negativ zu sehen: „Dies liegt jedoch immer noch etwa 35 bis 40 % über dem, was wir 2020 und 2019 gesehen haben. Selbst bei einem Marktabschwung ist Europa auf dem besten Weg, sein drittgrößtes Jahr in Bezug auf die aufgebrachten Mittel zu erleben.“
Damit wird auch durch den Atomico-Report klar: 2020 und vor allem 2021 waren absolute Ausreißer-Jahre, die sich nach der Zinswende in den USA und der Eurozone nicht so schnell wiederholen werden. Darüber spricht auch Andreas Schwarzenbrunner, Partner bei Speedinvest, in einem aktuellen Podcast. Einer Speedinvest-Umfrage zufolge halten 84 Prozent der Investor:innen Europas Unicorns für überbewertet – deswegen wird es auch dieses Jahr noch viele weitere Korrekturen bei den Bewertungen zu sehen geben.
Bewertungen im Schnitt 50% unter 2021
Beim Rückgang beim Investitionsvolumen ist Europa nicht alleine – auch in Nordamerika oder Asien werden sich die Geldsummen, die 2023 im Vergleich zu 2021 investiert werden, etwa halbieren. In Europa ist das ein wenig schärfer ausgeprägt. Ein Grund dafür ist, dass sich einige US-Investor:innen aus dem Markt zurückgezogen haben bzw. nicht mehr so viel Geld für den Alten Kontinent allokieren. Dem Atomico-Report zufolge kamen 2021 noch 66 Cent für jeden Dollar, die die Europäer:innen investieren, aus den USA, im ersten Halbjahr 2023 sind es nur mehr etwa 34 Cent.
Außerdem, wie aus dem Report hervorgeht, zeigt sich immer stärker, dass die großen Bewertungen von 2021 und 2022 oft nicht mehr bezahlt werden. „Da die Gründer:innen nun endlich mit der Mittelbeschaffung beginnen, zeigen sich die von uns erwarteten Downrounds allmählich in den Daten. 1 von 5 Venture-Fundraisings in Q1 dieses Jahres waren Downrounds, verglichen mit kaum 1 von 20 vor einem Jahr“, heißt es. Quer durch verschiedene Phasen hinweg – von Seed bis Series B – seien die Medianbewertungen in Europa konstant rund 50 % niedriger als noch 2021.
IPO-Fenster könnte 2023 wieder aufgehen
Wiederum positiv: „Der Gesamtwert der privaten und börsennotierten europäischen Tech-Unternehmen ist wieder auf den Höchststand von 3 Billionen US-Dollar zum Jahresende 2021 gestiegen. Während das Wachstum in den letzten zwei Jahren stagnierte, hat das Ökosystem seit 2017 einen Wertzuwachs von 2 Billionen US-Dollar erzielt und ist in den letzten zehn Jahren mit einer durchschnittlichen Rate von 23 % pro Jahr gewachsen“, rechnet Atomico.
Auch könnte sich das derzeit geschlossene IPO-Fenster gegen Jahresende wieder öffnen. Als Kandidaten für einen Börsengang werden der britische Chip-Hersteller Arm, sowie die Unicorns Vinted (E-Commerce, Litauen) und Visma (Business-Software Norwegen) gehandelt. „Sobald sich dieses Fenster öffnet, wird es eine umfangreiche Pipeline von wachstumsstarken Unternehmen geben – und Dutzende von Milliarden an nicht realisiertem Wert – die darauf warten“, so Sarah Guemouri von Atomico.
Speedinvest: 84 Prozent der Investor:innen halten Europas Unicorns für überbewertet