Traffic-Riese Facebook: Schlittern österreichische Online-Medien in die Abhängigkeit des Social Networks?
Es ist die jüngste Schöpfung aus dem Hause Facebook: Die Smartphone-App Notify bringt die „Breaking News“ von derzeit etwa 70 Online-Medien (darunter New York Times, CNN, Huffington Post) per Push-Benachrichtigung aufs Display. Damit war der neue Dienst für viele US-Bürger bereits der schnellste Weg, um von den Terrorattacken in Paris vor zwei Wochen zu erfahren. Schneller als Twitter wolle Facebook im Nachrichtengeschäft werden, urteilten Beobachter, und Notify selbst würde die Apps der Verlage obsolet machen, weil man fortan alle News-Quellen gesammelt in einer Software abonnieren könne.
Notify ist nur das aktuellste Beispiel einer ganzen Reihe an Produkten und Funktionen, die das Social Network Medienhäusern und Journalisten anbietet, um Content zu produzieren und zu distribuieren. Schon 2013 verkündete CEO und Gründer Mark Zuckerberg, jedem Nutzer „die beste personalisierte Zeitung der Welt“ bieten zu wollen. Nachrichten maßgeschneidert nach Interessen und Demographie des Users, in Echtzeit aufs Display, so die Vision – mit viel Werbung drumherum, versteht sich. Bloß, um eine Zeitung sein zu können, braucht Facebook auch die Inhalte dafür. Die so genannten „Instant Articles“, die von bild.de, Spiegel Online, BuzzFeed oder Guardian genutzt werden, sind ein solches Instrument: Mit der Technologie wird der Content auf die Facebook-Server ausgelagert, damit er von der besonders schnell auf die Smartphone-Displays der Nutzer geladen werden kann. Mit zwei anderen Services will Facebook Journalisten (vorerst ausgewählte Mitarbeiter in US-Medien) die Content-Arbeit versüßen: Mit „Signal“ können Inhalte bei Facebook und Instagram recherchiert und anschließend zu multimedialen Storys zusammengestöpselt werden. Mit der App „Mentions“ dürfen ausgewählte Journalisten (ihre Profile sind mit blauen Häkchen gekennzeichnet) Live-Videostreams an ihre Leserschaft senden. Unterm Strich also vielfältige Versuche, um die Medienwelt enger an das Social Network zu binden.
Facebook-Traffic steigt
In Österreich, wo Facebook 3,2 Millionen monatliche und 2,5 Millionen tägliche Nutzer zählt (TrendingTopics.at berichtete), ist bereits ein kleiner Facebook-Effekt zu bemerken. Wie Traffic-Analysen des Online-Dienstes similarweb.com zeigen, bekommen viele große heimische Online-Medien zehn oder mehr Prozent ihrer Zugriffe aus dem Social Network. Bei neuen Portalen wie buzz.at (Mediengruppe Österreich) oder miss.at (Styria Multimedia), die sich dezidiert an ein junges Publikum richten, kommt bereits ein substanzieller Teil der Leserschaft via Facebook zum Content, während Google und Direktzugriffe nur mehr eine untergeordnete Rolle spielen.
Der Analyse-Dienst SimilarWeb.com zeigt, woher der Traffic von Webseiten kommt. Laut Expertenmeinung sind SimilarWeb-Zahlen über Zugriffe verlässlich, dennoch aber eher als Richtwerte zu nehmen. Für Österreichs größte Portale sehen sie jedenfalls so aus:
In den USA ist das Phänomen schon viel fortgeschrittener: Laut Pew Research Center verwenden dort 63 Prozent der Nutzer Facebook als Nachrichtenquelle, laut Analyse-Dienst parse.ly soll das Online-Netzwerk seit Oktober mehr Leser zu Nachrichtenseiten liefern als Google – jenem Internetkonzern, der sich gerade seinerseits mit Förderungen von 150 Millionen Euro bei europäischen Medien einzuschmeicheln versucht. Allerdings sehen Online-Medien in den letzten Monaten auch eine Trendumkehr – während „Instant Articles“ viel Reichweite bekommen, sinkt die Reichweite für normale Postings.
VÖZ: Facebook konkurriert mit Medien
„Fest steht jedenfalls, dass Facebook für viele eine Art Einstiegs-Portal ist und heimische News-Sites auch Traffic über soziale Netzwerke generieren. Der Traffic von Facebook ist höher als jener von Google News, allerdings würde auch das ohne starke Medienmarken nicht funktionieren“, sagt Gerald Grünberger, Geschäftsführer des Verbands Österreichischer Zeitungen (VÖZ). „Zeitungsinhalte finden durch soziale Netzwerke größere Verbreitung, vor allem bei Zielgruppen, die nicht zwingend Abonnenten sind. Auch das Projekt ,Instant Articles‘ könnte einer Partnerschaft dienlich sein, wäre da nicht der problematische Umgang von Facebook mit Nutzerdaten. Andererseits handelt es sich bei Facebook auch ganz klar um einen Marktkonkurrenten – vor allem in Bezug auf Werbung.“
Die angesprochenen „Instant Articles“ bieten für Verlage zwei Monetarisierungsmöglichkeiten: Zum einen kann die in und um die Artikel geschaltete Werbung zu hundert Prozent vom Medium vermarktet werden, nur wenn Facebook die Vermartkung übernimmt, bekommt es 30 Prozent der Werbeeinnahmen. Axel Springer schwebt aber anderes vor: Wer künftig seine Bild-Plus-Inhalte direkt bei Facebook lesen will, der soll dafür zahlen.
