Finanzminister Brunner: „Jeder Prozentpunkt Lohnnebenkosten-Senkung kostet 1,5 bis 2 Mrd. Euro“
Österreich in der Rezession, immer mehr Arbeitslose, und die Angst vor der Deindustrialisierung geht um – und die Forderungen nach einer Senkung der Lohnnebenkosten wird von der Wirtschaftsseite immer lauter. Doch Finanzminister Brunner (ÖVP), der sich im Wahlkampf im Team von Bundeskanzler Karl Nehammer sieht, erteilt diesen Forderungen eine Abfuhr. Eine weitere Senkung würde das Budget massiv belasten, sagt er im Interview mit Trending Topics.
Anfang 2024 kommen FlexCo und die neue Mitarbeiter:innenbeteiligung für Startups. Welche Effekte erwarten Sie von den neuen Gesetzen?
Magnus Brunner: Das sind zwei ganz zentrale Maßnahmen, mit denen wir unseren Standort stärken. In Summe entlasten wir damit den Wirtschaftsstandort Österreich mit diesen Maßnahmen mit knapp 60 Millionen Euro jährlich. Ich bin überzeugt, dass Österreichs junge Unternehmerinnen und Unternehmer – aber auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesen Start-ups – von diesem Paket profitieren. Damit stärken wir den Standort Österreich und machen ihn fit für unsere Start-ups. Wir verbessern das Umfeld für junge Unternehmen und können unsere Talente in Österreich halten.
Die FlexCo soll als neue Gesellschaftsrechtform Startups in Österreich als Alternative zur GmbH Startups entgegenkommen. Trotzdem rechnet die Bundesregierung nicht mit einer Gründungswelle – warum nicht?
Seit 2011 wurden in Österreich mehr als 3.300 Startups gegründet. Damit umfasst der österreichische Startup-Sektor aktuell mehr als 25.000 Beschäftigte. Mit dem neuen Paket sind wir nun auch im internationalen Vergleich ganz vorne dabei. Der Standort profitiert definitiv von diesem Paket – ich rechne auch mit neuen Gründungen, die auch in Zusammenhang mit unseren Maßnahmen stehen.
Das erleichtert Gründen und Führen von Jungfirmen, aber in Österreich gibt es dennoch weiter Aufholbedarf, etwa bei Finanzierungen. Wo sehen Sie noch Ansätze, die in der aktuellen Legislaturperiode umgesetzt werden können?
Natürlich kann man immer noch besser werden – aber mit der neuen Rechtsform „Flexible Kapitalgesellschaft“ senken wir das GmbH-Mindeststammkapital auf 10.000 Euro. Damit senken wir die Mindestkörperschaftsteuer um rund zwei Drittel ab. So entlasten wir Jungunternehmer alleine mit dieser Maßnahme um rund 50 Mio. Euro pro Jahr. Die Mindestkörperschaftsteuer hat bisher jährlich 1.750 Euro bei einer GmbH betragen. Durch unsere Maßnahmen reduzieren wir die jährliche Mindest-KöSt bei GmbHs auf 500 Euro – das ist eine Reduktion um über 70%.
Was viele Unternehmer:innen belastet, sowohl wirtschaftlich als auch mental: Österreich ist in eine Rezession gerutscht. Wie kommt man da wieder heraus? Sind Steuererleichterungen eine Antwort?
Von der Rezession in Deutschland kann sich leider auch Österreich nicht abkapseln. Aber wir haben vorgesorgt und zahlreiche Maßnahmen gesetzt: z.B. die KÖSt-Senkung. Ich war in London und Berlin. Englische und deutsche Betriebe schauen neidvoll auf die österreichische Senkung der KÖSt. Das schafft Spielraum für Investitionen und ist Anreiz für Betriebsansiedlungen. Von dieser KÖSt-Senkung profitieren bis zu 150.000 österreichische Unternehmen. Und zwar in erste Linie kleine und mittlere Betriebe: Mehr als zwei Drittel dieser heimischen Unternehmen haben einen Gewinn von unter 40.000 Euro. Fast 90 % haben einen Gewinn von unter 200.000 Euro. Durch solche Maßnahmen, die den Standort Österreich attraktiv machen, verhindern wir die Abwanderung von Unternehmen.
