Interview

Finmatics-Exit: „Wir konnten das Potenzial von KI früh wirtschaftlich realisieren“

Die Finmatics-Gründer. © Finmatics
Die Finmatics-Gründer. © Finmatics
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Ein Exit mit einer Bewertung von mehr als 100 Millionen Euro: Der Verkauf des Wiener Fintechs Finmatics, das unaufgeregt aber stetig sein Geschäft mit AI im Bereich der Buchhaltung aufbaute, hat diese Woche für Schlagzeilen gesorgt. Der Käufer, der Software-Konzern Visma aus Norwegen, hat den Ruf, den übernommenen Unternehmen ihre Eigenständigkeit zu lassen – augenscheinlich eine Win-Win-Situation.

Mitgründer und Geschäftsführer Christoph Prieler spricht über den Exit, die Schwierigkeiten beim Verkaufsprozess und wie es Finmatics schon lange vor ChatGPT geschafft hat, erfolgreich mit AI zu arbeiten.

Trending Topics: Gratulation zum Exit an Visma! Die Bewertung von Finmatics liegt dem Vernehmen nach im neunstelligen Bereich – was waren die entscheidenden Faktoren, die zu dieser hohen Bewertung geführt haben?

Christoph Prieler: Zur konkreten Höhe des Exit-Preises können wir uns aus rechtlichen Gründen nicht äußern. Grundsätzlich beobachten wir jedoch, dass der Markt aktuell SaaS- und KI-Unternehmen mit etablierten, nachhaltigen Geschäftsmodellen weiterhin sehr positiv bewertet. Finmatics setzt bereits seit über sieben Jahren erfolgreich auf den Einsatz von KI in der Praxis – ein klarer Beleg für die Reife und Stabilität unseres Modells. Während viele Unternehmen erst beginnen, KI in die Umsetzung zu bringen, konnten wir deren Potenzial schon früh wirtschaftlich realisieren.

Sie haben erwähnt, dass Sie weiterhin unternehmerisch tätig bleiben können – wie wird sich Ihre Rolle als Gründer innerhalb der Visma-Gruppe verändern?

Das Besondere an Visma ist die Kombination aus der Stabilität eines etablierten Konzerns und dem unternehmerischen Freiraum für die einzelnen Beteiligungen. Visma verfolgt bewusst einen dezentralen Ansatz: Die übernommenen Unternehmen behalten ihre operative Eigenständigkeit und können ihre lokale Expertise weiter voll einbringen. Das Managementteam von Finmatics bleibt vollständig an Bord – unser Fokus liegt weiterhin darauf, das Wachstum in der DACH-Region aktiv voranzutreiben. Genau dieser unternehmerische Gestaltungsspielraum innerhalb eines starken Netzwerks war für uns ein entscheidender Faktor.

Ob sich mittelfristig neue Möglichkeiten im Visma-Konzern ergeben, kann ich heute noch nicht sagen.

Wie wird sich die Übernahme auf das bestehende Team auswirken? Sind Veränderungen in der Unternehmenskultur zu erwarten?

Für unser Team wird sich durch die Übernahme nichts ändern – es sind weder personelle Veränderungen noch Anpassungen in der Unternehmenskultur geplant. Einer der Hauptgründe, warum wir uns für Visma entschieden haben, war die starke kulturelle Übereinstimmung. Visma lebt zentrale Werte wie unternehmerisches Denken, Verantwortung, Engagement und Inklusivität – das passt perfekt zu uns. Mitarbeitende stehen bei Visma klar im Mittelpunkt: Es wird eine Kultur gefördert, die auf Vertrauen, Eigenverantwortung und persönlicher Weiterentwicklung basiert. Genau dieses Umfeld wollen wir auch für unser Team ausbauen.

Visma hat bereits 2021 ProSaldo.net in Österreich übernommen – welche Synergien sehen Sie zwischen den verschiedenen Buchhaltungslösungen im Visma-Portfolio?

Visma verfolgt bewusst die Strategie, bestehende Unternehmen eigenständig weiterzuführen – auch bei Finmatics bleibt das operative Geschäft unverändert. Klassische Kostensynergien oder eine enge Integration mit anderen Portfoliounternehmen sind nicht vorgesehen. Gleichzeitig besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sich punktuell auszutauschen oder voneinander zu lernen – sofern es thematisch sinnvoll ist und für beide Seiten einen klaren Mehrwert bietet. Im Zentrum steht dabei immer die Eigenständigkeit und der Fokus auf die jeweiligen Zielgruppen und Kernkompetenzen.

Finmatics setzt KI schon länger ein, als ChatGPT am Markt ist. Wie geht ihr mit den immer neuen LLMs am Markt und ihren Vor- und Nachteilen um? Setzt ihr etwa AI-Modelle von OpenAI, Anthropic, Google und Co ein? Oder habt ihr hauseigene, proprietäre Lösungen?

Finmatics setzt KI bereits seit über sieben Jahren erfolgreich ein – also deutlich länger, als Large Language Models wie ChatGPT überhaupt am Markt sind. Unser Anspruch war von Anfang an, für jede konkrete Aufgabe die bestmögliche Technologie einzusetzen.