derstandard.at schmeißt Facebook-Funktionen raus
Beim großen Nachrichten-Portal derstandard.at kümmert sich Lisa Stadler als Social-Media-Managerin um die Facebook-Strategie. Sie sorgt dafür, dass die Fans der Facebook-Seiten regelmäßig News-Beiträge zu sehen bekommen, die zum Originalartikel auf derstandard.at weiterleiten. Außerdem wird in Facebook-Werbung investiert, um mehr Fans zu bekommen oder mehr Klicks auf die Webseite zu leiten. „Das tun wir schon jahrelang mit sehr guten Effekten. Wir probieren fast alle Werbemittel, die Facebook zur Verfügung stellt, aus“, so Stadler. Dass sich das zu einer Abhängigkeit von Facebook entwickeln könnte, sei nicht gegeben. „Das ist theoretisch eine Gefahr, die sich derzeit aber noch nicht zeigt. Wir haben eine sehr treue Leserschaft, die überwiegend direkt auf derstandard.at kommt, das erleichtert vieles und macht uns nicht abhängig von Facebook“, sagt Stadler. „Ganz im Gegenteil, wir nehmen immer mehr Facebook-Features von der Seite weg, um den Usern mehr Autonomie in Sachen Daten zu gewähren.“
krone.at: Keine Angst vor Abhängigkeit
Auch in anderen Medienhäusern sieht man Facebook teilweise freundschaftlich, teilweise skeptisch entgegen. Während bei derstandard.at derzeit nicht geplant ist, „Instant Articles“ einzusetzen, ist man bei krone.at offen für die Idee. „Vor allem der Verteilschlüssel der Werbeeinnahmen scheint durchaus fair zu sein. Die bisherigen Showcases haben uns noch nicht gänzlich überzeugt, wir sind dazu aber bereits seit längerem in Kontakt mit Facebook“, sagt Paul Tikal, der für die Social-Media-Strategie bei krone.at zuständig ist. Derzeit würde man für die Betreuung von Facebook etwa zweieinhalb Vollzeitkräfte einsetzen und ein wenig Geld für Facebook-Kampagnen in die Hand nehmen. „Postings boosten wir kaum mehr, weil unsere Geschichten mittlerweile aus eigener Kraft mehr als zwei Millionen Österreicher pro Woche erreichen“, so Tikal. Eine Abhängigkeit von Facebook in puncto Traffic fürchtet er nicht, „weil wir immer einen sehr treuen Kern an krone.at-Lesern haben werden, der uns direkt über Smartphone oder Desktop ansteuern wird. Das ist über die vergangenen 15 Jahre gewachsen und wird sich so schnell nicht umkehren. Alles, was über Facebook zu krone.at kommt, ist on top zu einer schon bestehenden, sehr schönen Reichweite.“
kurier.at: „Keinen Cent für Facebook-Ads“
Sehr zurückhaltend im Umgang mit Facebook ist kurier.at. „Wir investieren keinen Cent in Facebook-Ads“, so kurier.at-Geschäftsführer Martin Gaiger, die Reichweite würde man sich lieber mit eigenen Geschichten erarbeiten. Derzeit würde das Social Network in puncto Zugriffe eine untergeordnete Rolle spielen, hätte sich anteilsmäßig 2015 aber verdoppelt. „Einerseits gilt es, Nachrichten zu den neuen Lesern zu bringen, andererseits unterstützt man damit Entwicklungen und Abhängigkeiten, die man selbst mit Sorge betrachtet“, so Gaiger. „Für alle Medien, die nur eine geringe Marken-Identität besitzen, ist das heute schon eine schwierige Situation. Für so bekannte Marken wie kurier.at wird das mit dem sich verändernden Medienkonsumverhalten in den nächsten Jahren zu einer Herausforderung.“ Mit den „Instant Articles“ würde man experimentieren, aber auch da bleibt Gaiger skeptisch: „Mal schauen, welche Inhalte es durch die Facebook-Manipulationen bis zum Publikum schaffen.“
oe24.at ist erster Partner bei „Instant Articles“
Bei oe24.at haben sich die Zugriffe von Facebook 2015 verdoppelt und liegen an manchen Tagen bei über 25 Prozent. „Damit ist Social im News-Bereich als Traffic-Quelle für uns bereits wichtiger als Search“, sagt oe24.at-Geschäftsführer Niki Fellner, beim neuen Portal buzz.at sei der Social-Media-Traffic bereits bei mehr als 50 Prozent. oe24.at beschäftigt zwei Mitarbeiter für die Betreuung der Social-Kanäle, investiert einiges in Facebook-Werbung, um einzelnen Postings mehr Reichweite zu verschaffen – und ist der erste österreichische Partner von Facebook, der im ersten Quartal 2016 „Instant Articles“ direkt im Online-Netzwerk veröffentlichen wird (TrendingTopics.at berichtete). „Wir müssen uns davon verabschieden, alles als Gefahr zu sehen“, so Fellner. „Weltweite Trends werden wir in Österreich ohnehin nicht aufhalten können, stattdessen muss man sich überlegen, wie man solche Trends für sich nützt.“