Oder unsere Investitionen in die Halbleiterindustrie: Wenn Österreich weiterhin wettbewerbsfähig bleiben möchte, müssen wir bereits heute das gesamte Standortpotenzial nutzen. Hier ist die Halbleiterindustrie eine der Schlüsseltechnologien der Zukunft. Im Zuge der nationalen Umsetzung des European Chips Act Säule 2 budgetieren wir 400 Millionen Euro bis 2027 für den Aufbau von Chips-Produktionskapazitäten.
Und besonders wichtig: Wir machen Klimaschutz mit Hausverstand und unterstützen die Transformation. Alleine bis 2027 investieren wir 14 Milliarden Euro für die Transformation der heimischen Wirtschaft, nachhaltige Mobilität und die Wärmewende. Zum Thema Steuern habe ich eine klare Antwort: Österreich hat ganz sicher weder zu wenige noch zu niedrige Steuern. Daher bin ich ganz klar gegen Steuererhöhungen und die Einführung neuer Steuern. Denn es hilft den Vielen nicht, wenn man einigen Wenigen etwas wegnimmt.
“Wenn es Deutschland schlecht geht, geht es auch Österreich schlecht”, ist ein oft gehörter Standsatz in der Wirtschaft. Sind wir zu sehr vom großen Nachbarn abhängig?
Ja, es hat natürlich Auswirkungen auf uns, wenn Deutschland als unser größter Handelspartner in diese schwierige Situation gerät. Früher hieß es: Wenn Deutschland erkältet ist, hat Österreich einen Schnupfen. Jetzt müssen wir uns vor einer Lungenentzündung fürchten. Zum Glück haben wir uns durch strukturelle Reformen abgekoppelt. Deutschland wird aber viele geplante Projekte nicht umsetzen können.
Immer lautstärker wird eine Senkung der Lohnnebenkosten gefordert, die in Österreich im Europavergleich hoch sind. Ihr Standpunkt? Auch der Wirtschaftsbund forderte zuletzt eine “ spürbare Senkung der Lohnnebenkosten”, nur so könnten wir “in Zukunft wettbewerbsfähig bleiben”.
Es wurden so viele Entlastungsmaßnahmen für Haushalte und Unternehmen gesetzt wie noch in keiner Regierung – ich erinnere an die Abschaffung der kalten Progression, Senkung Tarifstufen, Investitionsfreibetrag und KÖST-Senkung. Und bereits mit dem heurigen Jahr wurden die Lohnnebenkosten mit einer Absenkung des FLAG und UV Beitrags um insgesamt 0,3 Prozentpunkte gesenkt. Also FLAF-Beitrag um 0,2% gesenkt: bringt Entlastung von 1,5 Mrd. Euro bis 2026. Senkung der UV-Beiträge um 0,1%. Insgesamt haben wir somit Lohnnebenkosten ab 2023 dauerhaft um 0,3%-Punkte gesenkt und den Wirtschaftsstandort gestärkt. Eine weitere Senkung würde das Budget massiv belasten: Jeder Prozentpunkt Lohnnebenkosten-Senkung kostet rund 1,5 bis 2 Mrd. Euro.
2024 hoffen viele Unternehmer:innen, Investor:innen auf eine Senkung der Leitzinsen, sowohl in den USA als auch der Eurozone. Denken Sie, dass die Inflation 2024 niedrig genug sein wird, um die Zinswende nach unten einzuleiten?
Im Vorjahr lag Österreichs Inflation unter dem EU-Schnitt – aber ja, aktuell liegen wir noch zu hoch. Die jeweilige Zentralbank kann und muss hier entgegenwirken. Eine wichtige Rolle spielt der Warenkorb. Unsere Inflation ist stark von Dienstleistung, also Tourismus, getrieben, der ja zum Glück anzieht. Das treibt die Inflation auch an. In Wahrheit kann ein Nationalstaat die Inflation nur in einem Umfang von vielleicht 0,1 bis 0,2 Prozentpunkten bekämpfen, nicht mehr. Wir haben aber auch über Maßnahmen, wie dem Gebührenstopp, den wir auf Bundesebene den Ländern und Gemeinden als Kompensation angeboten haben, dem Einfrieren der Vignettenpreise, oder dem Klimabonus und mit der Strompreisbremse eingegriffen. Von manchen Dingen, wie etwa Mehrwertsteuersenkungen, also generell Markteingriffen, haben wir hingegen Abstand genommen, weil man bei denen nicht sicher ist, ob sie überhaupt beim Konsumenten ankommen, und vielleicht nur leicht Inflation dämpfend wirken würden.
