Stärkere Regulierung von Kryptowährungen kommt. Warum das ein Vorteil sein könnte
Martin Fiedler von Finanzsache.com, einem Online-Portal für Finanzthemen. In diesem Gastbeitrag beschäftigt er sich mit den in der Krypto-Industrie unbeliebten Regulierungen und will aufzeigen, warum nicht ausschließlich negative Effekte zu erwarten sind.
Viele bezeichnen den Markt rund um Bitcoin, Ethereum & Co als Wild West-Gefilde, in dem Börsen und Broker wie Binance, Kraken und viele andere als Dreh- und Angelpunkte dienen. Anleger freuen sich über die neuen Chancen, die Kryptowährungen bieten, was auch für die Betreiber der entsprechenden Plattformen für Bitcoin, Ethereum & Co gilt, welche bislang oft nicht den gleichen Standards wie Handelsplattformen für klassische Assets wie Aktien, Rohstoffe oder ETFs folgen mussten. Dies liegt vor allem daran, weil bislang niemand so genau wusste, wie Kryptowährungen und die neuen DeFi-Produkte wie zum Beispiel Lending, Staking oder Liquidity Mining rechtlich einzuordnen sind. Nun scheint die wilde Zeit aber vorbei zu sein. Behörden drängen immer mehr auf immer stärkere Regulierung.
In der Szene bereitet vielen Krypto-Enthusiast:innen diese Entwicklung verständlicherweise Sorgen. Die Biden-Administration, die SEC aber auch die Europäische Union scheinen sich aktuell ein Wettrennen um die meisten Regulierungen zu liefern.
Doch ist das gut oder schlecht für die Entwicklung von Kryptowährungen und DeFi-Produkten? Die Antwort darauf ist nicht so eindeutig, wie es für manche Krypto-Fans und Anleger:innen scheinen möchte.
Regulierungen können nämlich erst für den nötigen Sprung in den breiten Mainstream sorgen. Und ja, diese Einstellung ist in der Szene durchaus kontrovers. Es gibt jedoch ein paar gute Argumente dafür!
Warum eine stärkere Beaufsichtigung von Krypto-Börsen zu Wachstumsschüben führen kann
In der Krypto-Szene und im Besonderen in der Bitcoin-Szene sehen viele Anleger:innen in der Regulierung eine Gefahr für den gesamten Space. Das ist aus mehreren Blickwinkeln verständlich. Kryptowährungen und Bitcoin im Speziellen stehen für viele Anleger für Freiheit. Kaum jemand möchte daher die sogenannten „On- und Off-Ramps“ für den Handel mit Kryptowährungen stärker beobachtet wissen.
Man muss sich allerdings bewusst machen, dass Regulierung nicht automatisch Rückschritt bedeutet. Tatsächlich kann Regulierung auch Fortschritt bedeuten – indirekt!
Was viele befürchten, ist, dass Bitcoin und andere Kryptowährungen in ein enges, rechtliches Korsett gezwängt werden, in welchem innovative Produkte am Wachstum begrenzt werden. Ersteres ist nicht von der Hand zu weisen. Was man dabei allerdings nicht übersehen darf, ist, dass Regulierung auch sehr positive Nebeneffekte auf den gesamten Markt haben kann.
„Warum sollte die Beschneidung von Freiheit positive Effekte haben?“ mögen sich nun manche berechtigterweise fragen.
Die Antwort darauf ist recht einfach.
Viele institutionelle Anleger:innen und die Wall Street im Allgemeinen, haben sich dem Thema Kryptowährungen gegenüber zwar schon sehr viel mehr geöffnet, als es noch vergangenes Jahr der Fall war. Es liegt jedoch immer noch ein Schleier des Unbekannten darüber. Schritte werden nur sehr vorsichtig gemacht. Man traut sich noch nicht so richtig.
Wenn vom Gesetzgeber und Behörden wie der SEC nun eine klare Einordnung, Anlegerschutz und rechtliche Rahmen für alle Produkte in diesem Bereich vorgegeben werden, dann beschränkt das zwar in gewisser Weise die Freiheit in diesem Ökosystem. Andererseits sorgt es aber auch dafür, dass Fonds und institutionelle Anleger sich näher an das Krypto-Thema herantrauen und in manchen Fällen sogar erst dann dürfen.
Wenn man mal ganz ehrlich ist, ist doch das „Big Money“ der Institutionellen genau das, worauf alle warten. Mehr Geld im Markt bedeutet höhere Preise, aber vor allem mehr Aufmerksamkeit und somit mehr Adaption.
Regulierung kann indirekt Wachstumstreiber sein
Coinbase hat es übrigens vorgemacht – die Plattform ist für viele institutionelle Investor:innen die erste Adresse, wenn es um den Kauf von Kryptowährungen geht. Und das liegt nicht daran, weil dort etwa die Gebühren so günstig wären. Das sind sie im Vergleich nämlich nicht. Der Grund liegt darin, dass die Exchange am stärksten überwacht wird.