Wir automatisieren komplexe Prozesse wie Belegsortierung, Datenerfassung, Kontierung, steuerliche Klassifikation, E-Rechnungs-Interpretation und die Prüfung nach dem Umsatzsteuergesetz. Jeder dieser Schritte stellt unterschiedliche Anforderungen an die zugrunde liegende KI – deshalb setzen wir bewusst auf spezialisierte Modelle, die wir gezielt auf ihre jeweilige Aufgabe abstimmen.

LLMs sind dabei ein wichtiger Bestandteil – etwa für Aufgaben mit hohem Textverständnis wie Klassifikation, Interpretation oder semantische Suche. Wir arbeiten mit verschiedenen Foundation Models, die in Europa gehostet werden, und passen diese entweder durch Fine-Tuning an unsere Anforderungen an oder nutzen sie über Vektor-Datenbanken für präzise Klassifikationen.

Die Technologie entwickelt sich rasant – unser Erfolgsrezept ist dabei konstant geblieben: Wir verstehen das konkrete Problem bis ins Detail und wählen genau die KI-Technologie aus, die für diese Aufgabe den größten Mehrwert bietet.

Von der Gründung 2016 bis zum Exit 2025: Was waren die größten Herausforderungen auf diesem Weg und wie haben Sie diese gemeistert?

Von der Gründung 2016 bis zum Exit 2025 haben sich die Herausforderungen stetig verändert. Am Anfang stand der Druck, schnell ein funktionierendes Produkt zu entwickeln und erstes Kundenfeedback umzusetzen – hier halfen uns technischer Tiefgang, Pragmatismus und Beharrlichkeit.

In der nächsten Phase ging es um den Marktzugang. Mit einer klaren Go-to-Market-Strategie und starken Partnerschaften, etwa mit BMD und RZL, konnten wir schnell wachsen. Der konsequente Fokus auf unsere Zielgruppe – vor allem Steuerberater – war dabei entscheidend.

Später lag der Schwerpunkt auf Organisation und Führung: Wir haben Strukturen aufgebaut, Verantwortung im Team verteilt und gleichzeitig unsere Kultur bewahrt. Was uns durch all diese Phasen getragen hat? Wir geben nicht auf. Wir erkennen Probleme früh, iterieren schnell und bleiben dran – auch wenn’s schwierig wird. „Geht nicht“ war nie eine Option.

Der monatlich wiederkehrende Umsatz hat sich laut eQventure seit deren Einstieg verzwanzigfacht – was waren die wichtigsten Wachstumshebel?

Visma veröffentlicht keine Zahlen zu Einzelunternehmen, daher können wir keine konkreten Angaben machen. Was wir sagen können: Unsere Umsatzerlöse haben sich in den letzten Jahren jeweils verdoppelt.

Der wichtigste Wachstumstreiber war und ist ein starkes Produkt, das echten Mehrwert schafft – kombiniert mit hoher Kundenzufriedenheit. Darüber hinaus haben strategische Partnerschaften, wie etwa mit den genannten Anbietern von Buchhaltungssoftware, und unser klar fokussierter Go-to-Market-Ansatz wesentlich zum Wachstum beigetragen.

Die behördliche Investitionskontrolle hat den Deal um drei Monate verzögert – welche Lehren ziehen Sie aus diesem Prozess für andere KI-Startups?

Die Investitionskontrolle hat den Prozess zwar nicht zum Stillstand gebracht – wir konnten die Zeit für wichtige Vorarbeiten nutzen –, aber sie war dennoch eine herausfordernde Phase. Vor allem die Unsicherheit und die eingeschränkte Kommunikation mit Partnern, Kunden und Mitarbeitenden haben den Zeitraum belastend gemacht. Solche Verfahren sind inhaltlich nachvollziehbar, aber die Dauer sollte möglichst klar und planbar gestaltet sein. Eine kürzere, Phase hätte vieles vereinfacht.

Mit Blick auf das österreichische Startup-Ökosystem: Was braucht es Ihrer Meinung nach, damit mehr Exits in dieser Größenordnung möglich werden?

Wir haben in den letzten Jahren sehr viel Zeit und Energie in die Organisation von Finanzierungen gesteckt – Zeit, die wir lieber ins Produkt und in unser Wachstum investiert hätten. Genau hier liegt aus unserer Sicht einer der zentralen Hebel: Wenn Gründerteams leichter und schneller Zugang zu Wachstumskapital hätten, könnten sie sich viel stärker auf die Skalierung ihres Geschäfts konzentrieren.

Positiv ist: In Österreich funktioniert die Frühphasenfinanzierung sehr gut – es gibt engagierte Angel-Investoren, Förderstellen und VC-Angebote. Was allerdings fehlt, ist eine aktivere Szene für spätere Finanzierungsrunden und bei größeren Tickets müssen viele Startups ins Ausland ausweichen. Dazu kommt eine gewisse Zurückhaltung gegenüber risiko- und technologiegetriebenen Geschäftsmodellen.

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