Infolge der COVID-Pandemie haben EU-Länder, auch Österreich, die Staatsverschuldung in die Höhe getrieben – wir sprechen hier von Abermilliarden an Euros. Sie fordern deswegen neue, strenge Regeln. Wo kann konkret eingespart werden, um die Schuldenquote zu senken?
Österreich hält die 3%-Maastricht-Grenze ein, das bestätigt auch der Fiskalrat. Und zwar heuer erstmals, aber auch im nächsten Jahr. Wir schaffen das, weil wir nicht alle Projekte einfach durchwinken – sondern bei den künftigen Mehrausgaben Schwerpunkte setzen: Rund die Hälfte dieser Mehrauszahlungen, mehr als 20 Mrd. Euro, sind Zukunftsausgaben. Kinderbetreuung, Wissenschaft und Forschung, Transformation, Bereich Mikroelektronik und für unsere Sicherheit.
Auf EU-Ebene bin ich ganz deutlich: Österreich hat sich in den vergangenen Monaten immer dafür eingesetzt, dass die Schuldentragfähigkeit im Mittelpunkt steht und die hohen Schuldenquoten auf einen rückläufigen Pfad gebracht werden. Es ist klar, dass funktionierende Budgetregeln ein Grundanker der Europäischen Union und unserer gemeinsamen Währung und der gemeinsamen Wirtschaft sind. Die Regeln müssen sicherstellen, dass man einander vertraut und die Budgets im Sinne aller Länder stabil und nachhaltig sind.
Eines Ihrer Herzensthemen ist die Behaltefrist bei der KESt. Gibt es da Licht am Ende des Tunnels. Was wird letztendlich kommen, und wie werden Anleger:innen davon profitieren?
Ich setze mich dafür ein, dass bei der KESt wieder eine Behaltefrist kommt. Konkret arbeiten wir an einem Modell, das Menschen eine attraktive Möglichkeit zur finanziellen Vorsorge gibt und gleichzeitig den österreichischen Kapitalmarkt stärkt. Ich möchte also noch in dieser Legislaturperiode die Befreiung von Wertpapieren von der KESt bei gleichzeitiger Wiedereinführung einer Behaltefrist. Aktuell laufen immer wieder Gespräche mit dem Koalitionspartner. Es geht darum, dass sich Ältere und Jüngere etwas schaffen können. Denn es geht um Anreize für langfristige Investments.
2024 ist Wahljahr. Wollen Sie danach Finanzminister bleiben, und wenn ja, wie können Sie das Ziel erreichen? Würden Sie den Job unter einem Kanzler Kickl machen?
Ich bin gerne Finanzminister an der Seite von Bundeskanzler Nehammer. Einen Kanzler Kickl kann ich mir genauso wenig vorstellen wie einen Kanzler Babler: Kickl auf der rechten, Babler auf der linken Seite, da gibt es in der Mitte genügend Platz für einen seriösen Bundeskanzler Karl Nehammer.
Das Finanzministerium hat einen Climate-Hub einrichtet. Wesentliches Ziel ist, Budget-, Wirtschafts- und Steuerpolitik sowie Klima-, Umwelt- und Energiepolitik mit einer global ausgerichteten Standortpolitik „in Einklang zu bringen“. Wie soll das konkret aussehen?
Österreich tritt für Green Budgeting ein, um klimaschädlichen Subventionen zurückzufahren und auf der anderen Seite jeden Steuereuro zu hinterfragen, ob er korrekt und effizient eingesetzt ist im Kampf gegen den Klimawandel. Klima- und Finanzpolitik müssen Hand in Hand gehen. Was wir tun ist, dass wir in Zukunft in der Budgetpolitik genau die Wirkung alle Förderungen analysieren. Es geht um Steuergeld und jeder Steuereuro soll auf die beste Art und Weise eingesetzt werden. Dafür braucht es Transparenz. Europaweit sind wir auf jeden Fall mit dem Green Budget-Modell, das wir in Dubai präsentieren konnten, Vorreiter.