Wichtig ist dabei selbstverständlich immer, dass die richtige Balance gefunden wird. Zu viel Gesetze können den Markt abwürgen. Bei zu wenig Gesetzen kann der wirklich große Wachstums-Boost für Kryptowährungen und aller damit einhergehenden Finanzprodukte noch eine lange Zeit auf sich warten lassen oder gar nicht erst eintreten.
Regulierungen sind also einerseits überhaupt nicht im Sinne der Erfinder, wenn man sich die ursprünglichen Überlegungen zu digitalen Währungen der Cypherpunks ansieht. Ganz ohne Regulierung kann es auf der anderen Seite zu Stagnation im Markt kommen.
Coinbase, die SEC und ein kurioser Fall
Eine besonders gute Demonstration, wie sehr Kryptowährungen aus rechtlicher Sicht noch unbehandelt sind, war es, als Coinbase mit einem Lending-Produkt auf ihrer Plattform starten wollte. Als eine der bekanntesten Börsen weltweit ging Coinbase also zur SEC (Securities and Exchange Commission) und unterrichtete die Behörde über ihr Vorhaben und fragte um ihre Einschätzung.
Das Ziel war es, ein Lending-Produkt mit 4% APY auf den USD Coin (USDC) anzubieten.
Nun muss man sagen, dass Coinbase auch gar keine andere Wahl hatte, als bei der SEC anzuklopfen. Der Unterschied zu anderen Exchanges wie beispielsweise Kraken, Binance, Bitfinex und anderen Anbietern ist es, dass Coinbase als eine Art Tor für institutionelle Anleger gilt. Der Grund ist in der starken Beobachtung durch die SEC zu finden. Wenn Coinbase also mit ähnlichen Alleingängen wie manche Konkurrent:innen beginnen würde, würde das zu vielen rechtlichen Schwierigkeiten führen, aber auch einen gewissen Vertrauensverlust bei ihren Kund:innen bedeuten.
Coinbase klopft also bei der SEC an und liefert alle benötigten Unterlagen. Doch nichts davon hilft. Die Behörde lehnt mit der wagen Begründung ab, dass das geplante Vorgehen von Coinbase Wertpapiere beinhalte. Weitere Details wurden nicht genannt. Das ist natürlich insofern kurios, als andere Exchanges ähnliche Produkte problemlos anbieten. „Problemlos“ im Sinne von keine Startschwierigkeiten. Wie es am Ende rechtlich zu beurteilen ist, bleibt natürlich weiterhin offen.
Coinbase wurde also streng genommen dafür bestraft, nachgefragt zu haben und nach den Spielregeln zu spielen.
Hier geht es übrigens nicht darum, Coinbase großartig hervorzuheben. Es gibt auch genug Kritik an der Börse. Der Fall eignet sich allerdings besonders gut zur Demonstration, wie viel rechtliche Unsicherheit es bezüglich dieser Art von Plattformen und deren Services noch gibt.
DEX (Decentralized Exchanges) als Sonderfall
Bei Binance, Coinbase und Kraken mag die Sache klar sein. Aber was ist mit dezentralen Börsen, abgekürzt auch DEX (Decentralized Exchanges) genannt? DEX zählen zum DeFi-Umfeld und werden mancherorts als die Zukunft von digitalen Handelsplätzen bezeichnet. Der größte Unterschied zu zentralen Börsen sind im Grunde drei Dinge:
- Die Orderausführung übernehmen oft Smart Contracts
- DeFi erlaubt es Anlegern, an Gebühren und anderen Rewards mitzuschneiden
- Die Plattformen stehen auf dezentralen Beinen
Aus Sicht von Anlegern und Investoren also durchaus positiv. Aus Sicht des traditionellen Finanzmarkts ist es das nicht uneingeschränkt. Für Regulatoren gar ein Dorn im Auge.
DEX sind oft inhärent so angelegt, dass sie sich Regulierung grundsätzlich entziehen könnten. Doch was ist dann mit KYC (Know Your Customer), Einlagensicherung und anderen rechtlichen Anforderungen?
Hier gibt es drei mögliche Szenarien:
- Der Handel an DEX wird für illegal erklärt, wenn es keine zentral verantwortliche und vor allem „greifbare“ Stelle geben sollte.
- Trotz Verbot haben Investoren Vertrauen in die Plattformen und benutzen diese trotzdem.
- Jede DEX, die überleben möchte, wird teil-zentral und unterliegt den gleichen Gesetzen wie jede andere Börse auch.
Dieser Bereich bleibt also besonders spannend!
Unhosted Wallets, MiCa & Proof-of-Work: Wohin steuert die EU in der Debatte?
Eine besonders auffallende Rolle in der gesamten Debatte um Bitcoin, Ethereum & Co spielt die Europäische Union.
Die MiCa (Markets in Crypto Assets)-Verordnung trieb Anfang 2022 vielen Bitcoin-Fans die Schweißperlen auf die Stirn. Die Verordnung sah in einer Version nichts weniger als das Verbot von Proof-of-Work-basierten Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum vor. Zwar nicht direkt, aber als Konsequenz. Das wäre insofern ein drastischer Einschnitt gewesen, als dass gerade auf Basis dieser beiden Kryptowährungen in den letzten Jahren viele Services entstanden sind. Man hätte also in einem großen Teil Europas entsprechenden Unternehmen weiteres Wachstum verwehrt. Die kontroverse Version der MiCa-Verordnung ist schlussendlich mit einer knappen Mehrheit abgelehnt worden.
Kurze Zeit darauf kam im Zuge von einem Anti-Geldwäsche (AML)-Paket ein weiteres Thema auf, welches für Unmut in der Krypto-Community gesorgt hat: Unhosted- bzw. Non-Custodial-Wallets. Dabei handelt es sich nach der Auslegung der EU um Wallets, welche keinem verifizierten Besitzer zugeordnet sind und beträfe somit grundsätzlich jede private Wallet, die sich Anleger gekauft haben, um ihre Kryptowährungen bzw. den Private Key darin aufzubewahren. Auf solche Wallets dürfen, ab in Kraft treten des Gesetzes, nur Kryptowährungen transferiert werden, wenn der Besitzer der „Unhosted Wallet“ offengelegt wird. Dienstleister wie beispielsweise Krypto-Börsen sind ab dem Zeitpunkt verpflichtet, nicht nur sehr viel mehr Daten als bisher einzufordern, sondern vor allem die Validität der Daten des Empfängers zu verifizieren. Eine Anforderung, die schwer bis gar nicht zu erfüllen ist, aber vor allem wegen des erhöhten Aufwands abschreckend für kleinere Unternehmen sein dürfte.
Regulierungen wie diese sind gute Beispiele dafür, wie Gesetze über den Punkt des Hilfreichen hinausschießen und ins Destruktive abgleiten können. Wie sich die EU in diesem Bereich in den kommenden Jahren positionieren wird, beobachten Brancheninsider mit Argusaugen. Es ist beispielsweise abzusehen, dass die Proof-of-Work-Thematik im Speziellen noch des Öfteren auf den Tisch gebracht werden wird.
DeFi vs. traditionelles Finanzsystem
Anleger, seien diese privat oder institutionell, wünschen sich ein gewisses Maß an Sicherheit und bestimmte Standards. Dies zieht sich wie ein roter Faden durch alle Services im Finanzbereich. Wie dargelegt, entsprechen damit verknüpfte Gesetze zwar nicht der oft libertären Grundhaltung vieler Krypto-Fans (im speziellen Bitcoin-Fans), können indirekt jedoch erst für den nötigen, großen Push in den Mainstream sorgen.
Doch wie ist der allgemeine Wandel der Finanzindustrie von zentralen zu dezentralen Modellen zu beurteilen?
Wir sehen aktuell eine Entwicklung, in der klassische „Centralized Finance“-Modelle immer mehr an Bedeutung verlieren und dezentrale Lösungen wie DEX immer mehr an Bedeutung gewinnen. Letzteres bedeutet aber gleichzeitig, dass sich auch der Umsatz aus zum Beispiel Gebühren beim Erwerb und Handel von Kryptowährungen oder aus Zinsen aus Kreditgeschäften auf immer mehr Hände verteilt – weil hier grundsätzlich jede/r mitmachen kann. Als Beispiel sei Liquidity Mining zu nennen, bei dem sich im Prinzip jede Person an der Zurverfügungstellung von Liquidität an Börsen beteiligen kann und dafür entlohnt wird. Man kann absehen, dass derartige Entwicklungen bekämpft und starkes Lobbying dagegen betrieben werden wird. Niemand lässt sich gerne die Butter vom Brot nehmen.
Wie bei jeder Innovation – und DeFi ist zweifelsohne so eine – ist jedoch davon auszugehen, dass sich diese am Ende durchsetzen wird. Zu groß sind schlussendlich die Vorteile, um diese durch Gesetze und extreme Regulierung im Keim zu ersticken. Die Länder, die hier auf eine gute Balance achten, werden dabei Vorreiter in diesen Bereichen werden. Die, die sich dagegen verwehren, zurückfallen. Eine klassisch spieltheoretische Situation also, bei der man seine Schachzüge überlegt ziehen sollte. Genau diese Konkurrenzsituation ist es übrigens, welche dazu führen könnte, dass die einzelnen Länder die Schrauben bei Kryptowährungen nicht zu eng drehen, um sich Innovation nicht zu sehr zu verwehren.
Eine von jeglicher staatlicher Kontrolle losgelöste Finanzindustrie ist jedoch, zumindest in absehbarer Zeit, auch mit den zahlreichen Decentralized Finance-Ansätzen nicht zu erwarten.